Evolution hat ihren Preis: Menschen sind anfälliger für Krebs als Schimpansen – eine winzige Genmutation macht den Unterschied

Eine Genmutation schwächt die Immunabwehr gegen Krebs – und macht Menschen anfälliger für die Krankheit als Schimpansen.

Menschen durch Genmutation anfälliger für Krebs als Schimpansen

Gezielt ausgeschaltet: Manche Tumoren nutzen ein Enzym, um zentrale Immunfunktionen beim Menschen zu blockieren – bei Schimpansen funktioniert das nicht. © DALL-E

Moderne Krebstherapien wie CAR-T-Zellen gelten als Hoffnungsträger, vor allem bei Blutkrebs. Doch bei soliden Tumoren – wie Brust-, Darm- oder Eierstockkrebs – bleibt ihr Erfolg oft begrenzt. Ein Forschungsteam des UC Davis Comprehensive Cancer Centers aus Kalifornien hat nun einen möglichen Grund dafür gefunden: eine minimale Genmutation, die nur bei Menschen vorkommt – und bei Krebs eine entscheidende Schwachstelle unseres Immunsystems offenbart.

Die Studie zeigt: Ein einziges Bauteil im menschlichen Erbgut verändert die Struktur eines wichtigen Immunproteins – und macht es angreifbar. Dadurch können aggressive Tumoren Immunzellen gezielt ausbremsen. Diese Schwachstelle fehlt bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen.

Menschen sind wegen einer einzelnen Genmutation anfälliger für Krebs als Schimpansen

Im Mittelpunkt steht das sogenannte Fas-Ligand-Protein (FasL). Es ist Teil der Immunabwehr und hilft dabei, kranke Zellen zu zerstören. Bei Menschen unterscheidet sich dieses Protein an genau einer Stelle von der Variante bei Schimpansen und anderen Primaten: An Position 153 des Proteins steht bei uns die Aminosäure Serin, bei den anderen Prolin.

Dieser kleine Unterschied hat große Folgen. Das menschliche FasL wird dadurch besonders anfällig für das Enzym Plasmin, das in vielen soliden Tumoren stark erhöht vorkommt. Plasmin kann das Protein aufspalten – und damit eine der wichtigsten Waffen der Immunzellen unwirksam machen.

Die wichtigsten Unterschiede im Überblick:

  • Beim Menschen: Serin an Position 153 → FasL wird von Plasmin leicht deaktiviert
  • Bei Primaten: Prolin an gleicher Stelle → FasL bleibt stabil und funktionsfähig
  • Folge: Menschliche Immunzellen verlieren im Tumorumfeld einen entscheidenden Mechanismus zur Tumorzellzerstörung

Antikörper helfen dem Immunsystem, zurückzuschlagen

Im Labor testete das Forschungsteam verschiedene Möglichkeiten, um diese Schwachstelle zu kompensieren. Zwei Ansätze waren besonders erfolgreich:
Entweder blockierten sie das Enzym Plasmin direkt – oder sie schützten das FasL-Protein gezielt mit Antikörpern. In beiden Fällen blieb das Protein aktiv und die Immunzellen konnten Tumorzellen wirksam bekämpfen.

„Indem man Plasmin hemmt oder das FasL-Protein vor dem Zugriff schützt, kann man die Wirksamkeit von T-Zellen und CAR-T-Zelltherapien gegen solide Tumoren deutlich steigern“, erklärt Studienleiter Jogender Tushir-Singh. Besonders bei schwer behandelbaren Krebsarten – wie Eierstock- oder Darmkrebs – könnte das die Therapie verbessern.

Warum Therapien bei Tieren besser wirken als beim Menschen

Viele Krebstherapien werden zunächst an Mäusen oder Affen getestet. Dort funktionieren sie oft besser – was in der Praxis regelmäßig zu Enttäuschungen bei Patienten führt. Die neue Studie liefert dafür eine biologische Erklärung: Tiere besitzen die stabilere FasL-Variante und sind dadurch gegen Plasmin geschützt.

Auch in Tierversuchen zeigte sich: Sobald das menschliche FasL durch gezielte Mutation in die „tierische“ Form zurückverwandelt wurde, stieg die Abwehrkraft deutlich. Umgekehrt war das menschliche Protein bei Anwesenheit von Plasmin fast wirkungslos – obwohl die Immunzellen aktiviert waren.

Therapieansätze, die künftig erfolgversprechend sein könnten

  • Kombination von CAR-T-Zelltherapien mit Plasmin-Hemmern
  • Schutz des FasL-Proteins durch spezifische Antikörper
  • Entwicklung neuer Immuntherapien auf Basis stabiler FasL-Varianten

War die Genmutation einst ein evolutionärer Vorteil?

Die Forscher vermuten, dass die Mutation ursprünglich nicht aus Nachteil entstand. Möglicherweise spielte sie eine Rolle beim Wachstum des menschlichen Gehirns – in der Embryonalentwicklung ist FasL ebenfalls aktiv und reguliert den Zelltod von Vorläuferzellen. Ein stärker geschütztes Nervengewebe könnte also ein evolutionärer Vorteil gewesen sein.

Doch dieser Vorteil hatte offenbar seinen Preis: „Ohne diese menschliche Mutation wäre das Immunsystem wahrscheinlich viel besser darin, Tumorzellen zu zerstören – so wie bei anderen Primaten oder in Tierexperimenten“, sagt Tushir-Singh.

Die Erkenntnisse bieten nun eine neue Erklärung dafür, warum Menschen häufiger an Krebs erkranken als andere Primaten. Und sie zeigen: Wer verstehen will, wie Krebs entsteht – und wie man ihn bekämpft –, muss manchmal ganz tief in der Evolutionsgeschichte graben.

Kurz zusammengefasst:

  • Eine einzelne Genmutation im FasL-Protein macht das menschliche Immunsystem anfälliger für Angriffe durch Tumoren, da ein wichtiges Abwehrprotein leichter deaktiviert wird.
  • Im Gegensatz dazu besitzen Schimpansen eine stabilere Variante des Proteins, wodurch ihre Immunzellen Tumorzellen effektiver zerstören können.
  • Therapien, die Plasmin blockieren oder das FasL-Protein schützen, könnten die Wirksamkeit von Immunbehandlungen bei soliden Tumoren deutlich verbessern.

Übrigens: Auch beim gefährlichsten Eierstockkrebs kann eine einzelne Genveränderung entscheidend sein – ähnlich wie bei der menschlichen Immunabwehr gegen solide Tumoren. Fehlt das Gen CDK12, treibt der Tumor sein Wachstum voran – wird dabei aber zugleich angreifbarer für gezielte Therapien. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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