Indiens Kühe fressen Küchenreste – und könnten damit das Klima entlasten
Aus Küchenresten wird Tierfutter: In Bengaluru entsteht eine Kreislaufwirtschaft, die Kühe nährt, Bauern hilft und das Klima entlasten könnte.

In Bengaluru füttern viele Kleinbauern ihre Kühe mit Küchenabfällen – eine Praxis, die Teil einer informellen Kreislaufwirtschaft geworden ist. © Universität Vechta
In Bengaluru, einer der am schnellsten wachsenden Metropolen Indiens, pulsiert das Leben – zwischen IT-Firmen, Markthändlern und frei laufenden Kühen. Inmitten des Trubels entstehen täglich Tonnen von Lebensmittelabfällen: Obst, Gemüse, Küchenreste. Was andernorts als Müll gilt, wird hier zu einer stillen Ressource. Denn viele Kleinbauern greifen genau auf diese Essensreste als Tierfutter zurück – und schaffen damit ein ungewöhnliches Modell der Kreislaufwirtschaft.
Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Vechta und der Universität Kassel untersucht nun in einem groß angelegten Projekt, wie dieser Futterkreislauf funktioniert – und ob er zugleich Umwelt, Klima und Tierwohl entlasten kann.
Was Tierfutter aus Abfällen leisten muss
Ziel der Forschung ist es, die Kreislaufwirtschaft beim Tierfutter zu verstehen und auf ihre Praxistauglichkeit hin zu bewerten. Das umfasst:
- die Auswirkungen auf die Verdauung und Methanproduktion der Tiere
- die hygienische Qualität des Futters und mögliche Krankheitsrisiken
- soziale und infrastrukturelle Aspekte, etwa Transport, Verfügbarkeit und Gerechtigkeit
Im Fokus steht eine zentrale Frage: Kann diese Art der Fütterung helfen, den Methanausstoß zu senken und gleichzeitig die Tiere gesund halten?
Weniger Methan dank Küchenresten?
Wiederkäuer wie Kühe erzeugen beim Verdauen große Mengen Methan, vor allem bei der Zersetzung von Gras und Silofutter. Das Gas gilt als besonders klimaschädlich – es wirkt rund 25-mal stärker als Kohlendioxid.
Vorläufige Ergebnisse des Projekts zeigen: Kühe, die mit Gemüse- oder Obstresten gefüttert werden, stoßen messbar weniger Methan aus. Für ein Land wie Indien mit über 300 Millionen Rindern wäre das eine bedeutende Veränderung. Die Tiere könnten so zu einem Baustein im Kampf gegen die Erderwärmung werden – vorausgesetzt, die Methode lässt sich unter hygienisch sicheren Bedingungen umsetzen.
Futterqualität entscheidet über Tiergesundheit
Doch genau hier liegt ein kritischer Punkt. Nicht alle Abfälle sind geeignet: Schimmel, Keime oder Rückstände aus der Gastronomie können Krankheiten auslösen. Prof. Eva Schlecht, Agrarwissenschaftlerin an der Universität Kassel, warnt: „Es liegt auf der Hand, dass verdorbenes oder verschmutztes Futter ein Risiko darstellt.“ Sie verweist auf frühere Epidemien in Europa wie BSE oder die Maul- und Klauenseuche, die mit mangelnder Futtermittelhygiene in Verbindung standen.
Die Forscher prüfen daher, unter welchen Bedingungen die Nutzung von Küchenresten als Tierfutter unbedenklich ist und wie man solche Kreisläufe in Zukunft sicher gestalten kann.
Abfälle als Ressource für Kleinbauern
In Bengaluru entstehen täglich große Mengen an organischen Abfällen – auf Märkten, in Restaurants, Kantinen oder Privathaushalten. Diese Reste landen nicht immer auf der Müllkippe. Viele Kleinbauern holen sich das, was noch verwertbar ist, direkt ab – oft mit Handkarren oder kleinen Lieferwagen. Die Transportwege sind kurz, das Futter kostenlos oder günstig.
„Während sich Abfälle in Haushalten, auf Märkten, in der Gastronomie oder der Lebensmittelindustrie oft noch nicht vermeiden lassen, schauen wir gezielt darauf, wie man sie wenigstens weiter verwerten kann. Und die Kleinbauern in Indien tun genau das“, erklärt Studienautorin Prof. Amelie Bernzen von der Universität Vechta.
„Rurbane“ Strukturen machen das System möglich
Das Besondere an Bengaluru: Stadt und Land liegen hier eng beieinander. Viele Bauern leben in peri-urbanen Zonen – also in Regionen, die gleichzeitig ländlich und städtisch geprägt sind. Die Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von „rurbanen“ Strukturen. Diese Mischung macht es möglich, dass Abfälle aus der Stadt direkt in die tierische Ernährung ländlicher Haushalte einfließen können.
Ein Ziel des Projekts ist es deshalb auch, zu untersuchen, ob sich solche Verbindungen auf andere Regionen übertragen lassen – etwa in afrikanischen oder südostasiatischen Ländern, in denen ähnliche Bedingungen herrschen.
Verwerten statt verschwenden: Was das Projekt leisten will
Die Forscher wollen praxisnahe Empfehlungen geben – für Landwirte, Stadtverwaltungen und politische Entscheidungsträger. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:
- Welche Arten von Abfällen eignen sich für welche Tiere?
- Wie lässt sich die Futterhygiene verlässlich kontrollieren?
- Welche sozialen Gruppen haben Zugang zu den Abfällen – und welche nicht?
Die Forscher setzen dabei auf lokale Interviews, Messdaten zur Methanemission, tiermedizinische Begleitung und geografische Analysen. Die Kombination aus Agrar-, Umwelt- und Sozialforschung soll künftig ein umfassendes Bild liefern, wie die lokale Kreislaufwirtschaft gelingen kann.
Kurz zusammengefasst:
- In Bengaluru nutzen Kleinbauern Küchen- und Marktabfälle als günstiges Tierfutter – eine Form der Kreislaufwirtschaft, die Umwelt, Klima und Haushalte entlasten könnte.
- Forschende der Universität Vechta und Universität Kassel untersuchen, ob diese Fütterung tatsächlich den Methanausstoß verringert und unter welchen hygienischen Bedingungen sie sicher ist.
- Ziel des Projekts ist es, aus diesen Erkenntnissen praktikable Lösungen für andere Regionen zu entwickeln, in denen Stadt und Land eng verzahnt sind.
Übrigens: Was in Bengaluru als Tierfutter dient, wird andernorts zur Speise für den Menschen – dank Pilzfermentation aus Lebensmittelabfällen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Amelie Bernzen / Universität Vechta