TikTok erschwert Lernen – schon wenige Minuten machen das Denken oberflächlicher
Kurzvideos auf TikTok & Co. überfordern das Gehirn. Zwei Studien zeigen: Sie erschweren rationales Denken und fördern oberflächliches Lernen.

Häufiges Scrollen senkt die Konzentration und fördert oberflächliches Auswendiglernen statt echtes Verstehen. © Westend61/zerocreatives
Kurzvideos auf TikTok, Instagram-Reels und YouTube-Shorts gehören für viele längst zum Alltag – schnell konsumiert, visuell grell, oft mit lauter Musik, knalligen Effekten und rasanten Schnitten. Was unterhält, wirkt zugleich überfordernd. Denn die ständige Reizflut macht es schwer, sich zu konzentrieren oder Inhalte wirklich zu verarbeiten. Zwei neue Studien der Technischen Universität Braunschweig zeigen nun: Wer regelmäßig solche Videos schaut, lernt oberflächlicher und denkt weniger reflektiert. Besonders für Schülerinnen, Schüler und Studierende stellt sich damit die Frage, wie stark TikTok das Lernen im digitalen Alltag tatsächlich beeinträchtigt.
Häufige TikTok-Nutzung schwächt das logische Denken
In der ersten Studie befragten die Forscher 169 Erwachsene im Alter zwischen 18 und 52 Jahren zu ihrem Umgang mit Kurzvideos. Zusätzlich testeten sie deren Fähigkeit zum rationalen Denken und ihren Lernstil. Das Ergebnis war eindeutig: Wer viel TikTok nutzt, schneidet beim Denk-Test schlechter ab.
Die Studienautoren schreiben: „Kurzvideonutzung steht in negativem Zusammenhang mit rationalem Denken.“ Wer regelmäßig durch solche Clips scrollt, verliert also zunehmend die Fähigkeit, Informationen systematisch zu analysieren – eine Fähigkeit, die für erfolgreiches Lernen entscheidend ist.
Oberflächliches Lernen wird zur Gewohnheit
Auch beim Lernstil zeigten sich klare Unterschiede: Häufige Nutzer von Kurzvideos neigen eher dazu, Inhalte nur noch auswendig zu lernen, statt sie wirklich zu verstehen oder kritisch zu hinterfragen.
Die Forscher halten fest: „Kurzvideonutzung steht in positivem Zusammenhang mit einem oberflächlichen Lernansatz.“ Wer sich an das schnelle Konsumieren gewöhnt, nimmt zwar Informationen auf – aber ohne Tiefe oder nachhaltigen Lerneffekt.
Schon drei Minuten TikTok kippen den Lernstil ins Oberflächliche
In der zweiten Untersuchung wurden 123 junge Erwachsene in vier Gruppen eingeteilt. Zwei Gruppen sahen zunächst drei Minuten typische Social-Media-Clips. Danach bekamen alle denselben Lernstoff – entweder als Fließtext oder in Form von zwei Kurzvideos. Die Inhalte waren identisch.
Das Ergebnis:
- Lernen mit Texten führte zu besseren Ergebnissen
- Schon wenige Minuten TikTok ließen den Lernstil ins Oberflächliche kippen
- Obwohl die Inhalte identisch waren, schnitten Videonutzer schlechter ab
Die Studienleiter schreiben: „Wer Kurzvideos schaut, neigt danach eher dazu, Inhalte nur oberflächlich aufzunehmen – statt sie wirklich zu verstehen.“ Selbst kurzes Scrollen vor dem Lernen senkte die Bereitschaft, sich mit Inhalten tiefer auseinanderzusetzen.
TikTok erschwert Lernen – auch bei identischen Inhalten
Die Leistung beim anschließenden Wissenstest war messbar schlechter, wenn der Lernstoff per Kurzvideo vermittelt wurde. „Die Leistung beim Wissenserwerb war bei der Kurzvideo-Methode niedriger“, heißt es wörtlich.
TikTok stört das Lernen also nicht nur langfristig – sondern schon nach wenigen Minuten. Das Gehirn gewöhnt sich an schnellen Input und verliert die Fähigkeit, sich auf längere, ruhigere Denkprozesse einzulassen.
Warum TikTok das Denken träge macht
Kurzvideos aktivieren vor allem das schnelle, automatische Denken – das sogenannte System-1-Denken. Das hilft im Alltag, verhindert aber tiefes Verstehen. Für echtes Lernen braucht es das langsame, reflektierte System-2-Denken – genau das kommt bei Dauer-Scrollern zu kurz.
Zusätzlich liefern die Clips im Sekundentakt neue Reize: Musik, Effekte, Witz, Geschwindigkeit. Das wirkt wie ein Belohnungssystem für das Gehirn – und kann süchtig machen. Kein Wunder, dass TikTok laut Studie in der populärwissenschaftlichen Presse „manchmal als digitales Crack-Kokain bezeichnet wird“.
Was Lehrkräfte jetzt wissen sollten
Thorsten Otto von der TU Braunschweig rät zu einem bewussteren Einsatz von Kurzvideos im Unterricht. „Lehrkräfte, die Kurzvideos in ihren Unterricht integrieren möchten, sollten bei der Auswahl oder Gestaltung auf Elemente verzichten, die eine zusätzliche kognitive Belastung verursachen wie etwa Untertitel oder ein zu hohes Tempo.“
Denn: Zu viele gleichzeitige Reize – Musik, Effekte, schnelle Schnitte – überfordern das Arbeitsgedächtnis. Der Stoff wird gezeigt, aber nicht verarbeitet. Unterricht braucht Struktur, nicht Ablenkung.
Tipps gegen die TikTok-Gewohnheit
Auch Lernende selbst können gegensteuern:
- Push-Nachrichten ausschalten
- Handy auf Schwarz-Weiß-Modus umstellen
- bewusst konsumieren statt endlos scrollen
- Lernzeiten klar von Bildschirmzeiten trennen
Und vor allem: mehr lesen. Wer Texte nutzt, trainiert Konzentration, Verstehen und vernetztes Denken – Fähigkeiten, die durch Kurzvideo-Konsum verloren gehen können.
TikTok kann neugierig machen – ersetzt aber kein echtes Lernen
Studienleiter Otto betont: „Kurzvideos im Unterricht sind nicht per se problematisch – aber sie stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar.“ Sie eignen sich, um Interesse zu wecken – nicht, um Inhalte zu verankern.
Wer erfolgreich lernen will, braucht mehr als kurze Reize. Lernen braucht Zeit, Ruhe – und die Bereitschaft, sich auf Inhalte einzulassen. Das funktioniert selten in 15 Sekunden.
Kurz zusammengefasst:
- TikTok erschwert Lernen, weil häufiges Scrollen die Konzentration senkt und zu oberflächlichem Auswendiglernen statt Verstehen führt.
- Bereits wenige Minuten Kurzvideokonsum vor dem Lernen verschlechtern die Aufnahmefähigkeit und senken das Verständnis.
- Texte fördern Konzentration und tiefes Verstehen – Kurzvideos eignen sich dagegen kaum für nachhaltiges Lernen.
Übrigens: TikTok kann nicht nur das Lernen stören – über Hashtags wie #skinnytok verbreiten sich auch Schönheitsideale, die Essstörungen begünstigen können. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Westend61/zerocreatives