Warum das Gehirn Multitasking nicht schafft – und dabei Energie verschwendet
Multitasking überfordert das Gehirn: Eine neue Studie zeigt, wie Aufmerksamkeit funktioniert – und warum echte Konzentration Energie spart.

Wenn das Gehirn zu viele Aufgaben gleichzeitig bewältigen soll, schaltet es in den Energiesparmodus – die Aufmerksamkeit zerfällt in einzelne Fragmente. © Pexels
Im Alltag prasseln ständig Reize auf uns ein – Gespräche, Benachrichtigungen, Verkehrslärm. Trotzdem schaffen wir es meist, uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Wie das Gehirn diesen Balanceakt meistert, haben Neurowissenschaftler der Hebrew University of Jerusalem untersucht. Ihre Studie zeigt, dass Multitasking das Gehirn überfordert – und dass Konzentration nur gelingt, wenn es Ablenkungen gezielt ausblendet.
Das Gehirn reagiert nicht einfach auf Reize, sondern steuert aktiv, welche Informationen wichtig sind und welche keine Beachtung finden. Diese Fähigkeit bestimmt, ob wir fokussiert bleiben oder den Überblick verlieren. Das Team um Israel Nelken vom Edmond and Lily Safra Center for Brain Sciences fand heraus: Der Hörkortex – jener Bereich, der Klänge verarbeitet – arbeitet dabei wie ein innerer Taktgeber. Er hilft dem Gehirn, Aufmerksamkeit und Verhalten so zu koordinieren, dass wir zur richtigen Zeit auf das Wesentliche reagieren.
Das Gehirn steuert Aufmerksamkeit im Takt der Aufgabe
Um diesen Mechanismus zu prüfen, trainierten die Forscher Ratten darauf, in einer Arena auf bestimmte Laute zu reagieren. Jeder Ton stand für eine Futterstelle. Während die Tiere ihre Aufgaben lösten, zeichneten Elektroden die Aktivität von mehr als 1200 Nervenzellen im Hörzentrum auf.
Rund ein Drittel der Zellen reagierte dabei nicht auf die Laute selbst, sondern auf den Ablauf der Aufgabe. Manche Nervenzellen wurden aktiv, bevor ein Ton erklang, andere erst danach. Das Gehirn arbeitet also mit einem inneren Rhythmus, der sich am Verhalten orientiert.
„Unser Gehirn reagiert nicht einfach auf Klänge. Es gestaltet aktiv mit, wie sie dargestellt werden“, erklärt Nelken. Entscheidend ist nicht der Ton an sich, sondern der Zeitpunkt, an dem er wichtig wird. Aufmerksamkeit folgt damit dem Handlungsablauf.
Das Gehirn spart Energie, wenn wir fokussiert sind
Viele kennen das Gefühl geistiger Ermüdung nach intensiver Konzentration. Die Studie erklärt, warum das entsteht und wie das Gehirn gleichzeitig Energie spart. Während des Fokussierens steigt die Grundaktivität im Hörkortex, während die Reaktion auf einzelne Reize schwächer ausfällt. Das wirkt widersprüchlich, ist aber effizient: Das Gehirn reagiert weniger stark, dafür gezielter.
Ein Computermodell half, diesen Effekt zu verstehen. Wenn viele Nervenzellen gleichzeitig aktiv sind, stören sie sich gegenseitig. Eine leicht erhöhte Grundaktivität dämpft vorübergehend die Verbindungen zwischen den Zellen und senkt so das Hintergrundrauschen. Wichtige Signale treten klarer hervor.
Aufmerksamkeit funktioniert also wie ein Filter. Sie verstärkt nicht alles, sondern lässt Relevantes durch und schwächt Überflüssiges ab.
Multitasking fordert das Gehirn und senkt die Aufmerksamkeit
Das erklärt auch, warum Multitasking anstrengend ist. Das Gehirn kann nicht mehrere anspruchsvolle Aufgaben parallel mit gleicher Präzision steuern. Es priorisiert fortlaufend und verschiebt Energie dorthin, wo sie gerade gebraucht wird. Die Studie zeigt:
- Konzentration ist ein aktiver Prozess. Das Gehirn schaltet gezielt Bereiche ein oder ab.
- Der Hörkortex steuert Aufmerksamkeit auch dann, wenn keine Geräusche präsent sind.
- Effizienz entsteht, indem störende Signale unterdrückt werden, nicht durch generelle Verstärkung.
Aufmerksamkeit ist damit kein Dauerzustand, sondern ein Wechselspiel aus Aktivierung und Ruhe – je nach Situation.
Wie Lernen die Wahrnehmung verändert
Über mehrere Wochen lernten die Versuchstiere, sechs verschiedene Laute zu unterscheiden. Die Trefferquote stieg von etwa 30 auf 64 Prozent. Dabei blieb die Struktur der neuronalen Aktivität stabil – unabhängig davon, ob ein Durchgang gelang. Der Hörkortex entwickelte eine eigene Zeitstruktur, die sich mit dem Verhalten der Tiere synchronisierte.
Solche inneren Taktgeber kennt man auch aus dem Hippocampus, der für Gedächtnis und Orientierung wichtig ist. Offenbar organisiert das Gehirn seine Aktivität nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich, um Informationen im passenden Moment zu verarbeiten.
Das Gehirn ordnet Reize nach Timing statt Lautstärke
Einige Nervenzellen blieben über mehrere Sekunden aktiv, obwohl kein Ton mehr zu hören war. Sie folgten dem Ablauf der Aufgabe, nicht dem Geräusch. Das zeigt: Der auditorische Kortex verfolgt die Zeit einer Handlung mit. Das Gehirn erkennt nicht nur, was geschieht, sondern auch, wann etwas relevant wird.
Diese Fähigkeit hilft, Reize richtig einzuordnen – beim Lesen, im Gespräch oder beim Musikhören. Aufmerksamkeit hängt weniger von Lautstärke ab als vom richtigen Moment. Das Gehirn reagiert nicht hektisch, sondern präzise – genau dann, wenn es darauf ankommt.
Kurz zusammengefasst:
- Das Gehirn steuert Aufmerksamkeit aktiv: Es entscheidet, welche Reize wichtig sind, und filtert Störendes gezielt heraus, um Energie zu sparen.
- Der Hörkortex spielt dabei eine Schlüsselrolle: Er arbeitet wie ein innerer Taktgeber und synchronisiert Wahrnehmung und Verhalten im richtigen Moment.
- Konzentration ist kein Dauerzustand: Sie entsteht durch das Wechselspiel von Aktivierung und Ruhe – das Gehirn reagiert weniger stark, aber deutlich präziser.
Übrigens: Forscher der University of Michigan haben einen bislang unbekannten Zelltyp entdeckt, der wie ein innerer Kompass im Gehirn funktioniert. Wird er geschädigt, verliert das Gehirn seine Fähigkeit zur Orientierung – ein früher Schlüssel zum Verständnis von Alzheimer. Mehr dazu in unserem Artikel.
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