Bonobo-Rufe: Warum die Affen viel menschlicher „sprechen“ als gedacht
Forscher haben die Rufe der Bonobos entschlüsselt und ihre Sprache erweist sich als ähnlich komplex wie die des Menschen.

Mia, ein junges Bonobo-Weibchen, antwortet mit Rufen auf weit entfernte Artgenossen. © Martin Surbeck, Kokolopori Bonobo Research Project
So wie Menschen Wörter zu Sätzen kombinieren, so ähnlich kombinieren auch Bonobos unterschiedliche Rufe und Laute. Dies geht aus einer gemeinsamen Studie der Universität Zürich (UZH) und der Harvard University hervor. Die Wissenschaftler haben gezeigt, dass die Sprache dieser Menschenaffen komplexer ist als bisher angenommen: Bonobos besitzen demnach nicht nur erstaunliche soziale Intelligenz, sondern auch eine menschenähnliche Syntax.
Das Geheimnis menschlicher Sprachen lautet „Kompositionalität“
Kompositionalität ist eine grundlegende Eigenschaft menschlicher Sprachen. So verbinden Menschen unterschiedliche Morpheme zu Wörtern (z. B.: „Bio“ + „logie“ ergibt „Biologie“) und Wörter zu Sätzen. Kompositionalität tritt sowohl in “trivialer” (einfacher) als auch “nontrivialer” (komplexer) Form auf.
Ein Beispiel für triviale Kompositionalität wäre „blonder Tänzer“: Das ist eine Person, die blond ist und ein Tänzer. Wäre diese Person ein Arzt, lässt sich davon ausgehen, dass die Person weiterhin blond bleibt. Beide Elemente tragen also unabhängig voneinander zur Bedeutung der Aussage bei.
„Schlechter Tänzer“ ist hingegen ein Beispiel für die nontriviale Kompositionalität: Damit ist nicht eine schlechte Person gemeint, die ein Tänzer ist, sondern eine Person, die schlecht im Tanzen ist. Wäre diese Person auch ein Arzt, ließe sich aus der ersten Aussage nicht schließen, dass sie auch ein schlechter Arzt ist – „schlecht“ hat hier also keine unabhängige, sondern eine ergänzende Bedeutung.
Bonobos verblüffen mit komplexen Lautkombinationen
Die Forschung vermutete bislang, dass nur Menschen zu nontrivialer Kompositionalität in der Lage sind. Bonobos widerlegen diese Annahme nun jedoch. Für ihre Untersuchung analysierten die Wissenschaftler insgesamt 700 Rufe von wilden Bonobos in verschiedenen Situationen. Dabei nutzten sie Methoden aus der linguistischen Semantik. Sie prüften, wie die Affen Laute miteinander kombinieren, und untersuchten, ob diese Kombinationen bloß einfache oder auch komplexe Bedeutungen ergeben.
Das Ergebnis: Alle sieben untersuchten Lauttypen der Bonobos wurden in verschiedenen Kombinationen genutzt. Vier dieser Kombinationen waren kompositionell, das heißt, ihre Bedeutung setzt sich aus einzelnen Lauten zusammen. Noch bemerkenswerter war, dass drei der vier Kombinationen komplex waren. Dabei verändert ein Laut die Bedeutung des anderen wesentlich.
Wie Forscher die Sprache der Bonobos interpretieren
Die Forscher ordneten bestimmten Lauten konkrete Bedeutungen zu. „Damit konnten wir eine Art Bonobo-Wörterbuch erstellen – eine vollständige Liste der Bonobo-Rufe und ihrer Bedeutungen“, erklärt Mélissa Berthet, Erstautorin und Postdoktorandin am Institut für Evolutionäre Anthropologie der UZH.
Einige Beispiele aus diesem Wörterbuch:
- Ein „Grunt“ fordert Aufmerksamkeit für die Aktivität des Rufenden
- „High-hoots“ signalisieren die Präsenz über größere Entfernungen
- „Low-hoots“ drücken Erregung aus
- Laute, wie „Peep“ oder „Yelp“, dienen der sozialen Koordination innerhalb der Gruppe
Komplexe Kombinationen aus diesen Lauten drücken spezifische soziale Situationen aus. Ein „High-hoot“ kombiniert mit einem „Low-hoot“ bedeutet etwa, dass der Bonobo Aufmerksamkeit fordert, weil er aufgeregt oder gestresst ist. Diese Kombination lässt sich nicht einfach durch die einzelnen Bedeutungen der Laute erklären.
Kompositionalität ist wohl eine uralte Fähigkeit
Für drei Lautkombinationen konnten die Wissenschaftler eindeutig eine komplexe, nicht triviale Kompositionalität feststellen. Eine dieser Kombinationen ist etwa „Peep“ und „Whistle“. Diese Kombination wird in sensiblen Situationen eingesetzt, zum Beispiel bei Rangstreitigkeiten oder Paarungen. Die Laute werden gezielt verbunden, um eine klare, situationsspezifische Botschaft zu übermitteln.
Laut der Studie ist diese Fähigkeit, komplexe Bedeutungen durch Lautkombinationen auszudrücken, möglicherweise tief in der Evolution verwurzelt.
Menschen und Bonobos hatten vor 7 bis 13 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren und teilen viele Merkmale ihrer Abstammung – wahrscheinlich auch die Kompositionalität ihrer Kommunikation.
Martin Surbeck, Co-Autor und Harvard-Professor
Simon Townsend, Professor für Primatenkommunikation an der UZH, ergänzt: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass unsere Vorfahren diese Fähigkeit bereits vor mindestens 7 Millionen Jahren besaßen – wenn nicht sogar früher“
Kurz zusammengefasst:
- Bonobos kombinieren ihre Rufe auf eine Weise, die komplexe Strukturen erkennen lässt, die menschlicher Sprache ähneln.
- Drei von vier Lautkombinationen zeigen eine nicht-triviale Kompositionalität, bei der sich die Bedeutung eines Lautes durch die Kombination verändert.
- Diese Fähigkeit galt bislang als einzigartig für den Menschen, wurde nun aber erstmals bei Bonobos wissenschaftlich nachgewiesen.
Bild: © Martin Surbeck, Kokolopori Bonobo Research Project