Wir stehen kurz davor, zu verstehen, wie RNA Moleküle Leben entstehen ließen
Forscher zeigen, wie sich RNA-Moleküle unter urzeitlichen Bedingungen selbst vervielfältigen konnten – ein möglicher Ursprung von Leben.

RNA-Moleküle gelten als mögliche Urform des Lebens – sie speichern Information und treiben chemische Prozesse voran. © Unsplash
RNA-Moleküle gelten als Bausteine des Lebens. Forscher haben nun ein System entwickelt, das zeigt, wie sich diese Moleküle unter frühen Umweltbedingungen möglicherweise selbst vervielfältigten. Der Ansatz löst ein zentrales Problem der Ursprungsforschung: RNA-Stränge kleben zu stabil aneinander, um sich einfach zu replizieren – und damit Leben entstehen zu lassen.
RNA besteht aus Nukleotiden, die Informationen speichern und Reaktionen katalysieren können. Doch sobald zwei Stränge eine Doppelhelix bilden, lassen sie sich kaum mehr trennen – es sei denn, man erhitzt sie auf über 90 Grad. „RNA-Doppelstränge funktionaler Länge und Konzentration […] verhalten sich im Wesentlichen als inerte, ‚Sackgassen‘-Produkte“, erklärt Studienautor James Attwater von University College London (UCL).
Trinukleotide stabilisieren Einzelstränge über 300 Stunden
Im Labor gelang es nun, dieses sogenannte „Strangtrennungsproblem“ zu umgehen. Der Schlüssel waren kurze RNA-Bausteine, sogenannte Trinukleotid-Triphosphate. Sie docken an einzelne RNA-Stränge an und verhindern, dass sich diese wieder paaren – ähnlich wie Klettverschluss-Abdeckungen.
Schon wenn diese Triplets nur zu einem der beiden Stränge passen, verlangsamen sie das Wiederverkleben um das 200-Fache. Werden beide Stränge passend beschichtet, bleiben sie über 300 Stunden getrennt – genug Zeit, um neue Stränge zu kopieren. Das erlaubt eine kontrollierte Replikation, wie sie am Ursprung des Lebens nötig gewesen wäre.
Wie RNA-Moleküle unter Kältebedingungen die Grundlage für Leben schufen
Das neu entwickelte System funktioniert in einem einfachen physikalischen Kreislauf. Zunächst wird der RNA-Doppelstrang in saurer Lösung und bei 80 °C getrennt. Danach wird die Lösung neutralisiert und eingefroren. In den Flüssigphasen zwischen den Eiskristallen läuft dann die eigentliche Replikation ab – bei minus 7 Grad, wo sich Salz- und Substratkonzentrationen erhöhen.
Die Ergebnisse überraschten selbst die Forscher: Ein Zyklus brachte bereits eine Ausbeute von bis zu 53 Prozent. Nach vier Zyklen vervielfachte sich die Anzahl der RNA-Stränge pro Startmolekül – bis zu zwei A⁻-Stränge (207 Prozent) und ein A⁺-Strang (104 Prozent), heißt es in der Studie.
Exponentielles Wachstum auch ohne Startvorlage möglich
Im nächsten Schritt testeten die Wissenschaftler, ob diese Methode auch mit zufälligen RNA-Sequenzen funktioniert. Sie gaben eine Mischung aus 64 verschiedenen Triplets in die Lösung – ohne spezifische Vorlage. Tatsächlich entstanden nach mehreren Zyklen neue RNA-Produkte, deren Länge und Menge stetig zunahmen.
Sogar ohne jegliche Startsequenz bildeten sich Strukturen mit Ähnlichkeit zu jenen des verwendeten Enzymsystems. Diese Entwicklung deutet auf eine Art fragmentierte Selbstreplikation hin – ein Mechanismus, der schon früh im molekularen Evolutionsprozess eine Rolle gespielt haben könnte.
Selbstreplikation erreicht bis zu 60.000-fache Verstärkung
Die Forscher beobachteten bei bestimmten RNA-Fragmenten eine exponentielle Vervielfältigung – bis zu 1,38-fach pro Zyklus. Nach 40 Wiederholungen kam es zu einer bis zu 60.000-fachen Verstärkung einzelner Sequenzen. Diese Effekte traten auch bei Fragmenten des Replikationssystems selbst auf, was auf eine mögliche Selbstkopie einzelner Bestandteile hinweist. Damit konnte erstmals gezeigt werden, dass RNA unter natürlichen Umweltbedingungen zu komplexeren Strukturen heranwachsen kann.
Prinzip könnte frühe genetische Codes beeinflusst haben
Das Team machte dabei eine überraschende Entdeckung: Viele der neu gebildeten RNA-Sequenzen ähnelten im Aufbau bestimmten Mustern, wie sie auch heute noch im Erbgut vorkommen. Diese Kombinationen (Codons) sind besonders stabil – selbst wenn sich der letzte Baustein verändert, bleibt ihre Bedeutung gleich. Genau solche Muster könnten es früher ermöglicht haben, dass sich Informationen zuverlässig speichern und weitergeben ließen. Das wirkt fast so, als würde die Chemie von allein in Richtung eines funktionierenden Bauplans für Leben steuern.
Die Forscher vermuten, dass dieser chemische Selektionsprozess eine Rolle dabei gespielt haben könnte, wie sich erste genetische Codes entwickelten. Statt zufälliger Sequenzen bevorzugte das System solche mit hoher Replizierbarkeit – ein möglicher Schlüssel zur Entstehung genetischer Information.
Erkenntnisse liefern Bausteine für künftige Experimente
Die Ergebnisse zeigen, dass RNA unter einfachen Umweltbedingungen nicht nur stabil sein kann, sondern sich auch effizient selbst kopieren lässt – sogar ohne Enzyme, wie sie heutige Organismen nutzen. Mit dieser Methode lassen sich künftig weitere Fragen zur Entstehung von Leben im Labor untersuchen.
„Replikation ist fundamental für die Biologie. In gewisser Weise ist das der Grund, warum wir überhaupt existieren“, sagte Attwater. Der nun entwickelte Kreislauf bringt die Forschung diesem Ursprung einen entscheidenden Schritt näher.
Kurz zusammengefasst:
- RNA-Moleküle könnten der Ursprung von Leben sein, weil sie Informationen speichern und chemische Reaktionen auslösen können.
- Forscher haben gezeigt, dass sich solche Moleküle unter wechselnden Bedingungen aus Hitze, Kälte und Säure selbst vervielfältigen können – ohne Enzyme.
- Kurze RNA-Bausteine verhindern, dass sich die Stränge sofort wieder verbinden, und ermöglichen so eine effektive Replikation im Labor.
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