mRNA-Impfstoff zündet Doppelschlag gegen Krebs – auch „unsichtbare“ Tumoren reagieren plötzlich

Ein neuer mRNA-Impfstoff aktiviert das Immunsystem so stark, dass selbst therapieresistente Tumoren auf Immuntherapie ansprechen.

Universeller Krebs-Impfstoff? mRNA aktiviert das Immunsystem.

Manchmal hilft ein Umweg weiter als der direkte Angriff: Anstatt ein bestimmtes Merkmal des Tumors anzugreifen, nutzte das Team einen anderen Ansatz. (Symbolbild) © Unsplash

Ein Impfstoff, der nicht einmal gezielt gegen Krebs entwickelt wurde, könnte ein großer Fortschritt im Kampf gegen die Krankheit ein: Forscher der University of Florida haben einen experimentellen mRNA-Impfstoff getestet, der das Immunsystem ungewöhnlich stark aktiviert – und damit auch solche Tumoren angreifbar macht, die sonst kaum auf moderne Immuntherapien reagieren.

In Kombination mit gängigen Krebsmedikamenten wirkte der Impfstoff wie ein Doppelschlag: Gemeinsam mit sogenannten Checkpoint-Hemmern löste er eine besonders starke Abwehrreaktion aus – selbst bei bisher therapieresistenten Tumoren. Die Ergebnisse wurden in Nature Biomedical Engineering veröffentlicht.

mRNA-Impfstoff macht Krebszellen früh für das Immunsystem sichtbar

Besonders wichtig für die Wirkung ist ein Signalstoff namens Interferon Typ I. Dieses Molekül sorgt in der Frühphase von Infektionen oder Tumorerkrankungen dafür, dass Immunzellen aktiviert werden. In den Versuchen zeigte sich: Fehlt dieses Frühwarnsignal, kann sich der Krebs ungestört ausbreiten. Ist es aber vorhanden, funktioniert die Immuntherapie deutlich besser.

Die Wissenschaftler blockierten gezielt diesen Signalweg – mit dramatischen Folgen:

  • In Mäusen ohne Interferon-Signal entwickelten fast 100 Prozent der Tiere Krebs, selbst bei geringen Tumorzellmengen.
  • Bei funktionierendem Signalweg bildeten sich nur bei etwa 25 Prozent Tumoren.
  • Auch die Wirkung von sogenannten Checkpoint-Hemmern – Medikamenten, die das Immunsystem bei der Krebsbekämpfung unterstützen – war stark davon abhängig.

„Frühe IFN-I-Antworten sind entscheidend, damit Immuntherapien wirken“, erklärt Studienleiter Elias Sayour.

Der Impfschutz lässt sich sogar auf andere Tumoren übertragen

Besonders überraschend: Die durch den Impfstoff ausgelöste Immunantwort war so stark, dass sie sich auf andere Tumoren übertragen ließ. Die Forscher entnahmen Immunzellen aus behandelten Tieren und übertrugen sie auf Mäuse mit einem anderen, eigentlich therapieresistenten Tumor. Auch dort wirkte die Abwehr – vorausgesetzt, das Interferon-Signal war nicht blockiert.

Dieser sogenannte „epitope spreading“-Effekt bedeutet: Das Immunsystem beginnt, immer mehr Merkmale von Krebszellen zu erkennen. Es entsteht eine breitere, stabilere Abwehr.

Nach der mRNA-Impfung zeigen die Lungen deutlich weniger Tumorknoten (rechts): Das Bild aus der Studie veranschaulicht, wie stark die Immunreaktion das Krebswachstum bremsen kann. © nature biomedical engineering
Nach der mRNA-Impfung zeigen die Lungen deutlich weniger Tumorknoten (rechts): Das Bild aus der Studie veranschaulicht, wie stark die Immunreaktion das Krebswachstum bremsen kann. © nature biomedical engineering

Lipidpartikel mit RNA lösen starke Abwehrreaktion aus

Der getestete Impfstoff enthält keine spezifischen Informationen über Krebszellen. Stattdessen basiert er auf einem einfachen mRNA-Bauplan, wie man ihn aus den Corona-Impfstoffen kennt – allerdings ohne die typischen Virusproteine. Eingebettet in winzige Fettkügelchen (Lipidpartikel) gelangt die mRNA in den Körper und sorgt dort für eine starke Immunreaktion.

