Aus Blei wird Gold – Forschern in Genf gelingt die Umwandlung
Bei Experimenten mit Blei-Ionen konnten Forscher ungewöhnliche Teilchenreaktionen messen – darunter auch eine kurzlebige, seltene Umwandlung zu Gold.

Im Teilchenbeschleuniger am Kernforschungszentrum Cern in Genf entsteht durch den Verlust von drei Protonen aus einem Blei-Kern kurzzeitig ein Gold-Isotop. © DALL-E
Gold aus Blei – das klang lange wie ein Mythos aus dunklen Alchemie-Laboren. Jetzt ist es Realität geworden. Doch nicht in einem Schlosskeller, sondern in einem der modernsten Forschungslabore der Welt. Bei Experimenten mit dem größten Teilchenbeschleuniger der Erde am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf ist es Wissenschaftlern gelungen, durch Kollisionen von Blei-Kernen tatsächlich kurzzeitig Gold zu erzeugen.
Die Daten stammen aus dem ALICE-Detektor am Large Hadron Collider (LHC), veröffentlicht wurden sie im Fachjournal Physical Review. Es geht dabei nicht nur um die Entstehung von Gold, sondern auch um neue Erkenntnisse darüber, wie Atomkerne unter extremen Bedingungen auseinanderbrechen.
Bleikern wird zu Goldkern
Beim Experiment im Teilchenbeschleuniger bewegten sich Blei-Ionen mit extrem hoher Energie aufeinander zu, prallten aber meist nicht direkt zusammen. In etwa 17 Prozent der Fälle flogen die schweren Atomkerne nur sehr knapp aneinander vorbei. Dabei reichte die Kraft ihrer elektromagnetischen Felder aus, um einzelne Neutronen und manchmal auch Protonen aus dem Kern zu reißen.
Wird dabei genau die richtige Menge an Protonen entfernt, nämlich drei, verwandelt sich der Bleikern kurzzeitig in einen Goldkern. „Um Gold zu erzeugen, müssen in den LHC-Strahlen drei Protonen aus einem Bleikern entfernt werden“, erklärten die Forscher vom Cern. Da Blei 82 und Gold 79 Protonen besitzt, genügt schon dieser kleine Unterschied, damit ein neues Element entsteht. Das dabei erzeugte Gold ist allerdings extrem kurzlebig – es zerfällt sofort wieder.

Winzige Mengen Gold, messbar mit Präzisionsgeräten
Entscheidend für die Forscher sind die Messwerte und die konnten sie beim ALICE-Experiment besonders genau erfassen. Sie bestimmten, wie oft bei den Kollisionen Teilchen wie Neutronen oder Protonen aus dem Bleikern herausgeschlagen wurden. Insgesamt passierte das mit einer Wahrscheinlichkeit von 206,5 barn, so lautet die physikalische Maßeinheit dafür.
In den meisten Fällen, genau 83 Prozent, wurden nur Neutronen freigesetzt. Die Forscher maßen dafür eine Wahrscheinlichkeit von 126,0 barn. Wenn zusätzlich auch Protonen ausgestoßen wurden, lag der Wert höher: bei 151,5 barn. Die Teilchen legten dabei über 112 Meter zurück, bevor sie von hochempfindlichen Detektoren registriert wurden – das ist ein technisches Kunststück für sich.
Warum das für uns alle relevant ist
Was nach Physik-Nische klingt, hat Auswirkungen weit über das Cern-Experiment hinaus: Es hilft Forschern zu verstehen, wie sich Materie bei extremer Energie verhält. Die Erkenntnisse fließen in neue Modelle ein, die auch für geplante Großprojekte wie den Electron-Ion Collider in den USA wichtig werden könnten.

Für die Teilchenphysik ist klar: Die Entstehung von Gold war ein Nebeneffekt. Doch dieser liefert handfeste Daten über die Stabilität und Zerfallsprozesse von Atomkernen. Genau diese braucht es, um in Zukunft präziser vorhersagen zu können, wie sich Materie unter Hochdruck oder bei starken Magnetfeldern verhält – etwa in Astrophysik, Fusionsforschung oder Medizintechnik.
Modelle geraten an ihre Grenzen
Ein wichtiges Vergleichsmodell, das sogenannte RELDIS-Modell, kommt in einigen Fällen nicht mehr mit. Es kann die Anzahl der Emissionen bei einem oder zwei Protonen nicht vollständig erklären – die Messungen lagen um bis zu 25 Prozent höher als vorhergesagt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein peripheres hadronisches Ereignis das ZEM-Veto übersteht, beträgt 0,137“, schreiben die Fachleute. Die Verunreinigung der Daten sei damit extrem gering.
Genau das macht die Ergebnisse so wertvoll. Sie zeigen, wo heutige Theorien an ihre Grenzen stoßen. Und sie geben Hinweise darauf, wie neue Modelle aufgebaut werden müssen, um solche extremen Situationen realistisch abzubilden.
Ein kurzer Goldmoment
So romantisch die Vorstellung von Gold aus Blei auch sein mag: Das Cern macht jede Hoffnung auf Reichtum zunichte. „Das Gold existiert nur für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde“, so die Wissenschaftler. Viel mehr als ein theoretischer Beweis lässt sich aus den paar Teilchen nicht gewinnen.
Aber das, was Wissenschaftler heute messen können, hätte früher ganze Generationen in Staunen versetzt. Dass sich mit modernster Technik das alte Alchemisten-Ziel wenigstens kurz realisieren lässt, ist mehr als nur eine Randnotiz – es ist ein greifbarer Schritt, die kleinsten Bausteine unserer Welt besser zu verstehen.
Kurz zusammengefasst:
- Bei Experimenten am Cern wurden Blei-Ionen mit hoher Energie aneinander vorbeigelenkt, wodurch einzelne Kernbausteine wie Neutronen und Protonen herausgeschlagen wurden.
- In etwa 17 Prozent der Fälle führte der Verlust von genau drei Protonen dazu, dass sich der Bleikern kurzzeitig in einen Goldkern verwandelte – messbar, aber extrem kurzlebig.
- Die präzisen Daten helfen dabei, Modelle zum Zerfall schwerer Atomkerne zu überprüfen und liefern wichtige Grundlagen für künftige Forschung in Physik und Technik.
Übrigens: Neue physikalische Errungenschaften zeigen sich auch bei etwas so Vertrautem wie Licht und Schatten. Ein Laserstrahl kann unter besonderen Bedingungen selbst einen sichtbaren Schatten werfen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E