Trauer belastet nicht nur die Seele – Forscher zeigen erstmals, was sie im Gehirn anrichtet
Trauer verändert nicht nur Gefühle: Sie bringt auch Hormone durcheinander, belastet das Herz und hinterlässt Spuren im Gehirn.

Wenn ein Mensch fehlt, reagiert nicht nur das Herz – auch im Gehirn verschiebt sich das innere Gleichgewicht. © Pexels
Der Verlust eines geliebten Menschen macht tieftraurig, raubt einem die Kraft und wirft den Alltag aus der Bahn. Viele erleben in dieser Phase nicht nur seelischen Schmerz, sondern auch körperliche Beschwerden – Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme oder Herzrasen. Dahinter steckt mehr, als lange gedacht. Forschungen zeigen inzwischen: Trauer wirkt tief in das Gehirn hinein und verändert zentrale biologische Prozesse.
Auf einer internationalen Tagung des „Neurobiology of Grief International Network“ (NOGIN) an der Universität Regensburg diskutierten mehr als 40 Fachleute aus sieben Ländern, welche Mechanismen im Kopf und Körper dabei zusammenwirken.
Trauer beeinflusst Botenstoffe und Körperfunktionen
Lange galt Trauer als rein psychisches Erlebnis, heute ist jedoch klar: Sie betrifft auch chemische Abläufe im Gehirn. Besonders deutlich wird das bei zwei Botenstoffen:
- Dopamin: Normalerweise vermittelt es Motivation und Belohnung. Gerät dieser Neurotransmitter durcheinander, entstehen typische Symptome wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Schlafprobleme oder Stimmungsschwankungen.
- Oxytocin: Eigentlich stärkt es Nähe und Vertrauen. Unter Stress wird es jedoch gehemmt. Das erklärt, warum Trauernde oft schwanken – zwischen Rückzug und dem dringenden Wunsch nach Nähe.
Auch körperlich hinterlässt Trauer Spuren. Die Herzfrequenzvariabilität nimmt ab, der Blutdruck steigt, sobald Betroffene an die verstorbene Person denken. „Trauer wird häufig mit dem Herzen verbunden. Diese Verbindung ist nicht nur sprachlich, sondern auch biologisch messbar“, erklärt Neurobiologe Prof. Oliver Bosch, Organisator der Tagung in Regensburg.
Trauer greift tief ins Innere ein – vom Gehirn bis zu den Kraftwerken der Zellen
Medikamente, die Botenstoffe stabilisieren, könnten Trauernden somit künftig helfen. Ebenso wichtig bleibt aber die Psychotherapie, die an denselben Mechanismen ansetzt. Erst im Zusammenspiel beider Therapieformen entsteht die Chance, Beschwerden wirksamer zu lindern.
Besonders spannend: Auch die Mitochondrien sind von Trauer betroffen. Diese kleinen „Kraftwerke“ der Zellen liefern Energie und sind an der Bildung wichtiger Hormone beteiligt. „Mitochondrien übernehmen zahlreiche essenzielle Aufgaben. Störungen erhöhen das Risiko für Depressionen – auch im Zusammenhang mit Trauer“, erklärt Bosch.
Was Tiermodelle über Bindung verraten
Um Trauer besser zu verstehen, helfen auch Tierstudien. Präriewühlmäuse etwa leben monogam und eignen sich deshalb gut, um Bindung und Verlust zu erforschen. „Eine zentrale Rolle spielt dabei – sowohl beim Menschen als auch im Tiermodell – die Ausschüttung von Dopamin“, so Bosch.
Neu ist die Beobachtung, dass nicht nur Partnerbindungen wichtig sind, sondern auch Freundschaften zwischen Tieren. Geht ein Sozialpartner verloren, zeigen sich im Gehirn deutliche Veränderungen. Diese Parallelen zeigen, dass Bindungen tief biologisch verankert sind und ihr Verlust deutliche Spuren hinterlässt.
Warum Nähe zu Erinnerungen oft Trost und Schmerz zugleich bringt
Trauernde suchen oft Nähe zu Erinnerungen, vermeiden sie aber zugleich. Dieses „Trauerparadox“ beschreibt, warum alte Fotos oder Gegenstände Trost spenden und gleichzeitig schmerzhaft sein können. Nähe wird ersehnt und doch vermieden, weil sie die Sehnsucht verstärkt.
Eine weitere Schlüsselrolle spielt der anteriore cinguläre Cortex. Diese Region im Gehirn steuert Empathie und Emotionen. Bei Trauernden zeigt er eine erhöhte Aktivität. In Tiermodellen konnte nachgewiesen werden, dass dort mehr Dopamin ausgeschüttet wird – ein Mechanismus, der auch wiederum Sehnsucht auslöst.
Hinzu kommt die Synchronisierung von Gehirnaktivitäten in Partnerschaften. Bestimmte Regionen arbeiten im Gleichklang – ein Mechanismus, der nach dem Verlust plötzlich wegfällt. Das kann erklären, warum sich viele Betroffene zurückziehen und sich von ihrem Umfeld entfremden.
Pandemie hat die Belastung verstärkt
Die Corona-Pandemie hat die Lage für Trauernde verschärft. Viele konnten sich nicht verabschieden, Beerdigungen waren nur eingeschränkt möglich, soziale Kontakte brachen weg. „Dies hat bei vielen Betroffenen die Trauersymptome verstärkt und in manchen Fällen sogar zur Entwicklung einer anhaltenden Trauerstörung geführt“, sagt Bosch.
Die sogenannte Prolonged Grief Disorder (PGD) ist inzwischen als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. Aktuelle Studien untersuchen, welche Veränderungen im Gehirn dabei auftreten und wie sich Therapien individuell anpassen lassen.
Kurz zusammengefasst:
- Trauer verändert nicht nur Gefühle, sondern auch das Gehirn: Botenstoffe wie Dopamin geraten aus dem Gleichgewicht, Oxytocin wird gehemmt, was Stimmung, Schlaf und Antrieb beeinträchtigt.
- Forschungen mit Tiermodellen zeigen, dass Bindungen biologisch verankert sind und ihr Verlust dieselben Systeme wie beim Menschen aktiviert.
- Neue Erkenntnisse über Gehirn, Mitochondrien und körperliche Folgen eröffnen Chancen für kombinierte Therapien, die psychologische und biologische Ansätze verbinden.
Übrigens: Depression betrifft nicht nur die Psyche, sondern verändert auch Erbgut und Immunsystem – mit messbaren Spuren in der DNA. Mehr dazu in unserem Artikel.
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