Frauen vertrauen Mammographie-Screening – und zahlen mit Angst und Verunsicherung

Ein Mammographie-Screening bringt nicht den Nutzen, der von Behörden und Medien angepriesen wird, kritisiert das Leibnitz-Institut.

Experten: Zahlen zum Mammographie-Screening irreführend

Vielen Frauen werden zentrale Fakten zu Wirksamkeit und Risiken eines Mammographie-Screenings verschwiegen. © Wikimedia

Viele Frauen gehen davon aus, dass das Mammographie-Screening Leben retten kann. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Behörden, Medien und Ärzte nennen häufig eine Senkung der Brustkrebssterblichkeit um 20 bis 30 Prozent. Doch diese Darstellung ist irreführend, sagt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Relativer Nutzen wirkt größer, als er ist

Die 20 bis 30 Prozent stammen aus einer Studie der Universität Münster zur Wirksamkeit des Mammographie-Screenings. Pressemeldungen wie die der Universität selbst oder des Bundesgesundheitsministeriums, aber auch viele Medien feiern diese beeindruckende Zahl, ohne sie zu hinterfragen:

  • „Unter den Frauen, die an dem Screening teilnahmen, gingen die Brustkrebs-Todesfälle zwischen 20 und 30 Prozent zurück“, berichtet das Bundesgesundheitsministerium.
  • Die BILD schreibt: „Seit 20 Jahren rettet das Mammographie-Screening in Deutschland nachweislich Leben.“
  • Auch die ARD berichtete über die Studie, ordnete die Ergebnisse aber nicht korrekt ein.

Was nicht gesagt wird: Hierbei handelt es sich nur um eine relative Risikoreduktion. Absolut betrachtet sterben ohne Screening etwa 5 von 1.000 Frauen an Brustkrebs, mit Screening sind es 4 von 1.000. Gleichzeitig steigt die Zahl der Todesfälle durch andere Krebsarten – die Gesamt-Krebssterblichkeit bleibt also gleich.

Fakten zur Brustkrebs-Früherkennung mittels Mammographie-Screening. Quelle: Harding-Zentrum für Risikokompetenz
Fakten zur Brustkrebs-Früherkennung mittels Mammographie-Screening. Quelle: Harding-Zentrum für Risikokompetenz

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hält die weit verbreitete Darstellung dieser Studie für irreführend. Der tatsächliche Unterschied – nämlich 1 Frau von 1.000 – wird durch die Prozentangabe überhöht. Das erzeugt ein verzerrtes Bild und lässt die Wirkung größer erscheinen, als sie ist.

Schon bei der Einführung des Programms Anfang der 2000er-Jahre wurde mit dieser Zahl geworben. Ulla Schmidt, damals Gesundheitsministerin, nutzte sie in der Öffentlichkeitsarbeit. Karl Lauterbach, ebenfalls an der Einführung beteiligt, sieht das heute anders. Im SPIEGEL sagte er: „Alle neuen Erkenntnisse sprechen in der Tendenz eher gegen das Screening.“

Studien zeigen keinen längeren Nutzen, aber Risiken

Große Studien liefern keine Hinweise auf einen lebensverlängernden Effekt. Acht randomisierte Studien mit rund 500.000 Frauen belegen keine Verbesserung der Lebenserwartung und keine sinkende Gesamt-Krebssterblichkeit. Eine Langzeitstudie mit 100.000 Teilnehmerinnen über 25 Jahre kam zum selben Ergebnis.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung weist zudem auf problematische Hochrechnungen hin. So beruht die oft zitierte Zahl „3 bis 8 von 1.000“ auf einer rein mathematischen Verlängerung eines Elfjahreswerts auf 25 Jahre – ohne wissenschaftliche Grundlage.

Das Screening birgt neben der – wenn auch geringen – Strahlenbelastung weitere Risiken, die häufig untergehen: 

  • Etwa jede zehnte gesunde Frau erhält ein falsch-positives Ergebnis. Das führt zu Angst, weiteren Tests und oft unnötigen Eingriffen.
  • Manche Betroffene lassen sich operieren, teilweise sogar die Brust komplett amputieren – und das, obwohl die Zellveränderungen nie gefährlich geworden wären.

Gerd Gigerenzer, Risikoforscher und Autor der Reihe „Unstatistik des Monats“, kritisiert das seit Jahren. Gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe strich er 2010 die irreführenden Angaben aus dem „Blauen Ratgeber Brustkrebs“. Seitdem informiert die Broschüre in klaren, absoluten Zahlen – inklusive Risiken.

Milliardengelder für begrenzten Effekt

Rund 1 Milliarde Euro fließen jährlich in das Screening-Programm der gesetzlichen Krankenkassen. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung stellt infrage, ob das Geld sinnvoll eingesetzt ist. Kritiker wie Gigerenzer und Lauterbach schlagen vor, die Mittel stattdessen für Aufklärung, individuelle Beratung oder gezielte Prävention zu nutzen.

Schweiz reformiert Screening mutig – Deutschland bleibt beim Status quo

Ein Vorreiter ist die Schweiz. Dort sprechen sich Fachgremien seit Jahren zunehmend kritisch gegenüber dem flächendeckenden Mammographie-Screening aus. In mehreren Kantonen wurde das Programm bereits abgeschafft oder durch individuellere Vorsorgemodelle ersetzt. Laut dem Schweizerischen Medizinethikrat und dem Bundesamt für Gesundheit stehen dem geringen Nutzen erhebliche Risiken gegenüber – darunter Überdiagnosen und unnötige Operationen. Statt pauschaler Einladungen setzen manche Kantone nun auf persönliche Beratungsgespräche, bei denen Frauen besser über Vor- und Nachteile informiert werden.

In Deutschland bleibt ein Kurswechsel bislang aus. Viele Institutionen halten am bisherigen System fest, darunter das Bundesgesundheitsministerium, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Betreiber des Screening-Programms. Kritische Studien und politische Forderungen stoßen auf wenig Resonanz. Obwohl internationale Entwicklungen wie in der Schweiz zeigen, dass Alternativen möglich sind, fehlt hierzulande bislang der politische Wille zur Neujustierung.

Kurz zusammengefasst:

  • Das Mammographie-Screening senkt die Brustkrebssterblichkeit laut Studien nur minimal – von 5 auf 4 Fälle pro 1.000 Frauen.
  • Die häufig kommunizierte Risikoreduktion von 20 bis 30 Prozent ist relativ und wirkt dadurch größer, als sie tatsächlich ist.
  • Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung kritisiert die Darstellung als irreführend und warnt vor Überdiagnosen, Fehlalarmen und unnötigen Eingriffen.

Übrigens: Immer mehr junge Menschen bekommen Krebs – und das schon lange vor dem 50. Lebensjahr. Besonders Brust-, Darm- und Gebärmutterkrebs nehmen bei Unter-50-Jährigen deutlich zu. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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