Geheimnis um Homo floresiensis gelüftet – Echte Hobbits hatten winzige Gehirne und waren trotzdem schlau
Homo floresiensis war nur etwa 1,06 m groß und hatte ein winziges Gehirn – dennoch jagten die „Hobbits“ Tiere, nutzten Werkzeuge und Feuer.

Gesichtsrekonstruktion von Homo floresiensis: Die „Hobbits“ von Flores waren kaum größer als ein Kind und hatten winzige Gehirne – dennoch nutzten sie Werkzeuge und Feuer. © Wikimedia
Wie viel Gehirn braucht es, um menschlich zu handeln? Diese Frage beschäftigt Anthropologen seit Jahrzehnten. Lange schien die Antwort klar: Größere Gehirne bedeuteten mehr Intelligenz und komplexere Fähigkeiten. Doch ein Fund auf einer kleinen indonesischen Insel hat dieses Bild auf den Kopf gestellt.
Im Jahr 2003 entdeckten Forscher in der Liang-Bua-Höhle auf der indonesischen Insel Flores ein fast vollständiges Skelett einer Frau. Sie war kaum größer als ein Kind, wog rund 29 Kilogramm – und ihr Gehirn hatte ein Volumen von nur 360 Kubikzentimetern. Das ist kleiner als bei allen heute lebenden Menschen und vergleichbar mit frühen Vormenschen. Trotzdem lebte sie in einer Kultur, die Werkzeuge herstellte, Feuer nutzte und Tiere jagte. Die Wissenschaft gab der Art den Namen Homo floresiensis – bekannt auch als „Hobbit“.
Entdeckung in einer Höhle bringt Überraschung
Die Überreste lagen fast sechs Meter tief im Boden der Höhle, rund 14 Kilometer von der Stadt Ruteng entfernt. Datierungen ergaben ein Alter von bis zu 700.000 Jahren, die jüngsten Funde reichen noch bis vor 60.000 Jahren. Besonders erstaunlich: Homo floresiensis lebte also zeitgleich mit dem modernen Menschen.
„Der wahrscheinlichste Grund für seine Existenz auf Flores ist eine langfristige Isolation, mit anschließendem Zwergwuchs einer Vorläuferpopulation von Homo erectus“, erklärten die Forscher in ihrer Erstbeschreibung. Der Hobbit war also kein primitives Relikt, sondern ein Verwandter, der sich an besondere Lebensbedingungen angepasst hatte.

Insel zwingt zum Schrumpfen
Flores war eine abgeschiedene Welt. Es gab keine großen Raubtiere, aber auch nur begrenzte Nahrung. Solche Bedingungen führen bei Tierarten oft zu „Inselzwergwuchs“. Der Hobbit ist ein Paradebeispiel dafür – genauso wie der Zwerg-Elefant Stegodon sondaarii, der zeitgleich auf Flores lebte und von den Hobbits gejagt wurde.
Neue Analysen zeigen nun: Das Schrumpfen bei Homo floresiensis begann nicht schon im Mutterleib, sondern erst nach der Geburt. Die Zähne waren klein wie bei modernen Menschen, doch das Gehirn blieb ungewöhnlich winzig. Die Forscher vermuten, dass Homo floresiensis so klein blieb, weil sein Körperwachstum nach der Geburt gebremst war – wahrscheinlich hing das mit einem Wachstumsfaktor (IGF-1) zusammen, der im Körper die Größe steuert.
Neue Studie untersucht Zähne und Gehirne
In einer aktuellen Untersuchung wurden 15 fossile Menschenarten miteinander verglichen. Entscheidend waren drei Messgrößen: die Länge der Weisheitszähne, das Gehirnvolumen und die Körpermaße. Dabei zeigte sich ein deutliches Muster:
- Je kleiner die Weisheitszähne, desto größer das Gehirn – dieser Zusammenhang gilt für fast alle Arten.
- Der Zusammenhang war sehr eindeutig: Bei den Zähnen im Oberkiefer stimmte die Beziehung zwischen Zahn- und Gehirngröße zu rund 80 Prozent überein.
