Stille Helfer: Tierkot beschleunigt Pflanzenwachstum um 100 Jahre und bremst den Klimawandel
Tierkot gegen den Klimawandel: Vikunjas machen karge Gletscherböden fruchtbar und beschleunigen das Pflanzenwachstum um 100 Jahre.
Die Erderwärmung verändert die Welt in rasantem Tempo: Gletscher, die seit Jahrtausenden das Antlitz der Erde prägen, schmelzen und hinterlassen karge, lebensfeindliche Böden. Doch ausgerechnet Tierkot von Vikunjas, wilden Verwandten der Lamas, weckt Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel. Diese Tiere, die in den Hochanden leben, schaffen mit ihren Exkrementen fruchtbare Inseln auf entgletscherten Flächen. Eine kürzlich in Scientific Reports veröffentlichte Studie zeigt, wie Vikunjas helfen, neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere entstehen zu lassen.
Vikunja-Latrinen: Kleine Wunder der Natur
In den Hochlagen der Anden, bis zu 5.500 Meter über dem Meeresspiegel, herrschen extreme Bedingungen. Nach dem Rückzug der Gletscher bleiben Böden zurück, die arm an Nährstoffen und Wasser sind. Dort können Pflanzen über ein Jahrhundert lang kaum Fuß fassen. Doch in der Nähe von Vikunja-Latrinen sieht es anders aus. Diese Gemeinschaftstoiletten, die von ganzen Gruppen der Tiere genutzt werden, verwandeln karge Flächen in kleine Oasen. Böden, die durch den Kot dieser Tiere angereichert werden, enthalten bis zu 62 Prozent organische Materie. Im Vergleich dazu weisen Böden, die seit 85 Jahren unberührt sind, lediglich 1,5 Prozent organische Substanz auf.
„Es ist interessant zu sehen, wie ein soziales Verhalten dieser Tiere Nährstoffe in ein nährstoffarmes Ökosystem überträgt“, erklärt Cliff Bueno de Mesquita, Forscher an der University of Colorado Boulder und Mitautor der Studie. Die Latrinen sorgen nicht nur für Nährstoffe wie Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, sondern stabilisieren auch das Klima in ihrer unmittelbaren Umgebung. „Es ist wirklich schwer für Dinge zu leben, aber diese organische Materie sorgte dafür, dass Temperaturen und Feuchtigkeitswerte nicht so stark schwankten“, ergänzt der Ökologe Steven Schmidt.
Tierkot bremst Klimawandel – Pflanzenwachstum in Rekordzeit
Die Forscher entdeckten, dass die Exkremente der Vikunjas die Zeit, die Pflanzen normalerweise benötigen, um sich in entgletscherten Gebieten anzusiedeln, um mehr als 100 Jahre verkürzen können. Die Tiere transportieren nicht nur Nährstoffe, sondern auch Pflanzensamen aus tiefer gelegenen Regionen in ihre Latrinen. Die Samen keimen dort und bilden eine Grundlage für neue Vegetation. Diese Pflanzen ziehen wiederum andere Tiere an, darunter seltene Arten, die vorher in diesen Höhen nicht überleben konnten. Kameras dokumentierten unter anderem Pumas, die in den neu begrünten Gebieten nach Beute suchen.
Die Forscher stellten außerdem fest, dass Vikunjas nicht nur Lebensräume für andere schaffen, sondern selbst von den entstehenden Pflanzen profitieren. Sie ernähren sich von der Vegetation, die rund um ihre Latrinen wächst, und schließen so den Kreislauf.
Schmelzende Gletscher: Ein Wettlauf gegen die Zeit
Trotz des positiven Einflusses der Vikunjas bleibt das Tempo des Klimawandels besorgniserregend. Zwischen 2000 und 2019 verloren Gletscher weltweit etwa 267 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Sollte die globale Erwärmung weiter voranschreiten, könnten bis zu 68 Prozent aller Gletscher verschwinden. In den Anden, aber auch in anderen Gebirgsregionen wie den Rocky Mountains, droht das Schmelzwasser knapp zu werden. Fast ein Viertel der Weltbevölkerung ist auf Gletscher- und Schneeschmelze als Wasserquelle angewiesen. Der Verlust könnte verheerende Auswirkungen auf Landwirtschaft und Wasserversorgung haben.
„Die Vikunjas sind wahrscheinlich eine Hilfe für einige alpine Organismen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass der gegenwärtige Klimawandel schneller abläuft, als es die meisten Arten bewältigen können“, warnt Bueno de Mesquita. Er bezeichnet den heutigen Klimawandel als „die schwerste Krise, der unser Planet und alle Lebewesen in den letzten 65 Millionen Jahren gegenüberstanden“.
Kurz zusammengefasst:
- Tierkot gegen den Klimawandel: Vikunjas in den Anden beschleunigen mit ihren Exkrementen das Pflanzenwachstum auf kargen Gletscherböden um 100 Jahre.
- Mikroklimata schaffen Leben: Vikunja-Latrinen stabilisieren Temperaturen und Feuchtigkeit, fördern die Ansiedlung von Pflanzen und locken seltene Tierarten an.
- Gletscher schmelzen rasant: Trotz der Hilfe der Vikunjas bedrohen Klimawandel und Gletscherschwund die Wasserversorgung und Lebensräume weltweit.
Bild: © Kelsey Reider/James Maddison University