In den Versuchen mit Mäusen zeigte sich:

  • Die Impfung löste eine stärkere Interferon-Reaktion aus als die modifizierten mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19.
  • Bei Kombination mit Immuntherapie-Medikamenten schrumpften die Tumoren deutlich schneller.
  • In manchen Fällen verschwanden die Tumoren sogar ganz.

In Tierversuchen mit Haut-, Knochen- und Hirntumoren erzielte diese Impfung deutliche Erfolge: „Der Impfstoff wirkte selbst in Modellen, in denen Immuntherapien zuvor völlig versagt hatten“, heißt es in der Studie.

Auch als alleinige Therapie wirksam – sogar bei Hirntumoren

Die Forscher testeten den Impfstoff nicht nur in Kombination mit anderen Therapien. Auch allein zeigte er Wirkung – besonders bei Tumoren in Lunge, Haut und Gehirn. Selbst bei sogenannten „kalten“ Tumoren, die vom Immunsystem kaum erkannt werden, konnte das Tumorwachstum gebremst oder gestoppt werden.

In einem Modell mit Hunden, die an aggressiven Hirntumoren litten, zeigte sich: Die Behandlung mit dem Impfstoff verlief ohne akute Nebenwirkungen. Die Organe blieben stabil, Blutwerte normal.

Tumoren verändern ihre Oberfläche – Immunzellen greifen an

Die mRNA-Impfung hatte noch einen weiteren Effekt: Sie veränderte die Oberfläche der Krebszellen. So stieg etwa die Menge bestimmter Eiweiße, die dem Immunsystem das Erkennen und Bekämpfen der Tumorzellen erleichtern – darunter MHC-I und PD-L1. Dadurch konnten T-Zellen gezielter angreifen.

In einer Kontrollgruppe, in der die Interferonwege blockiert waren, blieb dieser Effekt aus. „Die Resistenz gegenüber Immuntherapien kann durch fehlende IFN-I-Antworten erklärt werden“, so Sayour. Die frühen Signale scheinen entscheidend zu sein, um die Tumoren für das Immunsystem sichtbar zu machen.

Das Immunsystem „merkt“ sich den Krebs

Die Forscher wollten wissen, ob der Schutz auch langfristig bestehen bleibt. Dazu impften sie Mäuse mit dem mRNA-Impfstoff, warteten mehrere Monate – und setzten sie dann erneut Tumorzellen aus. Die Hälfte der Tiere blieb krebsfrei. Das spricht dafür, dass eine Art Gedächtnisreaktion entstanden ist.

„Epitope Spreading kann durch die Initialisierung einer starken IFN-I-Antwort induziert werden, was eine breitere und effektivere Immunität gegen Tumorantigene ermöglicht“, so das Team in der Studie.

Eine einfache Impfung könnte schwere Therapien ergänzen

In Zukunft könnte dieser Impfstoff vielen Patienten helfen – besonders jenen mit sogenannten immunologischen „kalten“ Tumoren. Diese sprechen bislang kaum auf Immuntherapien an. Der Vorteil der neuen Methode: Der Impfstoff muss nicht individuell angepasst werden. Es braucht nur einen ausreichenden Reiz, der das Immunsystem aufweckt.

„Diese Vakzine könnten kommerzialisiert werden als universelle Krebsimpfstoffe, um das Immunsystem gegen den individuellen Tumor eines Patienten zu sensibilisieren“, sagt Elias Sayour.

Klinische Studien am Menschen sollen nun folgen. Bis dahin bleibt die Erkenntnis: Manchmal reicht ein starkes Alarmsignal, um den Krebs zu enttarnen.

Kurz zusammengefasst:

  • Ein experimenteller mRNA-Impfstoff kann das Immunsystem so stark aktivieren, dass selbst bisher therapieresistente („kalte“) Tumoren angreifbar werden.
  • Die Kombination mit Immun-Checkpoint-Hemmern wirkt wie ein Doppelschlag und führt zu messbaren Tumorrückgängen – teils sogar ohne spezifisches Tumorziel.
  • Entscheidend ist ein früher Interferon-Impuls, der eine breite Immunantwort auslöst und das Immunsystem dauerhaft auf Tumorzellen sensibilisiert.

Übrigens: Nicht nur mRNA-Impfstoffe könnten neue Wege in der Krebsmedizin eröffnen – auch ein fermentierter Pflanzenstoff aus der Steviapflanze tötete Bauchspeicheldrüsenkrebszellen ab und schonte dabei gesundes Gewebe. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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