Von Tsunami-Steinen bis Deichbau: Altes Wissen zeigt, wie Klimaanpassung heute gelingt
Historische Bauweisen, Rituale und Saatgut zeigen, wie kulturelles Erbe heute entscheidend zur Klimaanpassung beitragen kann.

Tradition auf Stelzen: Pfahlhäuser bei Semporna in Malaysia zeigen, wie altes Bauen bis heute Schutz vor Überschwemmungen bietet. © Wikimedia
Die Klimakrise zwingt uns, neue Wege zu gehen – und zugleich alte Pfade wiederzuentdecken. Denn nicht jede Lösung muss neu erfunden werden. Über Jahrhunderte haben Menschen auf allen Kontinenten Techniken, Bauweisen und Rituale entwickelt, um mit Naturgefahren umzugehen. Viele davon sind in Vergessenheit geraten, doch eine aktuelle Studie Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) belegt: Dieses Wissen ist für die Gegenwart wertvoller denn je.
Schon im Alten Ägypten bauten Menschen künstliche Erhöhungen, um ihre Siedlungen vor Überschwemmungen zu schützen. In Griechenland legten sie vor mehr als 3.000 Jahren komplexe Entwässerungssysteme an, die teilweise noch heute funktionieren. Und im Nordseeraum siedelten Gemeinschaften jahrhundertelang nur auf Hügeln, um den Sturmfluten zu trotzen.
Kulturelles Erbe als Werkzeug zur Klimaanpassung
Die Botschaft ist klar: Kulturelles Erbe ist nicht bloß Erinnerung, sondern ein Werkzeugkasten für die Zukunft. „Kulturerbe ist nicht nur ein gefährdetes Gut, sondern auch eine wichtige Ressource für die Anpassung an den Klimawandel“, sagt die Autorin der Studie, Teresa Erbach.
Ob Hochwasser, Dürren oder extreme Stürme – alte Bauweisen und überlieferte Techniken können helfen, mit den Folgen umzugehen. Das niederländische Programm „Room for the River“ griff nach den schweren Überschwemmungen der 1990er-Jahre auf jahrhundertealte Methoden zurück: Umgehungskanäle und Überschwemmungsflächen.
Auch traditionelle Architektur kann Vorbild sein:
- Häuser auf Stelzen in Thailand schützen vor Fluten.
- Zyklonfeste Bauweisen in der Karibik widerstehen tropischen Stürmen.
- Mediterrane Dachkonstruktionen sorgen für natürliche Kühlung ohne Energieaufwand.
All das spart Kosten, stärkt Resilienz und verhindert, dass Fehler der Vergangenheit wiederholt werden.
Tradition stärkt das Wir-Gefühl
Klimaanpassung bedeutet nicht nur Technik, sondern auch soziale Stabilität. Wenn kulturelle Identität und Traditionen in Anpassungsstrategien einfließen, steigt die Akzeptanz.
„Kulturerbe fungiert als Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und kann gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“, so Erbach. Ein Beispiel: Nach dem Tsunami 2004 in Banda Aceh wurde ein Fischerboot, das die Wellen ins Landesinnere getragen hatten, zum Symbol der Gemeinschaft – es ersetzte frühere, spaltende Narrative.
Alte Techniken bringen neue Einnahmen
Neben Wissen und Identität geht es auch um Geld. Historische Infrastruktur wie alte Kanäle kann reaktiviert werden und spart so Ressourcen. Tourismus profitiert ebenfalls, wenn traditionelle Landschaften oder Bauweisen gepflegt werden. Und altes Handwerk bietet Einkommen, etwa für umgesiedelte Gemeinschaften.
Gerade in Krisenzeiten ist das ein stabilisierender Faktor. Wirtschaftliche Chancen entstehen dort, wo Kulturerbe nicht nur erhalten, sondern aktiv genutzt wird.
Rituale helfen, Verluste zu bewältigen
Der Klimawandel zerstört Lebensräume, Landschaften und vertraute Orte. Doch Kulturerbe kann helfen, diesen Verlust zu verarbeiten. Rituale, Symbole und Geschichten geben Halt.
In Japan erinnern Tsunami-Steine daran, nicht in gefährdeten Zonen zu bauen. Auf der indonesischen Insel Simeulue überlieferten Lieder den Bewohnern Verhaltensregeln für den Fall einer Flut – und retteten so nachweislich Leben.
Das macht deutlich: Anpassung gelingt besser, wenn auch emotionale und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden.

