Soziologe lehnt Generationenkonzept ab: „Wir alle denken anders als früher“
Soziologie-Professor Martin Schröder übt Kritik an der Idee unterschiedlicher Generationen und führt die Unterschiede auf andere Faktoren zurück.
Bei einem Interview mit dem SRF stellt Soziologie-Professor Martin Schröder das Generationenkonzept in Frage. Die Einteilung von Menschen in Generationen wie Z, Y oder Babyboomer sei wissenschaftlich nicht fundiert.
Der gängigen Meinung, dass man die Einstellungen von Menschen durch ihr Geburtsjahr statistisch belegen könne, widerspricht Schröder. Signifikante Unterschiede zwischen den Generationen ließen sich Schröder zufolge bislang in keiner großen Umfrage feststellen.
Wenn man von Generationen spricht, müsste dies statistisch überprüfbar sein: Ich muss die Einstellung von Menschen durch ihr Geburtsjahr erklären können, unabhängig davon, wann ich sie frage und wie alt sie sind. Wer also den 1980er-Jahren geboren wurde, hätte demnach eine bestimmte Einstellung, nicht nur im Jahr 2000, sondern auch im Jahr 2020. Aber die Vermutung, ich könnte dadurch erklären, wie Menschen denken, wenn ich weiß, wann sie geboren wurden, findet man in großen Umfragen nicht bestätigt.
Prof. Martin Schröder
Das Generationenkonzept auf dem Prüfstand
Schröder führt weiter aus, dass das Verhalten und die Einstellungen von Menschen eher durch Alters- und Periodeneffekte als durch das Jahr ihrer Geburt erklärbar seien.
Wir alle denken anders als früher. Ich gehe mal davon aus, dass Sie z.B. mit 20 öfters ausgegangen sind, als mit 45. Das wäre ein typischer Alterseffekt. Wenn man z.B. in den 1980ern gefragt hätte, ob Homosexuelle heiraten dürfen, dann waren damals viele eher skeptisch. Heute können sich das viele gut vorstellen. Das wäre ein Periodeneffekt.
Prof. Martin Schröder
Junge Leute arbeiteten heute nicht weniger als früher, weil sie etwa der Generation Z angehören. Sie arbeiten weniger, weil junge Menschen generell andere Prioritäten setzen.
Wenn ich sage, junge Menschen wollen heutzutage weniger arbeiten als früher, dann liegt das daran, dass junge Menschen schon immer weniger lange arbeiten wollten. Anders, als vielleicht mit 45, wenn man eine Familie oder ein Haus finanzieren muss.
Prof. Martin Schröder
Zudem stärken niedrige Arbeitslosigkeitsquoten die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern, da sie bei der Suche nach Arbeit weniger Konkurrenz zu befürchten haben. Dieser Umstand führe zu der fälschlichen Wahrnehmung, dass eine ganze Generation anspruchsvoller geworden sei. Steigt die Arbeitslosigkeit, würden solche Ansprüche schnell wieder verschwinden, was das Generationenkonzept laut Schröder ad absurdum führe.
Der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit
Auf die Frage, warum das Generationenkonzept dann so populär sei, erklärt Schröder, dass Menschen evolutionär dazu neigen, sich einer Gruppe zugehörig fühlen zu wollen. Dieses Konzept dient als Abgrenzungsmechanismus – die eigene Generation wird aufgewertet, während frühere und spätere Generationen abgewertet werden.
Die Einteilung von Menschen in Generationen diene daher oft mehr dem Bedürfnis nach Gruppenidentität und weniger einer wissenschaftlichen Logik.
Evolutionär wollen wir uns alle einer Gruppe zugehörig fühlen. Es zeigt sich immer noch dadurch, dass uns eine Gruppenzugehörigkeit ganz wichtig ist als Mann oder Frau oder als Schweizer oder auch als Generation.
Prof. Martin Schröder
„Generationismus“: Der neue „-ismus“ als Mittel der Diskriminierung
Laut einem Blogbeitrag vom Martin Schröder erfüllt der Glaube an Generationen eine ähnliche Funktion wie früher der Sexismus oder Rassismus. Da das menschliche Gehirn dazu neigt, Menschen in Gruppen einzuteilen und es somit möglich wird, die eigene Gruppe durch die Abwertung anderer zu erhöhen, kann dies subjektiv befriedigend sein. Dies ist jedoch nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch rechtlich unzulässig.
Glücklicherweise erkennen wir laut Schröder heute, dass Merkmale wie Geschlecht oder Hautfarbe wenig über eine Person aussagen, da die darauf basierenden Gruppen sich in wesentlichen Eigenschaften kaum unterscheiden. Selbst wenn Unterschiede existieren würden, wäre es unrechtmäßig, Individuen auf Basis dieser Gruppenmerkmale zu bewerten, anstatt sie als einzigartige Individuen zu behandeln. Eine sinnvolle Klassifizierung einer Person basiert also nicht auf ihrer Hautfarbe oder ihrem Geschlecht.
Nicht nur bei Hautfarbe und Geschlecht, sondern auch beim Geburtsdatum erfolgen dann nach den gleichen Mechanismen erstens Kategorisierung, zweitens Stereotypisierung und in der Folge als drittes Diskriminierung basierend auf einem sichtbaren, angeborenen Merkmal, um die eigene Gruppe auf Kosten einer anderen zu erhöhen. Dies führt zu spöttischen Bemerkungen wie „Ok Boomer“ oder „Generation Snowflake“. Doch Diskriminierung wird nicht akzeptabler, indem man das Merkmal der Diskriminierung wechselt. Obwohl wir Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Hautfarbe zu Recht anprangern, wird Diskriminierung aufgrund des Geburtsjahres noch nicht in gleichem Maße skandalisiert. Diskriminierung aufgrund des Geburtsdatums folgt jedoch denselben Mechanismen wie andere -ismen und ist daher genauso verwerflich und rechtlich bedenklich wie andere verbotene Diskriminierungsformen.
Was du dir merken solltest:
- Soziologie-Professor Martin Schröder stellt den wissenschaftlichen Hintergrund des Generationenkonzepts in Frage und verweist darauf, dass keine große Studie signifikante Unterschiede zwischen den Generationen aufgezeigt habe.
- Schröder erklärt, dass Alters- und Periodeneffekte einen größeren Einfluss auf Einstellungs- und Verhaltensunterschiede zwischen Menschen haben als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation.
- Die Kategorisierung und Diskriminierung von Menschen basierend auf ihrem Geburtsdatum, ähnlich den Mechanismen von Rassismus oder Sexismus, ist moralisch und rechtlich unzulässig, da sie Individuen ungerechtfertigt auf Gruppenmerkmale reduziert und dadurch abwertet.
Bild: © Vecteezy
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