Was steckt in unseren Lebensmitteln? – Studie deckt Lücken in Nährwertdatenbanken auf
Viele Nährwertdatenbanken sind veraltet oder unvollständig – auch der deutsche Bundeslebensmittelschlüssel ist nicht frei zugänglich.

Wie gesund ist unser Essen wirklich? Viele Nährwertdatenbanken liefern nur bruchstückhafte Informationen – gerade bei regionalen oder neuen Lebensmitteln fehlen oft verlässliche Daten. © DALL-E
Ohne verlässliche Nährwertdaten fehlt die Grundlage für Ernährungsempfehlungen, Lebensmittelkennzeichnungen oder Schulverpflegung. Wie gesund ein Lebensmittel wirklich ist, lässt sich nur beurteilen, wenn man seine Inhaltsstoffe kennt – und zwar genauer, als es Verpackungen verraten. Genau dafür gibt es Nährwertdatenbanken: Sie erfassen, was in Brot, Reis, Spinat oder Mango steckt – von Kalorien und Eiweiß bis hin zu Vitaminen und bioaktiven Pflanzenstoffen. Doch eine neue weltweite Analyse zeigt: Viele dieser Datenbanken sind veraltet, unvollständig oder schwer zugänglich.
In der Studie wurden 101 sogenannte Food Composition Databases (FCDBs) aus 110 Ländern untersucht. Die Spannweite reicht dabei von winzigen Sammlungen mit wenigen Lebensmitteln bis hin zu komplexen Online-Plattformen mit Tausenden Einträgen und Hunderten Inhaltsstoffen. Doch selbst die größten Systeme stoßen an ihre Grenzen – und das weltweit.
Nährwertdatenbanken hinken der Realität oft hinterher
Ein zentrales Problem: Nur ein Drittel der Nährwertdatenbanken enthält Informationen zu mehr als 100 verschiedenen Inhaltsstoffen. „Evaluierte Datenbanken zeigen große Unterschiede im Umfang und Inhalt“, schreiben die Autoren. Oft fehlen Angaben zu bioaktiven Molekülen wie Polyphenolen, Carotinoiden oder Terpenen – also genau jenen Stoffen, die heute als besonders relevant für unsere Gesundheit gelten.
Noch kritischer wird es beim Blick auf die Aktualität. Etwa 39 Prozent der Datenbanken wurden seit über fünf Jahren nicht mehr aktualisiert. Manche sogar seit Jahrzehnten nicht – etwa in Sri Lanka oder Äthiopien. Das macht es schwer, moderne Ernährungsweisen oder neue Sorten überhaupt korrekt zu erfassen.
FAIR-Kriterien bleiben häufig unerfüllt
Neben dem Inhalt zählt auch der Zugang. Bewertet wurden die Datenbanken nach den sogenannten FAIR-Prinzipien: Findability (Auffindbarkeit), Accessibility (Zugänglichkeit), Interoperability (Vernetzbarkeit) und Reusability (Wiederverwendbarkeit). Das Ergebnis fällt ernüchternd aus:
- 100 Prozent der Datenbanken sind auffindbar
- Nur 30 Prozent gelten als gut zugänglich
- 69 Prozent lassen sich mit anderen Systemen verknüpfen
- 43 Prozent sind für Dritte wiederverwendbar
Gerade in ärmeren Ländern fehlt es oft an Ressourcen, Fachwissen und digitalen Lösungen, um die Systeme aktuell zu halten. Dabei könnten gute Nährwertdaten entscheidend sein – für nationale Ernährungspolitik, Schulverpflegung oder landwirtschaftliche Planung.
Deutschland hat zwei starke Werkzeuge – aber auch hier gibt es Lücken
Wer in Deutschland verlässliche Nährwertinformationen sucht, stößt auf zwei wichtige Datenquellen: den Bundeslebensmittelschlüssel (BLS) und das Deutsche Ernährungsberatungs- und -informationsnetz (DEBInet). Der BLS enthält Angaben zu fast 15.000 Lebensmitteln – von Apfelsaft über Brötchen bis Zanderfilet. Entwickelt wurde er vom Max Rubner-Institut, um Ernährungserhebungen und wissenschaftliche Studien auszuwerten. Die Daten basieren auf Laboranalysen und ergänzender Literatur – geprüft nach strengen Kriterien.
