Nachts verbrennt das Gehirn Fett – und schützt so vor Unterzucker
Auch ohne Essen bleibt der Blutzucker nachts stabil – eine spezielle Nervenzellgruppe im Gehirn zieht dafür heimlich die Fäden.

Im Schlaf greift das Gehirn aktiv in den Stoffwechsel ein: Spezielle Nervenzellen sorgen dafür, dass der Blutzuckerspiegel stabil bleibt – ganz ohne Nahrung. © Pexels
Nachts passiert etwas Erstaunliches im Körper: Obwohl stundenlang keine Nahrung aufgenommen wird, bleibt der Blutzuckerspiegel erstaunlich konstant. Kein Zittern, kein Schwächegefühl, keine Unterzuckerung – der Organismus versorgt sich zuverlässig selbst. Lange dachte man, dieser Prozess liege allein in der Hand von Hormonen wie Insulin oder Glucagon. Doch nun zeigt eine neue Untersuchung der University of Michigan: Eine spezielle Nervenzellgruppe im Hypothalamus greift aktiv in den nächtlichen Zuckerhaushalt ein – das Gehirn steuert den Blutzucker offenbar weit mehr, als bisher angenommen.
Gehirn aktiviert gezielt den Fettabbau
Die Zellen, sogenannte VMHCckbr-Neuronen, sitzen im Hypothalamus, einer tiefen Hirnregion. In den ersten Stunden der Schlafphase veranlassen sie den Körper, gespeicherte Fette zu mobilisieren. Dabei entsteht Glycerol – ein Stoff, den die Leber in Zucker umwandelt. So bleibt der Glukosespiegel konstant, auch ohne neue Nahrungszufuhr.
Studienleiterin Alison Affinati erklärt:
In den ersten vier Stunden nach dem Zubettgehen sorgen diese Neuronen dafür, dass Sie genügend Glukose haben, damit Sie über Nacht nicht unterzuckert werden.
Die Forscher deaktivierten diese Neuronen bei Mäusen. Die Folge: Der Blutzuckerspiegel fiel in der frühen Schlafphase deutlich ab. Gleichzeitig sank die Glycerolmenge im Blut um 38 Prozent – ein Zeichen für eingeschränkten Fettabbau. Die Tiere zeigten jedoch weder verändertes Gewicht noch geänderte Futteraufnahme.
Als die Forscher die Neuronen gezielt aktivierten, stiegen Blutzucker, Glycerol und Ketonkörper messbar an. Entscheidend war ein spezieller Botenstoff: der β3-Adrenozeptor. Ohne ihn blieben die Fettzellen passiv. Die Neuronen funktionieren also unabhängig von bekannten Hormonen wie Glucagon oder Insulin.
Neue Erklärungen für nächtlich erhöhte Zuckerwerte
Viele Menschen mit Prädiabetes haben morgens zu hohe Glukosewerte, obwohl sie abends nichts gegessen haben. Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass überaktive VMHCckbr-Neuronen nachts möglicherweise zu viel Fett abbauen. Die Leber wandelt diesen Überschuss an Glycerol in Zucker um – unbemerkt, aber mit Langzeitfolgen.
Diese neuen Erkenntnisse könnten helfen:
- die Ursachen nächtlicher Glukose-Anstiege besser zu verstehen
- neue Therapien bei beginnendem Diabetes gezielter einzusetzen
Das Gehirn denkt voraus – nicht nur in Notfällen
Die Regulation des Blutzuckers ist komplexer als bisher gedacht. Während bei akuten Unterzuckerungen andere Hirnzellen aktiv werden, übernehmen die VMHCckbr-Neuronen die Kontrolle im normalen Schlaf-Wach-Rhythmus.
Sie greifen nicht auf gespeicherten Zucker in der Leber zurück. Auch die typischen Enzyme für Glukoseproduktion bleiben unbeeinflusst. Stattdessen setzen sie gezielt auf den Abbau von Fett und die Bereitstellung von Glycerol.
Möglicher Durchbruch für Diagnostik und Therapie
Wenn sich diese Mechanismen beim Menschen bestätigen, könnten neue Behandlungsansätze entstehen. Medikamente, die gezielt auf diese Nervenzellen oder den β3-Adrenozeptor wirken, wären denkbar – gerade bei nächtlicher Unterzuckerung oder gestörtem Stoffwechsel.
Kurz zusammengefasst:
- Das Gehirn steuert Blutzucker im Schlaf, indem spezielle Neuronen Fett abbauen lassen und so kontinuierlich Glukose bereitstellen.
- Diese VMHCckbr-Neuronen wirken unabhängig von Hormonen wie Insulin, arbeiten über den β3-Adrenozeptor und aktivieren gezielt den Fettstoffwechsel.
- Bei überaktiver Steuerung kann es zu erhöhten Zuckerwerten am Morgen kommen; neue Möglichkeiten für die Behandlung von Prädiabetes sind denkbar.
Übrigens: Manchmal wirkt der Blutzucker im Labor völlig normal und trotzdem bahnt sich Diabetes schon an. Eine neue KI erkennt das Risiko vor einem Bluttest. Mehr dazu in unserem Artikel.
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