Wie chronische Entzündungen im Darm zu Krebs führen – Berliner Forscher decken gefährlichen Mechanismus auf
Chronische Entzündungen können Krebs begünstigen: Forscher zeigen, wie ein Immunmechanismus Darmzellen dauerhaft anfällig macht.

Aus Dauerentzündung wird Gefahr: Der Darm kann bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zum Krebsherd werden. © DALL-E
Chronische Entzündungen im Darm beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität – auch das Risiko für Krebs steigt. Besonders betroffen sind junge Erwachsene mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Eine neue Studie zeigt jetzt, warum gerade sie so gefährdet sind – und welche Behandlung in Zukunft helfen könnte.
Wie chronische Entzündungen im Darm zu Krebs führen können
Es beginnt oft schleichend: Durchfälle, Bauchkrämpfe, Müdigkeit. Wer an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt, muss mit einem Alltag voller Einschränkungen leben. Die ständigen Entzündungen greifen nicht nur die Darmschleimhaut an – sie begünstigen langfristig auch die Entstehung von Krebs.
Ein Forschungsteam der Berliner Charité hat nun einen zentralen Mechanismus entschlüsselt, der erklärt, warum bei manchen Patienten das Krebsrisiko besonders hoch ist. Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel zweier körpereigener Botenstoffe: Interleukin-22 (IL-22) und Onkostatin M (OSM).
Zwei Immunstoffe schaukeln sich gegenseitig hoch
IL-22 unterstützt normalerweise den Wiederaufbau des Darmgewebes und trägt zur Heilung bei. Doch bei Menschen mit chronischer Entzündung hat IL-22 einen fatalen Nebeneffekt: Es macht die Darmzellen besonders empfänglich für OSM – einen weiteren Immunstoff, der Entzündungen weiter antreibt.
IL-22 regt die Zellen der Darmschleimhaut dazu an, mehr Rezeptoren für Onkostatin M (OSM) zu bilden. Dieser Botenstoff wiederum aktiviert entzündliche Prozesse und lockt weitere Immunzellen in das Gewebe. Das Forschungsteam beschreibt diesen Mechanismus als einen sich selbst verstärkenden Kreislauf, der sowohl die Entzündung als auch die Krebsentstehung im Darm vorantreibt.
Die Forscher konnten zeigen, dass dieser Prozess besonders aktiv ist, wenn bestimmte Immunzellen – sogenannte ILC3 – große Mengen IL-22 ausschütten. Das hat Folgen: Die Entzündung wird nicht gestoppt, sondern ständig neu angefacht.
Warum das wichtig für Betroffene ist
Die Erkenntnisse liefern eine mögliche Erklärung dafür, warum manche Menschen besonders schwer an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkranken – und warum manche Therapien bei ihnen nicht wirken. „Besonders interessant war für uns die Beobachtung, dass Patienten mit hoher Onkostatin-M-Produktion auf einige der bekannten Therapien nicht ansprechen“, so der Studienleiter Prof. Ahmed Hegazy.
Die Studie zeigt, dass OSM nicht nur an der Entstehung der Entzündung beteiligt ist, sondern auch ein Hinweis auf den Schweregrad der Erkrankung sein kann. „Die Onkostatin-M-Expression kann demnach auf ein mögliches Therapieversagen verweisen und als Biomarker für einen schweren Krankheitsverlauf dienen“, heißt es in der Studie weiter.
Neue Behandlungen in Sicht
Besonders vielversprechend: In Experimenten mit Mäusen entfernten die Forscher gezielt den Rezeptor für OSM aus den Zellen der Darmschleimhaut. Das Ergebnis war eindeutig: „Die gezielte Entfernung des OSMR-Gens in Epithelzellen schützt Mäuse vor Kolitis und kolitis-assoziiertem Krebs“, schreiben die Autoren.
Auch die Zahl der Immunzellen im entzündeten Gewebe ging deutlich zurück. In einem weiteren Schritt blockierten die Forscher den Rezeptor mit einem Antikörper – und auch hier verringerte sich die Entzündungsaktivität. In der Studie heißt es dazu: „Die Blockade von OSM schwächt die bereits bestehende Tumorbildung im Mausmodell ab.“
Die neue Therapie zielt also nicht mehr auf das gesamte Immunsystem, sondern direkt auf die Entzündungskaskade im Gewebe – ein gezielter Eingriff mit möglicherweise weniger Nebenwirkungen.
Hoffnung für Menschen mit schwerem Krankheitsverlauf
Auch bei Darmkrebs, der infolge chronischer Entzündung entsteht, zeigte sich ein eindeutiges Muster: Die Forscher fanden eine hohe Zahl an OSM-Rezeptoren im Tumorgewebe – im gesunden Bereich hingegen kaum. Das legt nahe: Der Mechanismus ist nicht nur an der Entzündung beteiligt, sondern auch an der Krebsentstehung.
Gerade für jene, bei denen gängige Medikamente nicht ausreichen, könnte der neue Ansatz ein Durchbruch sein. „Wir treffen in der Klinik vor allem auf junge Patienten, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Bisher können wir die Krankheitsverläufe nur verlangsamen und Symptome lindern“, sagt Hegazy. „Neue therapeutische Ansatzpunkte sind daher dringend nötig.“
Kurz zusammengefasst:
- Chronische Entzündungen können Krebs auslösen – besonders bei Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa steigt das Risiko deutlich.
- Berliner Forscher haben einen Mechanismus entdeckt, bei dem die Immunstoffe IL-22 und Onkostatin M Entzündungen und Tumorbildung gemeinsam verstärken.
- Die Studie zeigt: Wer den Kreislauf aus chronischen Entzündungen und Krebs gezielt unterbricht, könnte schwere Verläufe und Darmkrebs verhindern.
Übrigens: Während chronische Entzündungen im Darm Krebs auslösen können, spielt der Darm auch im Zusammenhang mit der Krankheit der 1000 Gesichter eine zentrale Rolle. Neue Studien zeigen, wie bestimmte Bakterien das Risiko für Multiple Sklerose deutlich erhöhen können. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E
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