- Ältere Hominiden hatten große Weisheitszähne und kleine Gehirne, jüngere Arten dagegen kleinere Zähne und größere Gehirne.
Homo floresiensis wich jedoch klar ab: Er besaß sehr kleine Weisheitszähne, aber gleichzeitig ein extrem kleines Gehirn. Das deutet auf einen ungewöhnlichen Wachstumsverlauf hin.
Homo luzonensis zeigt Parallelen
Ein weiteres Beispiel liefert Homo luzonensis, entdeckt auf der philippinischen Insel Luzon. Von ihm sind nur Zähne und wenige Knochen erhalten. Der dritte Backenzahn war mit 7,5 Millimetern noch kleiner als beim Hobbit. Auch hier vermuten die Forscher eine extreme Anpassung an die isolierte Insellage, verbunden mit kleinem Körperbau.
Diese Parallelen sprechen für eine konvergente Evolution: Mehrere Inselpopulationen entwickelten sich unabhängig voneinander in dieselbe Richtung – klein, leicht und mit reduzierten Gehirnvolumina.
Zähne als wertvolles Archiv
Zähne sind für die Forschung besonders nützlich. Sie bestehen überwiegend aus anorganischem Material und überdauern Jahrtausende besser als andere Knochen. Oft bleiben von Fossilien nur Zähne übrig. Aus ihnen lassen sich trotzdem Hinweise auf Körpergröße und Gehirn ableiten. Die neue Methode der Zahn-Gehirn-Analyse macht es möglich, selbst kleinste Funde in größere evolutionäre Zusammenhänge einzuordnen.
Die Analyse der Knochen brachte zudem weitere spannende Details:
- Das Becken war breit gebaut, ein klarer Hinweis auf zweibeiniges Gehen.
- Die Oberschenkelknochen maßen nur 28 Zentimeter – kürzer als bei fast allen bekannten Homininen.
- Der Schädel war dickwandig und langgestreckt, in Teilen ähnlich wie bei Homo erectus.
- Werkzeuge in den gleichen Erdschichten belegen die Fähigkeit, Tiere zu jagen und Fleisch zu verarbeiten.
Damit wird deutlich: Auch mit kleinem Gehirn konnte Homo floresiensis komplex handeln. „Homo floresiensis zeigt, dass die Gattung Homo morphologisch variabler und flexibler auf ihre Umwelt reagieren konnte, als bisher gedacht“, so die Forscher.
Kleine Gehirne, große Fähigkeiten
Dass ein winziges Gehirn nicht automatisch mangelnde Intelligenz bedeutet, unterstreicht der Werkzeuggebrauch. In den Höhlenfunden fanden sich Schneidwerkzeuge und Spuren von Feuerstellen. Offensichtlich konnte Homo floresiensis mit seinen Mitteln erstaunlich effektiv überleben.
Für die Anthropologie ist das ein Wendepunkt. Jahrzehntelang galt die Annahme: Je größer das Gehirn, desto höher die Intelligenz. Der Hobbit widerlegt diese einfache Gleichung. Körpergröße, Wachstum und ökologische Zwänge spielten ebenso entscheidende Rollen.
Kurz zusammengefasst:
- Homo floresiensis lebte vor 700.000 bis 60.000 Jahren auf Flores, war nur gut 1 Meter groß und hatte ein Gehirnvolumen von rund 360 cm³ – trotzdem jagte er Tiere, nutzte Werkzeuge und Feuer.
- Eine neue Studie zeigt: Der Zwergwuchs entstand, weil das Wachstum nach der Geburt gebremst wurde, vermutlich durch den Wachstumsfaktor IGF-1.
- Normalerweise bedeuten kleine Weisheitszähne ein großes Gehirn – doch Homo floresiensis war die Ausnahme und beweist, dass Intelligenz nicht allein von der Gehirngröße abhängt.
Übrigens: Nicht nur die „Hobbits“ von Flores stellen unser Bild der Menschheitsgeschichte infrage – auch ein eine Million Jahre alter Schädel aus China rückt den Ursprung des Homo sapiens viel weiter zurück. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: Cicero Moraes via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0