Mikroplastik erreicht die Antarktis – selbst ihr zähestes Insekt ist betroffen
Sogar das widerstandsfähigste Insekt der Antarktis hat Mikroplastik im Körper – ein alarmierender Befund.
In der Antarktis trägt selbst die widerstandsfähige Mücke Belgica antarctica Spuren von Mikroplastik in sich. © Jack Devlin
Plastik findet sich inzwischen an jedem Ort der Erde. Es treibt in Flüssen, sammelt sich in den Meeren und erreicht nun auch das Eis der Antarktis: Erstmals wurde dort Mikroplastik in einem Tier nachgewiesen, das in dieser extremen Umgebung lebt: der Mücke Belgica antarctica. Selbst dieses winzige Insekt bleibt von der globalen Belastung nicht verschont.
Wissenschaftler aus den USA und Italien entdeckten Kunststofffragmente in der Mücke – dem einzigen Insekt, das dauerhaft auf dem antarktischen Kontinent vorkommt. Die Studie entstand mit Unterstützung der europäischen Forschungseinrichtung CERIC-ERIC, beteiligt war auch die University of Kentucky.
Mikroplastik erreicht den Boden der Antarktis und ihre kleinsten Bewohner
Die winzige Mücke, nur wenige Millimeter groß, gilt als wahres Anpassungswunder. Sie übersteht Temperaturen bis minus 40 Grad und lebt in feuchten Böden entlang der Küstenregionen. Weil sie im Nährstoffkreislauf der Antarktis eine wichtige Rolle spielt, wirkt sich ihr Zustand direkt auf das gesamte Ökosystem aus.

Für ihre Untersuchung sammelten die Forscher Larven aus 13 Regionen der Antarktis. Mit modernen Analyseverfahren suchten sie nach Plastikresten im Verdauungssystem der Tiere. In zwei von 29 Proben fanden sich tatsächlich winzige Partikel – rund sieben Prozent der untersuchten Larven waren betroffen.
„Dank moderner Bildgebung konnten wir erstmals Mikroplastikfragmente im Verdauungstrakt wilder Larven nachweisen“, sagt Elisa Bergami von der Universität Modena und Reggio Emilia. Der Fund belegt, dass selbst die abgelegensten Böden der Erde nicht mehr frei von Kunststoff sind.
Mikroplastik schwächt Energiereserven der antarktischen Insekten
Im Labor prüften die Wissenschaftler, wie Mikroplastik auf die Tiere wirkt. Sie setzten Larven zehn Tage lang unterschiedlichen Konzentrationen aus. Selbst bei hohen Dosen überlebten die Insekten und ihr Stoffwechsel blieb stabil. Auffällig war jedoch: Mit steigender Belastung nahmen ihre Fettreserven ab.
„Wir beobachteten bei hohen Dosen einen Rückgang der Lipidreserven – das könnte den Energiestoffwechsel beeinträchtigen und im antarktischen Winter Folgen haben“, sagt Jack Devlin, Erstautor der Studie und Forscher an der University of Kentucky. In der Kälte hängt das Überleben der Tiere von ihren Energievorräten ab – schon kleine Verluste können entscheidend sein.
Ein Insekt als Indikator für Umweltveränderungen
Laut Studienkoordinator Nicholas Teets von der University of Kentucky ist Belgica antarctica mehr als ein biologisches Kuriosum. Sie gilt als Indikator für Veränderungen im empfindlichen Ökosystem der Antarktis. Wenn selbst dieses widerstandsfähige Insekt Mikroplastik aufnimmt, deutet das auf eine tiefere Durchdringung der Umwelt hin.
Mikroplastik gelangt auf verschiedene Wege auf den Kontinent:
- über Meeresströmungen und Winde aus anderen Regionen
- durch menschliche Aktivitäten wie Forschung oder Tourismus
- über Seevögel und Robben, die Plastikpartikel an Land tragen
Obwohl die Konzentrationen derzeit gering sind, warnt das Forschungsteam vor möglichen Langzeitfolgen für das Bodenleben der Antarktis.
Hightech-Methoden decken Mikroplastik selbst in entlegenen Regionen auf
In der Antarktis herrschen extrem empfindliche Bedingungen – schon kleinste Mengen an Fremdstoffen, etwa Plastikpartikel aus Laborgeräten, Kleidung der Forscher oder Verpackungen, können Messergebnisse verfälschen oder die fragile Umwelt beeinflussen. „Diese Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, Verunreinigungen durch wissenschaftliche Aktivitäten selbst zu minimieren“, erklärt Lisa Vaccari von Elettra Sincrotrone Trieste. Ihr zufolge müsse Forschung in diesen Regionen unter strengsten Sauberkeitsstandards stattfinden.
Um zusätzliche Belastungen zu vermeiden, setzte das Team auf nicht-invasive Analyseverfahren wie Mikro-FTIR- und Raman-Spektroskopie. Diese Methoden ermöglichen es, Mikroplastik zu identifizieren, ohne die Proben zu zerstören oder neue Rückstände einzubringen. Mit hochsensiblen Geräten konnten so selbst winzigste Kunststoffpartikel bis in den Mikrometerbereich sichtbar gemacht werden.
Diese Technologie erlaubt es erstmals, menschliche Einflüsse präzise zu erfassen – selbst in Regionen, die bisher als unberührt galten.
Kurz zusammengefasst:
- Mikroplastik ist selbst in der Antarktis angekommen. Forscher fanden winzige Kunststoffpartikel im einzigen dort heimischen Insekt, der Mücke Belgica antarctica – ein Zeichen, dass kein Lebensraum mehr unberührt bleibt.
- In zwei von 29 untersuchten Larven fanden sich Plastikreste; im Labor zeigte sich, dass hohe Mengen die Energiereserven der Tiere verringern können.
- Wenn selbst widerstandsfähige Arten in der Antarktis Plastik aufnehmen, könnte das langfristig die empfindlichen Ökosysteme des Kontinents verändern.
Übrigens: Was sich heute in der Antarktis abspielt, hat ein Vorbild in der Vergangenheit. Schon vor 9.000 Jahren löste warmes Tiefenwasser eine massive Eisschmelze aus. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Jack Devlin