Allerdings ist der Bundeslebensmittelschlüssel nicht frei zugänglich. Wer die vollständigen Daten nutzen möchte, braucht eine kostenpflichtige Lizenz – etwa als Ernährungsberater, Forscher oder Anbieter von Ernährungstools.
Anwenderfreundlicher ist dagegen DEBInet. Die Plattform erlaubt eine Suche nach einzelnen Lebensmitteln, bietet detaillierte Angaben zu Makro- und Mikronährstoffen, Allergenen, Zusatzstoffen und mehr – auch für spezifische Produktgruppen wie Firmenprodukte. Die Daten dafür stammen aus dem BLS und können gezielt filtern werden.
Reiche Länder erfassen mehr – arme Länder fehlen oft ganz
Ein weiteres Ungleichgewicht zeigt sich beim Ursprung der Daten. Datenbanken aus wohlhabenden Ländern setzen häufiger auf eigene Laboranalysen. Sie aktualisieren regelmäßiger, bieten Onlinezugang und erfüllen die FAIR-Kriterien eher. In ärmeren Ländern hingegen basieren die Angaben oft auf Sekundärdaten – also Übernahmen aus anderen Quellen, etwa aus Fachartikeln oder ausländischen Tabellen.
Diese Praxis führt zu teils gravierenden Lücken. In den USA etwa fehlen laut Studie 97 traditionelle Lebensmittel aus Hawaii in der nationalen Nährwertdatenbank – darunter taro-basierte Speisen wie Poi oder die Farnspitzen „Pohole“. Die Forscher warnen: Wenn lokale Spezialitäten in offiziellen Datenbanken nicht auftauchen, drohen sie langfristig aus dem Ernährungssystem zu verschwinden.
Neue Initiative analysiert 30.000 Inhaltsstoffe pro Lebensmittel
Eine mögliche Lösung zeigt das Projekt „Periodic Table of Food Initiative“ (PTFI). Es will die bestehenden Lücken schließen – mit Hilfe neuester Technik wie Massenspektrometrie und Metabolomik. Statt sich auf Kalorien und Vitamine zu beschränken, analysiert das Projekt über 30.000 Biomoleküle pro Lebensmittel – und bezieht gezielt regionale und indigene Pflanzen mit ein.
„PTFI erfüllt alle FAIR-Kriterien“, erklären die Autoren der Analyse. Die Daten sind öffentlich, weltweit vergleichbar und offen für Forschung und Anwendung. Anders als viele nationale Datenbanken bildet PTFI Lebensmittel aus allen Kontinenten ab – auch solche, die in klassischen Tabellen fehlen.
Ohne gute Daten keine gute Ernährungspolitik
Zuverlässige Nährwertdatenbanken sind mehr als nur Nachschlagewerke. Sie bilden die Grundlage für Ernährungsempfehlungen, Produktkennzeichnungen, Förderprogramme und gesundheitliche Prävention. Ohne genaue Daten fehlen die Mittel, um Mangelernährung zu erkennen, Ernährungssysteme zu steuern oder Essgewohnheiten wirksam zu verändern.
Das Ziel: Jeder Mensch soll Zugang zu fundiertem Wissen über Lebensmittel haben – unabhängig von Herkunft oder Einkommen. Denn nur wer weiß, was wirklich in seinem Essen steckt, kann bewusste Entscheidungen für Gesundheit und Umwelt treffen.
Kurz zusammengefasst:
- Weltweit sind viele Nährwertdatenbanken unvollständig, veraltet oder schlecht zugänglich – besonders in ärmeren Ländern fehlen verlässliche Daten.
- Nur ein Drittel der erfassten Datenbanken enthält Informationen zu mehr als 100 Lebensmittelbestandteilen; moderne bioaktive Stoffe fehlen oft ganz.
- In Deutschland liefern der kostenpflichtige Bundeslebensmittelschlüssel und das frei zugängliche DEBInet zwar viele Informationen – decken aber nicht alle Bedürfnisse ab.
Übrigens: Ein Teil der Mikroben in unserem Körper stammt aus Lebensmitteln – sogar aus Käse, Tee oder fermentierter Milch. Eine neue Studie zeigt, wie eng unsere Nahrung mit dem menschlichen Mikrobiom verbunden ist – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E