Verbindung statt Machtkämpfe: Was „Gentle Parenting“ so besonders macht
Eltern stehen oft zwischen Strenge und Nachsicht. „Gentle Parenting“ setzt auf Empathie und klare Grenzen.
Ein quengelndes Kind, das partout nicht ins Bett gehen will. Ein wütender Streit, weil die Zahnbürste heute der größte Feind ist. Solche Alltagssituationen stellen Eltern vor die Frage: Reagiere ich mit Strenge oder Nachsicht? Der Erziehungsstil „Gentle Parenting“, also „sanfte Erziehung“ – hierzulande auch unter „Bedürfnisorientierte Erziehung“ bekannt – liefert darauf eine Antwort, die auf den ersten Blick radikal wirken mag: Verstehen statt Strafen. Doch wie funktioniert diese sanfte Erziehung tatsächlich – und wo liegen ihre Grenzen?
„Gentle Parenting“ hat in den vergangenen Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erlangt. Dieser Ansatz vereint Empathie und klare Grenzen und will sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch denen der Eltern gerecht werden. Für die Pädagogin Inke Hummel ist „Gentle Parenting“ ein wertvoller Mittelweg zwischen autoritärer und laissez-fairer Erziehung. „Je zugewandter und beziehungsstärker wir erziehen, desto gesünder werden die Kinder groß“, betont Hummel gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Grundlage dieses Stils ist das Verstehen des kindlichen Verhaltens. Eltern sollten die Gründe für das Handeln ihres Kindes reflektieren, anstatt mit Strafen oder harscher Kritik zu reagieren, wenn beispielsweise ein übermüdetes Kind nicht mehr Zähne putzen will. „Über diese Müdigkeit kann das Kind noch nicht hinweggehen. Es zeigt einfach pur sein Bedürfnis“, erklärt Hummel.
Verbindung als Grundlage für Erziehung
Ein zentrales Prinzip von „Gentle Parenting“ ist, dass die emotionale Verbindung zwischen Eltern und Kindern stets Vorrang hat. Elizabeth Tenety schreibt in Motherly, dass es hilft, schwierige Situationen zu entschärfen, indem man die Gefühle eines Kindes bestätigt, bevor man auf Fehlverhalten eingeht. Ein „Ich verstehe, dass du wütend bist, weil dein Bruder dir das Spielzeug weggenommen hat. Aber deshalb ist Hauen trotzdem nicht in Ordnung.“ kann so manchen Geschwisterstreit deeskalieren. Diese Methode fördert das Vertrauen und schafft eine stabile Grundlage für langfristig positives Verhalten.
Auch Momfluencerin Marlies Johanna setzt auf diesen Ansatz. „Wenn mein Kind bei etwas nicht mitmacht, schreie ich nicht, sondern frage mich, warum es sich so verhält und wie ich die Situation lösen kann“, beschreibt sie ihre Herangehensweise gegenüber dem RND. „Gentle Parenting bedeutet nicht, dass Kinder tun können, was sie wollen. Es geht darum, Grenzen zu setzen, die sich für beide Seiten richtig anfühlen.“
Kein Kind ist wie das andere
Keine Erziehungsmethode funktioniert bei allen Kindern gleichermaßen. Ein Ansatz, der bei einem Kind Erfolg hat, kann bei einem anderen wirkungslos sein. Tenety schildert ein Beispiel: „Ich habe gelernt, dass mein Sohn klare Anweisungen brauchte, um sich sicher zu fühlen.“ Diese individuelle Anpassung war entscheidend für ihre erfolgreiche Erziehung.
Auch Hummel betont die Bedeutung von Flexibilität. Eltern sollten Grenzen und Regeln schaffen, die die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigen, dabei aber auch für die Eltern praktikabel bleiben.
Konflikte nicht vermeiden, sondern nutzen
„Gentle Parenting“ fordert von Eltern, Konflikte mit ihren Kindern nicht zu scheuen, sondern sie als Chance zu sehen. „Ich muss gucken, dass das Kind auch lernt, mal auszuhalten, mal abzuwarten, mal mitzumachen“, erklärt Hummel. Konflikte können helfen, gegenseitiges Verständnis zu fördern und Kindern beizubringen, mit Frustrationen umzugehen.
