Nikotin greift tiefer ins Gehirn ein – vergessene Zellen schüren den Teufelskreis der Sucht
Nikotin wirkt nicht nur auf die Nervenzellen, sondern beeinflusst auch einen weiteren Zelltyp – und verstärkt so den Mechanismus, der die Abhängigkeit aufrechterhält.
Nikotin greift tief ins Belohnungssystem ein: Spezielle Zellen verstärken Signale im Gehirn, die das Rauchverlangen selbst nach Jahren wieder aufflammen lassen. © Unsplash
Rauchen bleibt eines der größten Gesundheitsprobleme in Deutschland. Rund 20 Prozent der Erwachsenen greifen regelmäßig zur Zigarette, jedes Jahr sterben etwa 127.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Trotz Aufklärung und Nikotinersatzpräparaten fällt es vielen schwer, dauerhaft aufzuhören. Denn Nikotin verändert das Gehirn auf eine Weise, die den Ausstieg extrem schwer macht.
Bisher galt: Nikotin macht süchtig, weil es bestimmte Nervenzellen aktiviert, die das Belohnungssystem anregen. Das sorgt für ein kurzes Glücksgefühl – und das Gehirn lernt, dass der nächste Zug an der Zigarette eine Belohnung verspricht.
Eine neue Studie der Pusan National University in Südkorea zeigt nun, dass diese Erklärung zu kurz greift. Neben den Nervenzellen spielt ein zweiter Zelltyp, die sogenannten Gliazellen, eine entscheidende Rolle. Sie verstärken chemische Prozesse im Gehirn, die das Verlangen nach Nikotin stabil halten – und könnten erklären, warum selbst nach Jahren ohne Zigarette die Sucht so leicht zurückkehrt.
Wie Nikotin das Gehirn chemisch aus dem Gleichgewicht bringt
Eine Schlüsselrolle spielt das Striatum, eine Region des Gehirns, die Motivation und Belohnung steuert, heißt es in der Studie. Dort stießen die Forscher auf eine biochemische Reaktionskette, die Nikotin auslöst – nicht in den Nervenzellen, sondern in den Gliazellen, genauer gesagt in den Astrozyten.
Wenn Nikotin an bestimmte Rezeptoren dieser Zellen andockt, verändert sich ihr inneres Gleichgewicht: Der Kalziumspiegel steigt, und ein Enzym namens JNK wird aktiv. Dieses Enzym schaltet wiederum einen Glutamatrezeptor an, der die Signalübertragung zwischen den Zellen beeinflusst.
Dadurch entsteht eine chemische Kettenreaktion, die den Stoffwechsel des Botenstoffs Glutamat antreibt und entscheidet, wie stark das Gehirn auf den wiederholten Nikotinkonsum reagiert.
Gliazellen verstärken die Wirkung von Nikotin
Glutamat ist der wichtigste erregende Botenstoff im Gehirn. Es sorgt dafür, dass Signale zwischen Nervenzellen weitergegeben werden. Wird dieser Stoff zu aktiv, gerät das Gleichgewicht im Belohnungssystem durcheinander, das Gehirn reagiert überreizt.
Hier kommen die Astrozyten ins Spiel. Sie stellen ein Enzym her, die Glutamin-Synthetase, das überschüssiges Glutamat in eine weniger aktive Form umwandelt.
Wenn dieses Enzym durch Nikotin dauerhaft stärker arbeitet, steigt die Glutamataktivität im gesamten Netzwerk. Dadurch wird das Belohnungssystem immer empfindlicher, und das Verlangen nach Nikotin wächst. So entsteht ein Teufelskreis: Mit jeder Zigarette verstärkt das Gehirn den Reiz, an den es sich längst gewöhnt hat – und fordert ihn immer wieder ein.
Unterbrechen Forscher den Signalweg, sinkt das Verlangen
Um diese Prozesse besser zu verstehen, führten die Forscher Versuche mit Ratten durch. Sie entwickelten ein kleines Peptid, das die Verbindung zwischen den beteiligten Molekülen blockiert. Wurde es in die entsprechenden Hirnregionen injiziert, fiel die Aktivität der Glutamin-Synthetase deutlich ab.
Die Tiere zeigten deutlich weniger suchttypische Bewegungsreize, ein messbares Zeichen für abnehmendes Verlangen. Wurde das Enzym zusätzlich gehemmt, nahm der Effekt weiter zu. Für Studienleiter Eun Sang Choe ist das ein entscheidender Hinweis: „Unsere Untersuchung zeigt, dass Gliazellen im Belohnungssystem mit Nervenzellen zusammenarbeiten, um das nikotinabhängige Verhalten zu regulieren.“
Neue Ansätze für Behandlungen gegen Nikotinsucht
Die neuen Erkenntnisse könnten helfen zu verstehen, warum Rauchstopp vielen so schwerfällt. Medikamente wie Vareniclin oder Bupropion greifen bisher an den Rezeptoren der Nervenzellen oder am Dopaminspiegel an. Die Studie legt nun nahe, auch die Gliazellen stärker in den Blick zu nehmen.
Sie bestimmen mit, wie stark Nikotin die Signalübertragung im Gehirn antreibt. Wenn sich ihre Aktivität beeinflussen lässt, könnte das Belohnungssystem stabiler reagieren und Entwöhnungstherapien wirksamer werden. Noch handelt es sich um Grundlagenforschung, doch der Mechanismus selbst gilt als gut belegt.
Kurz zusammengefasst:
- Nikotin aktiviert nicht nur Nervenzellen, sondern auch Gliazellen, die den Botenstoff Glutamat beeinflussen und damit das Suchtverhalten verstärken.
- Eine Überaktivität des Enzyms Glutamin-Synthetase in diesen Zellen treibt die Signalweitergabe im Gehirn an und erhöht den Suchtdruck.
- Wird dieser Mechanismus blockiert, sinkt das Verlangen – ein möglicher Ansatz für künftige Therapien gegen Nikotinabhängigkeit.
Übrigens: Wie bei der Nikotinsucht greift auch beim Essen das Belohnungssystem im Gehirn ein. Eine Studie zeigt, dass Übergewicht den Botenstoff Neurotensin senkt – und so den Genuss am Essen bremst. Mehr dazu in unserem Artikel.
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