MS-Auslöser: Zwei deutsche Studien decken Risiken in Darmflora und Kindheit auf

Zwei deutsche Studien zeigen: Mögliche MS-Auslöser finden sich in der Darmflora, in frühen Infektionen und familiären Risiken.

MS-Auslöser: Studien decken Risiken in Darmflora und Kindheit auf

Multiple Sklerose – die Krankheit der 1000 Gesichter – hat viele mögliche Auslöser: von bestimmten Darmbakterien bis zu Stress, Infektionen und familiären Risiken. © Pexels

Mehr als 280.000 Menschen in Deutschland leben mit der Diagnose Multiple Sklerose (MS). Jedes Jahr kommen rund 15.000 neue Fälle hinzu. Die Krankheit greift die schützende Hülle von Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark an. Die Symptome sind so vielfältig, dass Multiple Sklerose oft als „Krankheit der 1000 Gesichter“ beschrieben wird – von Taubheitsgefühlen über Sehstörungen bis hin zu Lähmungen. Die Auslöser von MS sind bislang nicht vollständig bekannt. Genetik, Umweltfaktoren und bestimmte Infektionen gelten als mögliche Mitverursacher. In den Fokus rückt nun auch die Darmflora – besonders Bakterien aus dem Dünndarm.

MS-Auslöser: Warum die Darmflora entscheidend sein könnte

Ein Forscherteam der LMU hat jetzt erstmals Mikroorganismen im Dünndarm untersucht, die eine Rolle bei der Entstehung von MS spielen könnten. Möglich wurde das durch eine besondere Studie mit 81 eineiigen Zwillingspaaren, bei denen jeweils nur ein Zwilling an MS erkrankt ist. Genetische und viele Umweltfaktoren lassen sich bei dieser Methode weitgehend ausschließen.

Die Forscher nahmen sowohl Stuhlproben als auch Proben aus dem unteren Dünndarm, dem sogenannten Ileum. Dieser Bereich ist besonders relevant, weil hier viele Immunzellen aktiv sind. Insgesamt fanden sie 51 Bakterienarten, die sich bei gesunden und MS-betroffenen Zwillingen unterschieden.

Zwei Bakterien rücken ins Zentrum der Aufmerksamkeit

In einem weiteren Schritt testeten die Wissenschaftler die Wirkung dieser Darmbakterien im Mausmodell. Dafür übertrugen sie die Bakterien aus dem Ileum von MS-Patienten auf keimfreie, genetisch veränderte Mäuse, die für MS-ähnliche Erkrankungen empfänglich sind. Das Ergebnis: Drei von neun Mäusen entwickelten nach der Übertragung eine MS-ähnliche Krankheit – und alle betroffenen Tiere waren weiblich.

Im Stuhl dieser erkrankten Mäuse fanden die Forscher besonders viele Bakterien zweier Arten: Eisenbergiella tayi und Lachnoclostridium, beide gehören zur Familie der Lachnospiraceae. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass zwei Mitglieder der Lachnospiraceae wahrscheinlich für eine erhöhte Krankheitsinzidenz verantwortlich sind“, so das Forscherteam.

Bakterien aus dem Ileum lösen gezielt Symptome aus

In einem weiteren Versuch verglichen die Forscher Bakterienproben von einem MS-erkrankten Zwilling mit denen des gesunden Zwillings. Wieder wurden keimfreie Mäuse mit den jeweiligen Proben besiedelt. Diesmal zeigten fünf von sechs weiblichen Mäusen mit MS-Proben typische Krankheitszeichen. Mäuse, die mit Proben der gesunden Zwillinge behandelt wurden, blieben symptomfrei.

Dabei fiel auf: Bei den erkrankten Tieren hatte sich vor allem das Bakterium Lachnoclostridium stark vermehrt. Die Wissenschaftler vermuten, dass genau diese Mikroorganismen bei bestimmten Bedingungen die Autoimmunreaktion auslösen – etwa durch eine veränderte Immunantwort im Darm.

Warum nur wenige Bakterien den Unterschied machen

Obwohl Eisenbergiella tayi und Lachnoclostridium in der menschlichen Darmflora eher selten vorkommen, können sie offenbar eine zentrale Rolle spielen. „MS-abgeleitete Ileum-Mikrobiota induzierten die Krankheit bei Mäusen mit deutlich höheren Raten als vergleichbares Material von gesunden Zwillingsspendern“, schreiben die Forscher.

Erstaunlich ist, dass solche Bakterien in klassischen Stuhlproben häufig übersehen werden. Der Verdacht: Sie leben in dichten Biofilmen an der Darmwand und sind damit für Standardanalysen schwer zugänglich. Ihre Wirkung auf Immunzellen sei aber umso intensiver.

Weitere Auslöser für MS – Familiäre Vorbelastung und Infektionen erhöhen das Risiko deutlich

Neben dem Blick auf die Darmflora haben Forscher in einer weiteren Studie untersucht, welche äußeren und inneren Einflüsse das Risiko für MS erhöhen können. Grundlage war eine bundesweite Fall-Kontroll-Studie mit 576 Betroffenen und 895 Kontrollpersonen. Besonders auffällig war: Wer Verwandte ersten oder zweiten Grades mit MS hat, trägt ein mehr als siebenfach erhöhtes Risiko. Auch bestimmte Infektionen in der Kindheit, etwa Masern oder Windpocken, könnten das Immunsystem langfristig beeinflussen. Pro zusätzlicher Infektion stieg das Risiko laut Studie um 14 Prozent.

Kindheitserkrankungen und Vererbung beeinflussen MS-Risiko deutlich

Ein weiterer Faktor war das Alter der Mutter bei der Geburt: Erstgeborene von Müttern über 30 Jahren hatten ein doppelt so hohes MS-Risiko. Auch belastende Lebensereignisse wie Trennung der Eltern, Tod eines Angehörigen oder schwere Krankheiten in der Familie zeigten Wirkung. Für jedes zusätzliche Ereignis stieg das Erkrankungsrisiko um 25 Prozent. Ein überraschend klarer Zusammenhang wurde zudem bei Übergewicht und Bewegungsmangel im Jugendalter festgestellt. Wer mit 18 Jahren adipös war, hatte ein mehr als doppelt so hohes Risiko.

Bewegung schützt, Übergewicht und Stress erhöhen das Risiko

Die Forscher bestätigen außerdem den bekannten Einfluss des Epstein-Barr-Virus. Eine durchgemachte Infektion war mit einer mehr als dreifach erhöhten MS-Wahrscheinlichkeit verbunden. Hingegen zeigten andere vermutete Auslöser wie Passivrauchen oder die Zeit, die Kinder im Freien verbrachten, keinen Zusammenhang. Die neuen Erkenntnisse können helfen, präventive Strategien zu entwickeln – etwa durch Impfungen, Aufklärung und mehr Bewegung im Jugendalter.

Kurz zusammengefasst:

  • Bestimmte Bakterien im Dünndarm, darunter Eisenbergiella tayi und Lachnoclostridium, kommen als mögliche Auslöser von MS infrage.
  • Auch familiäre Vorbelastung, häufige Kindheitsinfekte, Stress und Übergewicht im Jugendalter erhöhen das Risiko deutlich.
  • Körperliche Aktivität in der Jugend wirkt offenbar schützend gegen MS und könnte präventiv eine größere Rolle spielen als bislang vermutet.

Übrigens: Auch Milch steht als möglicher MS-Auslöser im Verdacht. Studien zeigen, dass bestimmte Milchproteine bei empfindlichen Personen Immunreaktionen auslösen könnten – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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