Stammzellen altern im All in Rekordzeit – Was auf der Erde Jahre dauert, passiert dort in wenigen Wochen

Ein Experiment im All zeigt, wie sich Stammzellen unter Schwerelosigkeit verändern – und dabei deutlich schneller altern als auf der Erde.

Stammzellen altern im Weltraum früher als gedacht

Stammzellen verlieren im Weltraum schneller ihre Funktion und entwickeln sich anders als auf der Erde. © Unsplash

Lange Raumflüge greifen nicht nur Muskeln und Knochen an – sie verändern den menschlichen Körper auf zellulärer Ebene. Eine neue Untersuchung der University of California in San Diego zeigt, wie empfindlich menschliche Blutstammzellen auf das Leben im All reagieren: Sie altern beschleunigt, häufen Mutationen an und verlieren wichtige Funktionen. Die Erkenntnisse sind hochrelevant – nicht nur für künftige Marsmissionen, sondern auch für die Altersforschung auf der Erde.

Im Fokus standen sogenannte HSPCs – Blutstamm- und Vorläuferzellen, die das Immunsystem am Laufen halten. Schon nach wenigen Wochen im All gerieten sie aus dem Gleichgewicht: Sie teilten sich häufiger als normal, verloren ihre Ruhephasen und zeigten genetische Veränderungen, die man sonst erst im hohen Alter sieht. Der Grund: Bedingungen wie Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung setzen den Zellen stark zu.

Mini-Labore im All – so lief das Experiment ab

Für die Studie schickten die Forscher bei vier SpaceX-Flügen winzige Bioreaktoren zur ISS. Darin wuchsen menschliche Blutstammzellen, die während der Mission mithilfe von KI-gestützter Mikroskopie laufend überwacht wurden. Zum Vergleich blieben identische Zellkulturen auf der Erde. Nach 32 bis 45 Tagen analysierte das Team alle Proben – mit Fokus auf Zellteilung, Energiehaushalt und genetische Stabilität.

Schnellere Zellalterung, deutlich mehr Mutationen

Die Unterschiede waren frappierend:

  • Die Zellen teilten sich im All deutlich schneller.
  • Ihre Ruhephasen entfielen.
  • Die Fähigkeit zur Selbsterneuerung nahm ab.
  • Die Telomere, also die Schutzkappen an den Chromosomenenden, verkürzten sich.
  • Und: Im All bildeten sich im Schnitt 139 Punktmutationen pro Zelle – fünfmal so viele wie am Boden (29).

Das zeigt: Blutstammzellen im Weltraum altern schneller und verändern sich deutlich stärker.

Risiko für Immunschwäche und Krebs

Besonders betroffen war das Protein ADAR1, das Stammzellen normalerweise stabil hält. Es verlor im All an Aktivität. Gleichzeitig stieg der Entzündungsmarker Interleukin-6 stark an – ein Hinweis auf chronischen Stress im Zellmilieu. Die Folge:

  • Das Immunsystem wird geschwächt.
  • Infektionen und Autoimmunreaktionen werden wahrscheinlicher.
  • Kritische Mutationen wie ASXL1 oder KMT2A können Vorstufen von Blutkrebs sein.

Gerade mit Blick auf künftige Marsmissionen sind das zentrale Warnzeichen. Denn ein Marsflug dauert viele Monate – und der Körper wäre dabei dauerhaft derartigem Stress ausgesetzt.

Hoffnung durch junges Zellumfeld

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Einige Schäden lassen sich offenbar rückgängig machen. Nach ihrer Rückkehr wurden die geschädigten Zellen auf junges Knochenmarkgewebe gesetzt – mit überraschendem Effekt. Die Zellen erholten sich, ADAR1 wurde wieder aktiv, und die Entzündungswerte gingen zurück.

Besonders erfolgreich war das mit der Zelllinie HS-27A eines 30-jährigen Spenders. In diesem jungen Umfeld fanden die Stammzellen zu einem stabileren Zustand zurück. Das zeigt: Das biologische Umfeld entscheidet mit über die Regenerationsfähigkeit – ein möglicher Ansatzpunkt für Schutzmaßnahmen im All.

Unerwartete Genaktivität im All

Ein weiteres Phänomen: Teile des sogenannten „dunklen Genoms“ – normalerweise ruhende DNA-Abschnitte – wurden im All plötzlich aktiv. So stieg etwa die Aktivität von LTR45B, das mit bestimmten Leukämieformen assoziiert ist. Zudem traten typische Mutationen auf, die mit APOBEC-Enzymen in Verbindung stehen. Diese Enzyme gelten als möglicher Faktor bei der Krebsentstehung.

Warum das nicht nur Astronauten betrifft

Im All laufen Alterungsprozesse ab, für die Zellen auf der Erde Jahre bräuchten – und das in nur wenigen Wochen. Diese beschleunigte Zellalterung könnte zum Modell werden: für bessere Krebsdiagnostik, für neue Therapien, für Frühwarnsysteme.

Mögliche Anwendungen:

  • Altersbedingte Zellveränderungen schneller erkennen
  • Therapien für geschädigte Stammzellen entwickeln
  • KI-gestützte Zellüberwachung zur Risikoeinschätzung nutzen
  • Nanobioreaktoren in der medizinischen Forschung einsetzen

Der Weltraum als biologische Zeitmaschine

Die Studie zeigt: Der Weltraum ist ein natürlicher Zellbeschleuniger. Für Astronauten bedeutet das höhere Risiken – für die Medizin aber auch neue Möglichkeiten. Blutstammzellen reagieren besonders sensibel auf die Bedingungen im All. Wer besser verstehen will, wie der Mensch altert, kann den Weltraum als biologische Zeitmaschine nutzen.

Genau das planen die Forscher auch für kommende Missionen – damit Langzeitreisen ins All sicherer werden. Und damit wir auf der Erde lernen, was unsere Zellen wirklich altern lässt.

Kurz zusammengefasst:

  • Im Weltraum altern Stammzellen deutlich schneller: Sie teilen sich häufiger, verlieren ihre Regenerationsfähigkeit und sammeln fünfmal mehr Mutationen als auf der Erde.
  • Langzeitmissionen im All belasten das Immunsystem: Entzündungswerte steigen, wichtige Schutzmechanismen wie das ADAR1-Protein sinken – das kann das Risiko für Blutkrebs erhöhen.
  • Ein junges Zellumfeld kann Schäden teilweise rückgängig machen: Das eröffnet neue Chancen für Therapien gegen altersbedingte Krankheiten – auch hier auf der Erde.

Übrigens: Nicht alle Menschen altern gleich schnell – und wer 100 Jahre alt wird, folgt offenbar einem anderen biologischen Rhythmus. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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