Ohne Sonne, ohne Jagd: Neu entdeckte Tiefseespinnen bauen eigene Nahrung auf ihrem Körper an
Forscher haben drei neue Arten von Tiefseespinnen entdeckt, die auf ihrem eigenen Körper und in kompletter Finsternis ihre Nahrung züchten.

Drei neue Arten von Tiefseespinnen haben eine ungewöhnliche Überlebensstrategie entwickelt, um sich von Methan zu ernähren. © Shana Goffredi
Forscher haben im Pazifik vor Kalifornien und Alaska drei neue Arten von Tiefseespinnen mit einer einzigartigen Überlebensstrategie entdeckt: Die Tiere züchten sich ihre eigene Nahrung auf den Panzer, und das ganz ohne auf Sonnenlicht angewiesen zu sein. Alle entdeckten Arten kommen ausschließlich an Orten vor, an denen Methan aus dem Meeresboden austritt: Ein Stoff, der als starkes Treibhausgas gilt und dessen Kreislauf in der Tiefsee bislang kaum erforscht ist.
Keine echte Spinne, dafür ein echt ungewöhnlicher Lebensraum
Der Name „Tiefseespinne“ kann in die Irre führen. Biologisch gehören diese Tiere nicht zu den Spinnentieren, sondern zur Klasse der Pycnogonida – auch bekannt als Asselspinnen. Ihr kleiner Körper mit vier bis sechs Beinpaaren gibt ihnen jedoch ein spinnenähnliches Aussehen.
Die Tiere der Gattung Sericosura wurden in 379 bis über 2.000 Meter Tiefe nachgewiesen, unter anderem am Del-Mar-Seep, einem Hotspot biologischer Vielfalt. Sie leben inmitten aktiver Methanquellen und auf ihrem Exoskelett tragen sie einen auffälligen Film an Bakterien. Dabei handelt es sich um sogenannte MMOx-Bakterien, die Methan oder Methanol oxidieren und dabei Energie gewinnen.
Bakterienfelder als zuverlässiger Energielieferant
Die Studie zu den ungewöhnlichen Meeresbewohnern zeigt jetzt: Die Spinnen nutzen Kohlenstoff, den die Bakterien aus Methan gewinnen, als Nahrung. Um dies herauszufinden, markierten die Forscher die Tiere in Laborexperimenten mit Methan und Methanol, welche mit einem stabilen Kohlenstoff-Isotop versehen wurden. Zur Kontrolle wurde das gleiche Experiment auch mit Flohkrebsen durchgeführt.
Nach fünf Tagen zeigte sich eine deutliche Anreicherung des Isotops im Verdauungsgewebe der Tiefseespinnen. Bei den Flohkrebsen zeigte sich hingegen kein derartiger Anstieg.
Elektronenmikroskopische Bilder belegen, dass die Bakterien regelmäßig angeordnete Felder auf dem Exoskelett der Spinnen bilden, eingebettet in eine schleimartige Substanz. In vielen Bereichen war diese Struktur beschädigt – ganz so, als wären einzelne Zellen gezielt entfernt worden. Laut den Forschern könnte der flexible Saugrüssel der Spinnen dazu eingesetzt werden, diese bakteriellen Ansiedlungen „abzuweiden“.
Innerhalb von fünf Tagen wiesen die Verdauungsgewebe der Tiefseespinnen eine deutliche Anreicherung mit dem [Kohlenstoff]-Isotop auf – ein Vorgang, der nur durch den Verzehr methanoxidierender Bakterien erklärbar ist.
Quelle: Studie

Drei Bakterienfamilien arbeiten zusammen
Auf dem Panzer der Spinnen fanden die Forscher drei spezialisierte Bakteriengruppen:
- Methylomonadaceae, also Methanverwerter, machten mit bis zu 61 Prozent den größten Anteil der gefundenen Bakterien aus
- Methylophagaceae sind Methanolverwerter und machten nur bis zu 2 Prozent aus
- Methylophilaceae wurden in den Eiersäcken der Tiere nachgewiesen und machen bis zu 5,5 Prozent aus
Diese Mikroben teilen sich offenbar die Arbeit: Eine nutzt Methan, eine andere verarbeitet das dabei entstehende Methanol weiter. Genetische Analysen bestätigen dies.
Am Del-Mar-Seep trugen zudem 50 Prozent der gesichteten Männchen Eiersäcke, in denen sich dieselben Bakterien befinden. Es ist also nicht nur so, dass diese Tiefseespinnen sich eine einzigartige Nahrungsquelle zugelegt haben – sie geben diese offenbar auch direkt an die nächste Generation weiter.
Methan als Lebensgrundlage in der Tiefsee
Andere Lebewesen der Tiefsee, die in der Nähe natürlicher Methanquellen leben, haben ähnliche Lösungen entwickelt. So gibt es bestimmte Arten von Schwämmen und Muscheln, die mit zumindest einer dieser Bakterienfamilien eine Symbiose eingegangen sind. Bis heute wurde aber noch kein Tier entdeckt, dass alle drei für sich nutzt – keines, außer eben diesen Tiefseespinnen.
Kurz zusammengefasst:
- Tiefseespinnen der Gattung Sericosura züchten methanverwertende Bakterien direkt auf ihrem Körper und ernähren sich davon.
- Die Bakterien oxidieren Methan oder Methanol und liefern so organische Nährstoffe, die die Spinnen aktiv aufnehmen.
- Analysen zeigen, dass die Bakteriengemeinschaft über Eiersäcke an die nächste Generation weitergegeben wird.
Übrigens: Nicht nur Tiefseespinnen überraschen mit cleverer Selbstversorgung – auch andere Meeresbewohner faszinieren. Eine neu entdeckte Riesenassel trägt Darth Vaders Namen und erobert gerade Vietnams Küchen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Shana Goffredi