Intelligenz schadet der Moral – Was Forscher bei über 1.300 Menschen fanden
Zwei unabhängige Studien zeigen: Je höher die Intelligenz, desto schwächer ist Moral ausgeprägt – bei Männern wie Frauen gleichermaßen.

Menschen mit hoher Intelligenz neigen dazu, moralische Werte wie Mitgefühl oder Loyalität weniger stark zu vertreten – unabhängig vom Inhalt der Überzeugung. © Pexels
Zwischen Intelligenz und Moral besteht offenbar ein enger Zusammenhang: Je höher der IQ, desto seltener vertreten Menschen starre moralische Überzeugungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung aus dem Vereinigten Königreich, die den Einfluss kognitiver Fähigkeiten auf moralische Einstellungen bei Erwachsenen beleuchtet hat. Besonders deutlich wird das bei Themen wie körperlicher Reinheit, Sexualität und religiös geprägten Normen.
Untersucht wurden über 1.300 Menschen in zwei voneinander unabhängigen Studien. Sie beantworteten einen umfassenden Fragebogen zu moralischen Einstellungen und durchliefen zugleich einen standardisierten Intelligenztest. Die Auswertung zeigt: Je höher die gemessene Intelligenz, desto schwächer fielen moralische Bewertungen aus – über alle sechs untersuchten Wertebereiche hinweg.
Intelligenz schwächt Moral: Zusammenhang erstmals klar belegt
Die Forscher prüften moralische Einstellungen in zwei Dimensionen:
- Individualisierende Werte wie Fürsorge und Gleichheit
- Bindende Werte wie Loyalität, Reinheit und Autorität
In beiden Studien zeigte sich:
- Je höher die Intelligenz, desto schwächer fielen moralische Überzeugungen aus. Besonders stark war dieser Effekt bei Werten wie Loyalität, Reinheit oder Gehorsam – also klassischen, eher konservativen Moralvorstellungen.
- Aber auch bei liberalen Werten wie Fürsorge oder Gleichheit zeigte sich ein Rückgang. Intelligente Menschen unterstützen solche Prinzipien seltener uneingeschränkt.
- Der deutlichste Zusammenhang bestand bei der sogenannten verbalen Intelligenz – also sprachlicher Denkfähigkeit. Wer hier besonders stark war, lehnte Vorstellungen wie „Der Körper ist etwas Heiliges“ oder „Manche Dinge sind von Natur aus unrein“ besonders häufig ab.
Intelligente Menschen denken analytisch – und fühlen weniger moralisch
Warum dieser Zusammenhang besteht, erklärt das Team mit einem Modell, das es als Morality Suppression Model bezeichnet. Die Idee: Wer analytisch denkt, verlässt sich weniger auf intuitive Gefühle. Doch gerade diese sind laut vielen Theorien die Basis für moralische Überzeugungen.
Ein Satz aus der Studie bringt es auf den Punkt:
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein reflektierender Denkstil alle moralischen Grundlagen abschwächt.
Studie
Ein weiterer Befund: Das Geschlecht spielte keine Rolle. Männer und Frauen zeigten den Effekt in ähnlicher Stärke.
Insgesamt erklärte die Intelligenz etwa 5 bis 6 Prozent der Unterschiede in moralischen Einstellungen. Das klingt zunächst wenig, ist aber im Bereich der Persönlichkeits- und Sozialforschung ein relevanter Wert – vor allem, weil die Ergebnisse in beiden Stichproben fast identisch ausfielen.
Getestete Modelle: Nur eines passt zu den Daten
Die Forscher prüften vier theoretische Modelle:
- Kein Zusammenhang
- Intelligenz stärkt moralische Überzeugung
- Intelligenz stärkt liberale Moral, schwächt konservative Moral
- Intelligenz schwächt alle moralischen Überzeugungen
Nur das vierte Modell passte zu den Daten. Es wurde in beiden Studien bestätigt.
Studie
Das Modell der Morality Suppression wurde bestätigt: Höhere Intelligenz geht mit schwächeren moralischen Überzeugungen einher.
Besonders spannend: Der Effekt zeigt sich nicht nur bei traditionellen Werten wie Autorität oder Reinheit. Auch Mitgefühl und Fairness – also eher progressive Werte – schwächen sich ab, je höher die kognitive Leistung ist.
Begrenzte Aussagekraft – aber klares Muster – Autoren schränken Ergebnisse ein
Einige Einschränkungen nennen die Autoren selbst:
- Nur britische Teilnehmer, daher eingeschränkte Übertragbarkeit
- Moral wurde nur mit einem einzigen Testverfahren erfasst
- Kein Beweis für Kausalität – es ist auch denkbar, dass bestimmte moralische Einstellungen die Intelligenzentwicklung beeinflussen
Kurz zusammengefasst:
- Menschen mit höherer Intelligenz vertreten moralische Überzeugungen – egal ob liberal oder traditionell – insgesamt schwächer.
- Besonders deutlich zeigt sich dieser Effekt bei Vorstellungen von Reinheit, Autorität und Loyalität, aber auch Mitgefühl und Gleichheit nehmen leicht ab.
- Zwei unabhängige Studien mit über 1.300 Erwachsenen bestätigen: Analytisches Denken kann intuitive, gefühlsbasierte Moralvorstellungen spürbar abschwächen.
Übrigens: Menschen kommen nicht mit einem Sinn für Gut und Böse zur Welt. Laut einer internationalen Studie können Kinder unter zehn Monaten moralisches Verhalten noch nicht erkennen – Moral entwickelt sich erst durch Erfahrungen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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