Fruchtfliegen auf Kokain: Was ihre Sucht über den Menschen verrät

Fruchtfliegen nehmen freiwillig Kokain. Ihre Reaktionen helfen, menschliche Suchtmechanismen besser zu verstehen.

Fruchtfliegen auf Kokain: Was ihre Sucht über uns verrät

Wird der Bittergeschmack ausgeschaltet, entwickeln Fruchtfliegen schon nach 16 Stunden eine Vorliebe für Kokain. © Wikimedia

Ein kleines Insekt, das freiwillig Kokain konsumiert – klingt nach Labor-Skurrilität. Doch hinter diesem Versuch steckt ein ernstes Ziel: ein besseres Verständnis von Sucht. Denn wer in Deutschland oder den USA mit Kokainabhängigkeit kämpft, stößt oft an Grenzen. Noch immer gibt es kein zugelassenes Medikament, das gezielt gegen diese Form der Abhängigkeit hilft. Und weltweit wächst das Problem: In den USA sind rund 1,5 Millionen Menschen betroffen – mit steigender Tendenz.

Fruchtfliegen auf Kokain: Suchtverhalten zeigt sich schon nach 16 Stunden

Die genetisch veränderten Fruchtfliegen, mit denen Forscher jetzt arbeiten, könnten zum Wendepunkt in der Therapieforschung werden. Sie sind nicht nur einfach zu züchten und genetisch manipulierbar – sie besitzen auch rund 75 Prozent der Gene, die beim Menschen mit Krankheiten in Verbindung stehen. Diese Nähe macht sie überraschend wertvoll für die medizinische Forschung.

Der Clou: Die Forscher der University of Utah haben es geschafft, die Tiere so zu verändern, dass sie trotz des bitteren Geschmacks von Kokain anfangen, es freiwillig zu konsumieren – allerdings nur in niedriger Dosis, wie es in ihrer Studie heißt. Schon nach 12 bis 18 Stunden entschieden sich die Fliegen regelmäßig für die Kokainlösung statt für das normale Zuckerwasser. „Sie entwickeln eine klare Vorliebe – und das extrem schnell“, erklärt Studienleiter Adrian Rothenfluh.

Das Verhalten der Tiere erinnert in vielem an den Menschen. „Bei niedrigen Dosen werden sie hyperaktiv und rennen wild herum – genau wie Menschen“, so Rothenfluh. „Und bei sehr hohen Dosen sind sie komplett handlungsunfähig. Auch das kennt man beim Menschen.“

Adrian Rothenfluh (links) und Pearl Cummins-Beebee (rechts) begutachten im Labor eine Flasche mit Fruchtfliegen. © Caitlyn Harris / University of Utah Health
Adrian Rothenfluh (links) und Pearl Cummins-Beebee (rechts) begutachten im Labor eine Flasche mit Fruchtfliegen. © Caitlyn Harris / University of Utah Health

Warum Fruchtfliegen sich eigentlich instinktiv gegen Kokain wehren

Normalerweise meiden Fruchtfliegen Kokain. „Fliegen mögen Kokain überhaupt nicht“, sagt Rothenfluh. Das liegt an ihrem natürlichen Abwehrmechanismus gegen Pflanzengifte. „Kokain ist ein Gift aus Pflanzen. Fliegen haben Geschmackssensoren an den Beinenden, mit denen sie erkennen: Das will ich nicht anfassen“, erklärt der beteiligte Forscher Travis Philyaw. Erst durch gentechnische Eingriffe, bei denen diese Bitter-Sensoren ausgeschaltet wurden, begannen die Tiere, das Kokain freiwillig zu konsumieren.

Die Forscher sehen darin ein neues Fenster in die Biologie der Sucht. Denn jetzt lässt sich erstmals beobachten, wie ein Tier sich für die Droge entscheidet – und wie sich diese Entscheidung im Gehirn verankert.

Gene gezielt testen, um schneller zu helfen

Die neue Methode spart Zeit – und könnte Leben retten. Denn um die genetischen Ursachen von Sucht zu verstehen, braucht es ein Modell, das viele Gene in kurzer Zeit untersuchen kann. Philyaw erklärt: „Mit Fliegen können wir die Forschung enorm beschleunigen. Wir entdecken Gene, die in komplexeren Organismen nur schwer zu finden wären – und geben diese Erkenntnisse an Forscher mit Säugetiermodellen weiter.“

Das Ziel: schneller zu neuen Therapieansätzen kommen. Denn je besser man versteht, welche Gene den Weg in die Abhängigkeit begünstigen, desto gezielter lassen sich Medikamente entwickeln.

Fruchtfliegen zeigen überraschend, wie Sucht im Kopf beginnt

Die Kokainsucht ist ein leises Problem mit tödlichem Risiko. Wer betroffen ist, kämpft oft jahrelang mit Rückfällen. Die Forschung bietet bislang kaum wirksame Hilfe. Dieses neue Modell verspricht nun einen Durchbruch – zumindest auf dem Weg zur Erkenntnis. Und die beginnt im Kleinen: mit einer Fliege, die tut, was sie sonst nie tun würde.

„Schon das simple Fliegenhirn zu verstehen, kann uns Einsichten liefern, die wir nie erwartet hätten“, sagt Rothenfluh. „Grundlagenforschung ist wichtig – man weiß nie, welche Entdeckung am Ende große Auswirkungen auf unser Verständnis vom Menschen hat.“

Kurz zusammengefasst:

  • Genetisch veränderte Fruchtfliegen entwickeln schon nach 16 Stunden eine Vorliebe für Kokain, wenn ihr Bittergeschmack ausgeschaltet ist.
  • Die Tiere zeigen dabei ähnliche Verhaltensmuster wie Menschen und eignen sich daher gut zur Erforschung von Suchtmechanismen.
  • Weil Fruchtfliegen rund 75 Prozent der krankheitsrelevanten menschlichen Gene besitzen, lassen sich genetische Risikofaktoren für Kokainsucht besonders schnell untersuchen.

Übrigens: Während Forscher mit Fruchtfliegen neue Therapien gegen Kokainsucht erproben, zeigt eine andere Studie: Auch Alkohol wird oft zur Falle – gerade in Gesellschaft. Wer in geselliger Runde trinkt, konsumiert oft mehr und riskiert schneller eine Abhängigkeit. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Alexis via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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