Tenety ergänzt, dass die Ruhe der Eltern eine entscheidende Rolle spielt. „Gelassenheit ist während disziplinarischer Momente essenziell, da sie verhindert, dass Konflikte eskalieren, und für eine konstruktive Kommunikation sorgt.“ Indem Eltern in solchen Situationen Ruhe bewahren, zeigen sie ihren Kindern, wie Emotionen reguliert werden können – eine entscheidende Fähigkeit im späteren Leben.
Wissenschaftliche Erkenntnisse stützen „Gentle Parenting“
Die Grundsätze von „Gentle Parenting“ finden auch wissenschaftliche Bestätigung. Studien zeigen, dass Kinder in einem unterstützenden Umfeld, das von Respekt und Empathie geprägt ist, besser lernen, ihre Emotionen zu regulieren und aus Fehlern zu wachsen. Angst und Strafen hingegen können laut Motherly das Gegenteil bewirken und Kinder daran hindern, sich weiterzuentwickeln.
Hummel betont, dass Eltern eine Haltung einnehmen sollten, die die Beziehung zum Kind stärkt. „Das ist ein langer Weg, weil wir das vor der Elternschaft nicht gelernt haben“, erklärt sie. Besonders zu Beginn brauche es viel Reflexion und Engagement, so die Pädagogin.
Die Eltern im Fokus
Neben der Arbeit mit den Kindern erfordert bedürfnisorientierte Erziehung also auch eine intensive Auseinandersetzung der Eltern mit sich selbst. „Es kommt auf die innere Haltung an – und an der zu arbeiten ist sehr schwierig“, sagt Johanna. Eltern müssen ihre persönliche Trigger erkennen und alte Verhaltensmuster reflektieren, um authentisch mit ihren Kindern umzugehen.
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Johanna erklärt: „Für mich geht es darum, dass ich eine echte Beziehung zu meinen Kindern aufbauen kann und meine Kinder wertschätze, wie sie sind.“ Diese Authentizität sei essenziell für eine stabile Eltern-Kind-Beziehung.
Zeit und Ressourcen als Hindernis
„Gentle Parenting“ erfordert Zeit, die nicht allen Eltern gleichermaßen zur Verfügung steht. „Ich bin sehr privilegiert, was Zeitressourcen angeht – ich kann meditieren, ich kann in Therapie gehen und mir Zeit nehmen, um ein Buch zu lesen“, erklärt Johanna. Gestresste Eltern mit weniger Ressourcen können hingegen schneller in alte Muster zurückfallen.
Hummel weist darauf hin, dass es bei bedürfnisorientierter Erziehung weniger um Perfektion, sondern um die Grundhaltung gehe.
Es kommt darauf an, dass ich versuche, mein Kind und mich selber zu sehen und zu schauen, wie wir das miteinander hinbekommen können.
Was du dir merken solltest:
- „Gentle Parenting“ fördert eine Erziehung, die auf Empathie, klare Grenzen und gegenseitigen Respekt setzt. Eltern sollen kindliches Verhalten reflektieren und Bedürfnisse berücksichtigen, ohne die eigenen zu vernachlässigen.
- Emotionale Verbindung steht über Strafen, doch Konflikte sind erlaubt und wichtig. Kinder lernen durch klar gesetzte Regeln und die Gelassenheit der Eltern, mit Frustrationen umzugehen und eigene Emotionen zu regulieren.
- Der Ansatz erfordert Zeit und Selbstreflexion von den Eltern. Authentizität im Umgang mit Kindern und die Bereitschaft, alte Muster zu hinterfragen, schaffen eine stärkere Beziehung und fördern langfristig eine gesunde Entwicklung.
Übrigens: Stress und fehlende Unterstützung treiben viele Eltern in Deutschland in den Burn-out. Die Folgen: Erschöpfung, emotionale Distanz und nagende Selbstzweifel. Mehr dazu in unserem Artikel.
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