Dieser körpereigene Stoff bringt im Alzheimer-Gehirn das Gedächtnis zurück

Der körpereigene Stoff NAD⁺ zeigt in Alzheimer-Modellen, dass er fehlerhafte Zellprozesse korrigieren und so das Gedächtnis teilweise wiederherstellen kann.

NAD⁺ hilft bei Alzheimer, das Gedächtnis zurückzubringen

Der Stoff NAD⁺ aktiviert Reparaturprozesse im Alzheimer-Gehirn und stärkt das Erinnerungsvermögen. © Pexels

Alzheimer – das Wort allein löst bei vielen Angst aus. Millionen Menschen auf der Welt verlieren durch die Krankheit nach und nach ihre Erinnerungen, ihre Orientierung, ihr vertrautes Ich. Medikamente können die Symptome bislang nur leicht verzögern. Eine Heilung gibt es nicht. Doch jetzt liefern Forscher der Universität Oslo neue Hoffnung: Sie zeigen, dass ein körpereigener Stoff, der mit dem Alter abnimmt, Gedächtnisfunktionen wiederherstellen kann – indem er Fehler in den genetischen Abläufen der Gehirnzellen korrigiert.

Die Studie basiert auf Tau-basierten Tiermodellen und verfolgt einen bislang seltenen Ansatz in der Alzheimerforschung. Anstatt auf Eiweißablagerungen oder Entzündungsprozesse zu schauen, konzentrieren sich die Forscher auf eine „zellinterne Energiequelle“: NAD⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid) – eine Substanz, die in jeder Körperzelle vorkommt und für Energiegewinnung und Zellstabilität entscheidend ist.

Wenn NAD⁺ im Alter schwindet – und Alzheimer begünstigt

Mit zunehmendem Alter sinkt der NAD⁺-Spiegel im Körper. Besonders im Gehirn kann das Folgen haben: Nervenzellen verlieren an Widerstandskraft, Reparaturmechanismen versagen, und fehlerhafte Proteine häufen sich an. Schon länger vermuten Wissenschaftler, dass dieser Rückgang eine Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen spielt.

Das Team um Evandro Fei Fang vom Ullevaal University Hospital in Oslo zeigte, dass NAD⁺ weit mehr tut, als Energie zu liefern: Es steuert Prozesse, die verhindern, dass beim Ablesen der DNA Fehler entstehen – ein Mechanismus, der in Gehirnzellen von Alzheimer-Patienten oft gestört ist.

Wenn Zellen ihre Baupläne falsch lesen

Damit aus Genen Proteine entstehen, wird die DNA zunächst in RNA übersetzt. Diese RNA muss anschließend richtig zusammengesetzt – oder „gespleißt“ – werden. Dabei entscheidet sich, welche Proteinvarianten die Zelle bildet. Fehler in diesem Vorgang führen dazu, dass falsche Eiweiße entstehen – und damit zu Zellschäden.

Die Forscher identifizierten ein Protein namens EVA1C, das diesen RNA-Spleißprozess steuert. In Alzheimer-Modellen war EVA1C deutlich reduziert – mit Folgen für Hunderte Gene, die wichtig für die Gesundheit von Nervenzellen sind. Als die Wissenschaftler in Tiermodellen den NAD⁺-Spiegel erhöhten, stabilisierte sich EVA1C wieder – und die Zellen begannen, fehlerhafte RNA-Sequenzen zu korrigieren.

„Wir konnten zeigen, dass NAD⁺ auf molekularer Ebene Fehler ausgleicht, die bei Alzheimer gehäuft auftreten“, sagt Studienleiter Fang. „Dadurch verbessert sich die Funktion ganzer Gen-Netzwerke, die für Gedächtnis und Lernfähigkeit wichtig sind.“

Wie Tiere durch NAD⁺ wieder lernten

Um den Effekt zu überprüfen, nutzte das Forschungsteam verschiedene Modelle – von Fadenwürmern bis hin zu Mäusen und menschlichem Hirngewebe. In allen Fällen zeigte sich ein ähnliches Bild:

  • In den Modellen mit erhöhter NAD⁺-Verfügbarkeit schnitten die Tiere in Lern- und Gedächtnistests besser ab
  • Bei Mäusen mit taubedingten Hirnveränderungen verbesserte sich das Wiedererkennen von Objekten im Verhaltenstest
  • Wurde das Gen EVA1C in diesen Modellen blockiert, verschwanden die positiven Effekte von NAD⁺ auf Gedächtnisleistungen

Die Daten legen nahe, dass ein wesentlicher Teil der Schutzwirkung von EVA1C abhängt: Wird das Gen ausgeschaltet, gehen die Gedächtniseffekte von NAD⁺ in den Modellen verloren.

KI enthüllt den Mechanismus

Um genauer zu verstehen, wie NAD⁺ im Zellinneren wirkt, setzten die Wissenschaftler auf künstliche Intelligenz. Mit einer speziellen Analyseplattform untersuchten sie Millionen Proteindaten und simulierten, wie NAD⁺ die Struktur von EVA1C beeinflusst. Dabei zeigte sich: Durch NAD⁺ entsteht eine besonders aktive Form des Proteins, die gezielt an andere Eiweiße andockt – vor allem an solche, die beim Falten und Entsorgen defekter Proteine eine Rolle spielen.

Dieser Befund verknüpft drei bislang getrennte Bereiche der Alzheimerforschung:

  • Energiehaushalt der Zellen
  • korrektes Ablesen der genetischen Information (RNA-Verarbeitung)
  • Abbau schädlicher Proteine im Gehirn

In allen drei Prozessen scheint NAD⁺ eine Schlüsselrolle einzunehmen – und könnte damit eine gemeinsame Ursache der Krankheit an der Wurzel packen.

Warum das für die Alzheimertherapie wichtig ist

Bisherige Medikamente zielen meist darauf ab, die sogenannten Amyloid- oder Tau-Ablagerungen zu verringern. Diese Ansätze haben bislang nur begrenzten Erfolg gezeigt. Der neue Ansatz geht tiefer: Er greift in die Grundregulation der Nervenzellen ein.

„Wir glauben, dass die Erhaltung des NAD⁺-Spiegels helfen kann, die Identität und Funktion von Neuronen zu bewahren“, erklärt Erstautorin Alice Ruixue Ai. „Das könnte den kognitiven Abbau verzögern und die Wirksamkeit künftiger Kombinationstherapien verbessern.“

Für Patienten bedeutet das keine sofortige Therapie – aber einen bislang nur in Tau-Modellen belegten, vielversprechenden Weg, die Krankheit in einem früheren Stadium zu beeinflussen. Noch müssen klinische Studien zeigen, ob sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen.

Kurz zusammengefasst:

  • Die Studie der Universität Oslo zeigt: Der körpereigene Stoff NAD⁺ kann in Tau-basierten Alzheimer-Modellen fehlerhafte Zellprozesse korrigieren und Gedächtnisleistungen verbessern.
  • NAD⁺ wirkt über das Protein EVA1C, das fehlerhafte RNA-Ablesevorgänge stabilisiert und damit geschädigte Nervenzellen schützt.
  • Der Ansatz eröffnet neue Wege für künftige Alzheimer-Therapien, indem er die molekulare Selbstreparatur des Gehirns statt nur sichtbare Ablagerungen ins Zentrum rückt.

Übrigens: Nicht nur Moleküle wie NAD⁺ können das Gedächtnis schützen – auch Bewegung wirkt überraschend stark. Schon 3.000 Schritte am Tag reichen laut Harvard-Studie, um bei Alzheimer den geistigen Abbau um Jahre zu bremsen – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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