Migration braucht kulturelle Sensibilität
Manchmal zwingt der Klimawandel ganze Gemeinschaften, ihre Heimat zu verlassen. Hier entscheidet sich, ob Kulturerbe zur Ressource oder zum Hindernis wird.
„Ein starker Bezug zu einer Gemeinschaft oder einem Ort – als Teil der eigenen Kultur und Identität – kann sowohl ein Hindernis für die Anpassung […] als auch eine Ressource sein“, erklärt Erbach. Umsiedlungen gelingen nur, wenn Traditionen und kulturelle Bedürfnisse der Menschen mitbedacht werden. Sonst drohen Identitätsverluste und soziale Brüche.
Wissen aus der Vergangenheit ergänzt moderne Technik
Auch moderne Frühwarnsysteme profitieren von historischem Wissen. Alte Überlieferungen helfen, Naturgefahren besser einzuschätzen. Archäologische Daten liefern Erkenntnisse darüber, wie frühere Gesellschaften mit Dürren oder Überschwemmungen umgingen.
Diese Informationen ergänzen heutige Modelle und tragen dazu bei, Risiken realistischer einzuschätzen. So entsteht ein Zusammenspiel von Hightech und historischem Wissen.
Politische Konflikte um das, was bewahrt wird
Die Studie macht aber auch klar: Die Frage, wie Kulturerbe in Klimaanpassung integriert wird, ist politisch. Unterschiedliche Werte, Interessen und Machtverhältnisse entscheiden darüber, was geschützt oder aufgegeben wird.
In wohlhabenden Ländern wird etwa diskutiert, wie historische Stadtbilder und ästhetische Aspekte in Schutzinfrastrukturen einfließen können. In ärmeren Regionen geht es dagegen vor allem um Verhaltensänderungen wie Migration oder den Aufbau neuer Lebensgrundlagen.
Neue Realitäten für Küstenstädte
Mit dem steigenden Meeresspiegel stehen Küstenregionen vor der Entscheidung, Altes zu sichern oder Neues zu wagen. In manchen Ländern werden historische Deiche und Schutzanlagen verstärkt, anderswo entstehen schwimmende Siedlungen als ganz neues Kapitel des Bauens. Auf den Malediven entsteht eine komplette Nachbarschaft auf schwimmenden Plattformen, in Amsterdam lebt bereits eine Gemeinschaft dauerhaft auf dem Wasser.

Schwimmende Architektur als Teil der Klimaanpassung
Der niederländische Architekt Koen Olthuis sieht im Wasser nicht nur Gefahr, sondern eine Ressource. Seine Entwürfe für schwimmende Häuser und ganze Stadtviertel eröffnen neue Räume zum Wohnen, werfen aber auch Fragen auf: Wem gehört das Wasser, welche Regeln gelten dort – und wie lässt sich Tradition mit neuen Bauformen verbinden? Während die Niederlande hier vorangehen, zögern andere Länder noch, diesen Bruch mit vertrauten Lebensweisen zuzulassen.
Kurz zusammengefasst:
- Kulturelles Erbe liefert erprobte Strategien für die Klimaanpassung, etwa im Hochwasserschutz, in der Landwirtschaft oder durch traditionelle Bauweisen.
- Es stärkt Gemeinschaft und Identität, erleichtert den Umgang mit Verlusten und eröffnet wirtschaftliche Chancen, zum Beispiel durch Handwerk oder Tourismus.
- Die Einbindung von Kulturerbe in Anpassungsstrategien macht Lösungen ganzheitlicher, weil sie technische, soziale, emotionale und politische Aspekte verbindet.
Übrigens: Auch moderne Ideen für Klimaanpassung sind auf dem Vormarsch. In Mannheim zeigt ein Neubauviertel, wie Wasser recycelt und Starkregen besser aufgefangen werden kann – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © CEphoto, Uwe Aranas via Wikimedia unter CC BY-SA 3.0