Gesichter ohne Namen: Das Leben mit Gesichtsblindheit

Hunderte Menschen in Deutschland können keine Gesichter wiedererkennen: Schuld ist eine Krankheit, die auch „Gesichtsblindheit“ genannt wird.

Prosopagnosie

Menschen mit Prosopagnosie können keine Gesichter wiedererkennen – dass das Probleme mit sich bringt, ist nicht schwer vorzustellen. © Pexels

Prosopagnosie, auch als Gesichtsblindheit bekannt, ist eine bislang wenig bekannte und äußerst seltene Störung. Diese Erkrankung macht es Betroffenen unmöglich, Gesichter wiederzuerkennen – eine Alltagshürde, die ständige Unsicherheit im sozialen Umgang zur Folge hat.

Wie häufig ist Gesichtsblindheit?

Die Ärztin Martina Grüter und Prof. Ingo Kennerknecht vom Institut für Humangenetik an der Universität Münster haben durch die Analyse von etwa 50 Stammbäumen festgestellt, dass Prosopagnosie oft familiär vererbt wird – gibt es innerhalb einer Familie einen Fall, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es weitere gibt. Die Forschung, die sich über zwei Jahre erstreckte, deckte zudem auf, dass die Störung weit verbreiteter ist, als bisher angenommen. In Deutschland sind bereits rund hundert Fälle diagnostiziert worden. Eine Studie der Universität Münster hat aufgezeigt, dass mindestens zwei Prozent der Schüler in Münster darunter leiden.

Die Herausforderung im Alltag und die wissenschaftliche Reise

Martina Grüter betont die Bedeutung der Diagnose: „Das wichtigste Kriterium ist das sichere Erkennen von Gesichtern. Diese Gewissheit, Menschen sofort zuordnen zu können, fehlt Prosopagnostikern.“ Betroffene erfahren im medizinischen Alltag oft, dass sie angeblich gesund seien und sich nur mehr konzentrieren müssten. Vor der systematischen Suche Grüters waren weltweit lediglich zehn Einzelfälle von angeborener Prosopagnosie dokumentiert.

Strategien gegen die Unsichtbarkeit

Trotz der Schwierigkeiten im Umgang mit der Störung entwickeln viele Betroffene unbewusst Strategien, um Personen anhand ihrer Stimme oder Körperhaltung wiederzuerkennen. Diese Anpassungen sind besonders im Kindesalter wichtig, da Kinder ohne diese Strategien oft ausgegrenzt werden und Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte zu knüpfen. Martina Grüter und ihr Ehemann Dr. Thomas Grüter, der ebenfalls an der Forschung seiner Frau beteiligt ist, haben daher zusammen einen Leitfaden für Eltern und Lehrer entwickelt, um den Umgang mit betroffenen Kindern zu erleichtern und ihre Integration in Schulen zu fördern.

Keine sichtbaren Veränderungen im Gehirn

Die Forschung steht jedoch vor Herausforderungen: Obwohl bekannt ist, dass die sogenannte Fusiform Area im Gehirn eine Rolle beim Erkennen von Gesichtern spielt, sind die genauen Prozesse im Gehirn, die bei Prosopagnosie eine Rolle spielen, noch nicht vollständig entschlüsselt. Dr. Thomas Grüter erklärt, dass es bei Prosopagnostikern keine sichtbaren Veränderungen im Gehirn gibt, die auf diese Störung hinweisen würden, was die Suche nach der Ursache deutlich erschwert.

Ein Blick in die Zukunft

Die Forschung an der Universität Münster setzt sich fort, um die genetischen Ursachen der Prosopagnosie besser zu verstehen und Diagnosemethoden zu verfeinern. „Wissenschaftlich ist das sehr reizvoll, weil wir eine genau umschriebene Gruppe haben, die alle denselben genetischen Defekt haben müssen“, so Martina Grüter über die Bedeutung dieser Forschung für die wissenschaftliche Gemeinschaft und Betroffene gleichermaßen.

Was du dir merken solltest:

  • Prosopagnosie („Gesichtsblindheit“) ist eine Krankheit, die es Betroffenen unmöglich macht, Gesichter wiederzuerkennen, was zu ständiger Unsicherheit im sozialen Umgang führt.
  • Die Forschung von Martina Grüter und Prof. Ingo Kennerknecht an der Universität Münster hat offenbart, dass Prosopagnosie häufig genetisch bedingt ist und zudem weit häufiger auftaucht, als zuvor angenommen – mit hundert bereits diagnostizierten Fällen in Deutschland.
  • Die Forschung nach den Ursachen gestaltet sich weiterhin schwer, da bei Prosopagnostikern keine Veränderungen im Gehirn sichtbar sind – Betroffene können sich aber Strategien aneignen, um trotz Krankheit feste soziale Kontakte zu knüpfen.

Bild: © Pixabay via Pexels

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