„Er ist wie mein kleiner Bruder“ – Familien entwickeln Gefühle für sozialen Roboter Luka
Ein sozialer Roboter half Kindern beim Lesenlernen – Jahre später bleibt er als vertrauter Begleiter im Familienalltag erhalten.

Für viele Kinder wurde der soziale Roboter mehr als ein Lernhelfer – er war Spielgefährte, Trostspender und stiller Zeuge ihrer Kindheit. © Dr. Zhao Zhao, Universität Guelph
Er ist nur 24 Zentimeter groß, hat leuchtende Augen und liest Bilderbücher vor. Luka, ein kleiner sozialer Roboter, wurde ursprünglich entwickelt, um Vorschulkinder beim Lesenlernen zu unterstützen. Doch das Experiment nahm eine unerwartete Wendung und gibt nun Einblicke in die emotionale Verbindung zwischen Mensch und Maschine.
Vier Jahre nach dem Start des Projekts kehrte das Forschungsteam in die Haushalte von 20 Familien zurück. Die Kinder waren inzwischen im Grundschulalter. Die Bücher, die Luka früher vorgelesen hatte, galten längst als überholt. Doch der Roboter war nicht verschwunden. Er war geblieben.
Kleine Maschine, große Rolle
Die Studie, bei der auch die University of Guelph mitwirkte, zeigt: Technik kann mehr als nur funktionieren. Aus dem digitalen Vorleser wurde ein fester Bestandteil des Familienalltags – mit emotionaler Bedeutung, Erinnerungswert und festen Ritualen.
Zentrale Eckdaten der Untersuchung:
- Teilnehmer: 20 Familien mit Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren
- Zeitraum: Erhebung 2021, Nachbefragung 2025
- Gerät: Vorleseroboter mit Kamera, Bildschirm und Lautsprecher
- Ergebnis: 18 von 19 Familien behielten den Roboter
In 14 Haushalten war Luka weiterhin im Einsatz – als Musikgerät, Spielgefährte oder Erinnerungsstück. Zehn Familien nutzten ihn noch gelegentlich zum Vorlesen. Oft stand er sichtbar im Wohnzimmer, dekoriert mit Namensschild oder gehäkelter Unterlage. Viele behandelten ihn wie ein Familienmitglied.

Roboter wird zum Familienmitglied
Die Befragungen zeigen: Eltern und Kinder entwickelten enge Bindungen zum Roboter. Für viele war er kein Gegenstand, sondern ein Wesen mit Persönlichkeit. Ein Kind sagte:
Luka ist wie mein kleiner Bruder.
Beobachtungen zur emotionalen Beziehung:
- In zwölf Familien bestand eine enge emotionale Bindung
- Acht Kinder sahen Luka als Freund oder Familienmitglied
- Mehr als zehn Kinder dachten, der Roboter könne traurig oder einsam sein
- Eltern sorgten für regelmäßiges Aufladen und vermieden einen leeren Akku
- In mehreren Fällen spendete Luka Trost – etwa bei Dunkelheit oder Einsamkeit
Auch einige Eltern hingen an ihm und erzählten, dass sie Luka vor allem für sich selbst behielten – als Erinnerung an Gutenachtgeschichten und erste Lernschritte ihrer Kinder.
Zwischen Abschied und Andenken: Was von Luka bleibt
Viele Erwachsene betrachteten Luka nicht mehr als Lernhilfe, sondern als Erinnerung an eine besondere Zeit. In elf Familien wurde er als Symbol für elterliche Fürsorge oder den Lernerfolg des Kindes gesehen.
Einige Eltern präsentierten den Roboter Gästen und berichteten stolz von der Lernphase. Andere erzählten, wie sie Luka abends zudeckten oder streichelten. Solche Rituale machten ihn zu einem Teil des Familienlebens.
Nur eine Familie gab den Roboter weiter. Das Kind hatte ihn seit zwei Jahren nicht mehr genutzt, nach einem Umzug fehlte der Platz. Luka wurde an den jüngeren Cousin verschenkt – mit einer kleinen Abschiedszeremonie. Die Mutter sagte: „Wir konnten ihn nicht wegwerfen.“
Technik mit Gefühl: Erkenntnisse für die Entwicklung sozialer Roboter
Die Studie macht klar, dass soziale Roboter mehr leisten können als eine einzelne Aufgabe. Sie wachsen mit der Familie, verändern ihre Rolle und werden Teil der Erinnerungskultur.
Aus der Studie ergeben sich fünf Empfehlungen für Robotik-Designer:
- Roboter sollten mehrere Rollen erfüllen können
- Alte Erlebnisse sollten erneut abrufbar sein, um die Bindung zu stärken
- Geräte brauchen Pflegeeigenschaften, die Verantwortung fördern
- Langfristige technische Unterstützung ist entscheidend
- Abschiedshilfen wie Übergaberituale oder Speicherfunktionen sind sinnvoll
Luka zeigt, wie stark sich Technik in menschliche Beziehungen einfügen kann. Sie wird nicht nur genutzt, sondern begleitet – über Jahre hinweg. Solche Roboter sind mehr als Spielzeuge. Sie erzählen Geschichten, bewahren Erinnerungen und geben Halt in Momenten, in denen niemand anderes gerade zuhört.
Kurz zusammengefasst:
- Soziale Roboter wie Luka können über ihre ursprüngliche Funktion hinaus eine emotionale Rolle im Familienleben einnehmen und werden oft wie Freunde oder Erinnerungsstücke behandelt.
- Die Langzeitstudie mit 20 Familien zeigt, dass 18 der Roboter auch nach Jahren aktiv oder symbolisch genutzt wurden – sie blieben Teil des Alltags, obwohl ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllt war.
- Für die Entwicklung künftiger sozialer Roboter bedeutet das: Sie sollten wandelbare Rollen, Pflegeeigenschaften, emotionale Kontinuität und Rituale für einen Abschied ermöglichen.
Übrigens: Nicht nur als Vorlesefreund für Kinder finden soziale Roboter ihren Platz im Alltag – Forscher des MIT entwickeln gerade Maschinen, die sich per Handbewegung trainieren lassen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Dr. Zhao Zhao, Universität Guelph