Der Ton macht die Sprache
Um Sprache zu verstehen, konzentriert sich das Gehirn nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den Ton – und das früher als gedacht.

Das Gehirn nimmt Tonhöhen in der Sprache nicht nur als Klang wahr, sondern leitet daraus Informationen ab, die für Betonung und Bedeutung entscheidend sind. © Pexels
Wie Menschen Sprache verstehen, hängt nicht nur von den Wörtern selbst ab, sondern auch von deren Klang. Dies zeigt eine neue Studie der Northwestern University. Das Gehirn nimmt subtile Tonhöhenveränderungen nicht nur als Klang wahr, sondern leitet daraus gezielt sprachliche Informationen ab. Die Forschungsergebnisse könnten weitreichende Auswirkungen auf die Sprachtherapie und künstliche Intelligenz haben.
Lange Zeit nahm man an, dass der sogenannte Gyrus temporalis superior (obere temporale Gyrus) im Gehirn für die Verarbeitung von Prosodie verantwortlich ist – also für jene Tonhöhenmuster, die Bedeutung, Absicht und Betonung in der Sprache vermitteln. Die aktuelle Untersuchung legt jedoch nahe, dass auch der Heschl’sche Gyrus eine zentrale Rolle spielt.
Gehirn interpretiert Sprachmelodie schneller als gedacht
Bisher wurde dieser Bereich hauptsächlich mit der allgemeinen Verarbeitung von Höreindrücken in Verbindung gebracht. Laut Bharath Chandrasekaran, Hauptautor der Studie und Professor an der Northwestern University, widerlegen die neuen Erkenntnisse diese Annahme: „Die Ergebnisse definieren unser Verständnis der Architektur der Sprachwahrnehmung neu.”
Sein Team untersuchte, wie das Gehirn kleinste Tonhöhenunterschiede in der Sprache erkennt und abstrahiert. Wie sich zeigt, bildet es stabile Muster, um diese zu verstehen – auch wenn die Tonhöhen in jeder Situation variieren. Diese Entdeckung könnte erklären, warum Menschen Betonung und Absichten trotz unterschiedlicher Sprecher erkennen.
Epilepsie-Patienten liefern entscheidende Daten
Um diese Mechanismen zu erforschen, arbeiteten die Wissenschaftler mit der University of Pittsburgh zusammen und untersuchten elf jugendliche Patienten mit Epilepsie. Ihnen waren im Zuge einer neurochirurgischen Behandlung Elektroden in das Gehirn implantiert worden.
„Typischerweise stützt sich die Kommunikations- und Sprachforschung auf nicht-invasive Aufzeichnungen von der Hautoberfläche, was sie zugänglich, aber nicht sehr präzise macht“, erklärt der Neurochirurg Dr. Taylor Abel von der University of Pittsburgh. Die direkte Messung im Gehirn habe daher neue Einblicke ermöglicht, die zuvor nicht zugänglich waren.
Gehirnwellen zeigen frühe Prosodie-Verarbeitung
Die Patienten hörten eine Audioversion von „Alice im Wunderland“, während die Forscher ihre Gehirnaktivität aufzeichneten. Die Daten belegen, dass der Heschl’sche Gyrus die Sprachmelodie früher verarbeitet als bisher angenommen. Zudem wird dort nicht nur der Klang an sich erkannt, sondern bereits in Bedeutung umgewandelt.
Die Forscher verglichen diese Erkenntnisse mit früheren Untersuchungen an Primaten. Zwar können Affen akustische Reize verarbeiten, doch ihre Gehirne abstrahieren die Informationen zu Tonhöhen nicht so wie Menschen. Diese Fähigkeit könnte einen der grundlegenden Unterschiede zwischen menschlicher und tierischer Kommunikation erklären und eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung menschlicher Sprache gespielt haben.
Was die Studie für Sprachtherapie und künstliche Intelligenz bedeutet
Die Forschungsergebnisse könnten weitreichende Folgen haben. Chandrasekaran erklärt: „Unsere Erkenntnisse könnten die Sprachrehabilitation, KI-gestützte Sprachassistenten und unser Verständnis davon, was die menschliche Kommunikation einzigartig macht, revolutionieren.“
Besonders für Menschen mit Sprachstörungen wie Dysprosodie oder Sprachdefiziten nach einem Schlaganfall könnten neue Therapieansätze entstehen. KI-Sprachassistenten wiederum könnten zukünftig prosodische Nuancen besser verstehen und natürlicher reagieren.
Kurz zusammengefasst:
- Eine Studie der Northwestern University zeigt, dass das Gehirn Tonhöhen nicht nur als Klang wahrnimmt, sondern daraus sprachliche Informationen ableitet, die für Betonung und Bedeutung entscheidend sind.
- Der Heschl’sche Gyrus spielt dabei eine größere Rolle als bisher angenommen und verarbeitet Sprachmelodie früher als andere Hirnregionen, was mit präzisen Messungen bei Epilepsie-Patienten nachgewiesen wurde.
- Diese Erkenntnisse könnten neue Ansätze für die Sprachtherapie und künstliche Intelligenz ermöglichen, indem sie helfen, Sprachstörungen besser zu behandeln und KI-Systeme natürlicher auf Sprache reagieren zu lassen.
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