Gen Z erreicht man nur online – Social Media wird zur Pflicht für Politik
Ohne Social Media bleibt Politik für viele Jugendliche unsichtbar – sie informieren sich kaum noch in klassischen Medien.

Junge Menschen informieren sich vor allem auf TikTok und Instagram über Politik – und vertrauen dabei eher Influencern als Parteien. © Pexels
Viele junge Menschen kommen heutzutage mit Politik nicht mehr über Zeitung, Schule oder Fernsehen in Berührung – sondern über Social Media. Zwischen Reels, Storys und Videos entscheiden TikTok, Instagram und YouTube zunehmend darüber, welche politischen Inhalte überhaupt gesehen werden. Was dort erscheint, prägt das politische Weltbild einer ganzen Generation. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, wie groß dieser Einfluss inzwischen ist – und warum politische Akteure umdenken müssen, wenn sie die Gen Z noch erreichen wollen.
Die klassische Medienwelt hat kaum noch Einfluss
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache:
- 74 Prozent der Befragten informieren sich vor allem über soziale Netzwerke.
- Nur 46 Prozent greifen dafür noch auf klassische Medien zurück.
- Auch Schule (60 Prozent), Familie (58 Prozent) oder Freundeskreis (54 Prozent) liegen deutlich hinter Social Media.
Wer politisch etwas erreichen will, muss in dieser digitalen Welt präsent sein – dort, wo sich junge Menschen täglich bewegen.
Content Creator ersetzen politische Akteure
Auf Social Media folgen 60 Prozent der Jugendlichen gezielt politischen Influencern. Offiziellen Politikern oder Parteien schenken nur 38 Prozent Beachtung.
Die Influencer arbeiten dabei meist unabhängig, ohne Redaktion, oft emotional, nahbar und auf Augenhöhe. Gerade das macht sie für junge Nutzer besonders attraktiv – aber auch unkontrollierter in ihrer Wirkung.
Wie funktioniert Politik auf Social Media – und wie nicht?
Entscheidend für die Sichtbarkeit eines Posts ist der Algorithmus. Er belohnt Inhalte, die starke Reaktionen hervorrufen – etwa Likes, Kommentare oder geteilte Videos. Sachthemen verlieren dabei schnell an Reichweite.
Einige Formate und Themen dominieren die Feeds, andere verschwinden nahezu. Die folgende Übersicht zeigt, welche politischen Inhalte auf Social Media besonders viel Reichweite erzielen – und welche kaum sichtbar werden:
Inhalt oder Format | Effekt auf Reichweite |
---|---|
Angriffe auf politische Gegner | +40 % |
Positive Selbstdarstellung der Partei | –12 % |
Migrationsthemen | +11 % |
Bildungsthemen | –17 % |
Umwelt | –18 % |
Selfie-Video | positiv |
Tanzen im Video | –45 % Wahrscheinlichkeit weiterzuschauen |
Demoaufruf | +17 % |
Wahlaufruf | +8 % |
Relevante Inhalte bleiben oft unsichtbar
Die Zahlen zeigen: Reichweite folgt nicht dem, was wichtig ist – sondern dem, was provoziert. Gerade Beiträge zu Schule, Ausbildung oder sozialer Gerechtigkeit haben es schwer. Bildungsvideos schneiden besonders schlecht ab. Auch Umweltinhalte oder Rentenfragen tauchen selten in den Feeds junger Menschen auf.
Stattdessen dominieren emotionalisierte Themen wie Migration oder Regierungskritik. Inhalte mit klarer Haltung, Zuspitzung oder Konfliktpotenzial erreichen deutlich mehr Menschen.
Angriff statt Argument – eine bedenkliche Entwicklung
Viele politische Videos zeigen Eigenlob. Besonders bei SPD und Volt dominiert die positive Selbstdarstellung. Doch diese Strategie zieht kaum Reichweite.
Anders bei AfD, BSW oder Die Linke: Dort bestehen viele Beiträge aus direkten Angriffen auf politische Gegner. Bei der AfD trifft das auf 73 Prozent der Videos zu. Diese Taktik funktioniert – zumindest in Sachen Sichtbarkeit. Die Studienautoren weisen jedoch darauf hin:
Unsere Befragungen zeigen, dass junge Menschen die verbalen Angriffe kritisch sehen und es ablehnen, in Kurzvideos über andere herzuziehen.
Politische Beteiligung bleibt die Ausnahme
Obwohl viele junge Menschen politische Inhalte konsumieren, bleibt die Beteiligung gering. Nur 17 Prozent kommentieren oder diskutieren, jeder Fünfte liked oder teilt Beiträge. Politik wird also eher beobachtet als mitgestaltet. Der Austausch bleibt oberflächlich, echte Beteiligung ist selten.
Online-Aufrufe wirken kaum – offline bewegt mehr
Fast 40 Prozent der analysierten Videos enthalten eine direkte Handlungsaufforderung. Doch nicht jede wirkt. Digitale Appelle wie „liken“ oder „teilen“ bremsen oft sogar die Reichweite. Wirksamer sind klare Aufrufe zu realen Aktionen:
- Teilnahme an Demonstrationen
- Aufrufe zur Wahlbeteiligung
Das zeigt: Soziale Netzwerke können zur politischen Mobilisierung beitragen – aber nur, wenn sie an den Alltag der Nutzer andocken.
Sichtbarkeit allein reicht nicht – es fehlt an Breite
Fast alle Bundestagsabgeordneten nutzen Instagram. Aber nur 45 Prozent haben ein TikTok-Konto. Auf Landes- und kommunaler Ebene ist die Präsenz noch schwächer. Dabei entstehen gerade dort viele Entscheidungen, die junge Menschen direkt betreffen.
Rechtspopulistische Akteure wie die AfD nutzen diese Lücke gezielt aus. Mit kurzen, zugespitzten Statements erreichen sie hohe Reichweiten – vor allem durch ein Netzwerk kleiner Accounts, das täglich Inhalte verteilt. Die Studienautoren warnen daher:
Die Begegnung mit Politik auf Kurzvideo-Plattformen ist prägend für das politische Mindset der jungen und damit nächsten Generation.
Kurz zusammengefasst:
- Drei Viertel der jungen Menschen informieren sich über Politik fast ausschließlich auf Social Media – klassische Medien verlieren stark an Bedeutung.
- Politische Inhalte mit Konflikten oder Angriffen erzielen deutlich mehr Aufmerksamkeit, während wichtige Themen wie Bildung, Umwelt oder Sozialpolitik kaum Reichweite bekommen.
- Influencer sind für viele Jugendliche glaubwürdiger als Parteien oder Politiker – das verändert, wie politische Meinungen entstehen und vermittelt werden.
Übrigens: Die Gen Z gilt oft als leicht beeinflussbar – dabei lässt sie sich beim Einkaufen kaum von Social-Media-Stars beeindrucken. Wer sie erreichen will, braucht mehr als Werbung und Markenlogos. Mehr dazu in unserem Artikel.
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