Schulstart: Eltern merken oft ein Jahr lang nicht, wie es ihrem Kind geht
Aufgrund falscher Kommunikation erkennen Eltern oft erst nach einem Jahr, wie ihr Kind den Schulstart wirklich erlebt.

„Glückliche Kinder lernen besser und die ersten Schuljahre können die Richtung vorgeben.“ sagt Studienleiterin Prof. Hughes.
Wenn Kinder eingeschult werden, hoffen Eltern meist auf einen guten Start ins Schulleben. Sie packen täglich Schulranzen und Pausenbrote. Doch wie Kinder die Schule tatsächlich erleben, bleibt oft überraschend unklar. Eltern und Kinder sprechen beim Thema Schulstart meist völlig aneinander vorbei. Die University of Cambridge hat über 200 Familien aus Großbritannien begleitet – mit einem klaren Ergebnis: Das Bauchgefühl vieler Eltern täuscht. Viele Mütter und Väter erkennen erst nach rund einem Jahr, wie sich ihr Kind in der Schule wirklich fühlt.
Oft glauben Mütter und Väter, ihr Kind sei im Klassenzimmer glücklich. Doch die Kinder berichten etwas anderes – sie fühlen sich eher auf dem Pausenhof wohl. Die Forscher nennen es eine „Verzerrung“ in der Wahrnehmung.
Mit Missverständnissen aufräumen
Im ersten Schuljahr liegt die Einschätzung der Eltern weit von dem entfernt, was Kinder selbst angeben. Erst im zweiten Jahr gleichen sich die Wahrnehmungen langsam an. Aber: Viele Eltern beschreiben zu diesem Zeitpunkt das, was die Kinder bereits zwölf Monate vorher erlebt haben.
Die Forscher stellten auch fest, dass Kinder im Unterricht oft als unzufriedener empfunden wurden, als sie es tatsächlich waren. Gleichzeitig unterschätzten Eltern, wie positiv die Kinder die Pausenzeiten erleben. Die Folge: Viele Gespräche zu Hause drehen sich um den Unterricht, aber nicht um die Momente, in denen Kinder Kraft schöpfen.
„Unsere Forschung zeigt, dass es im Schnitt ein Jahr dauert, bis Eltern die Schulerfahrungen ihrer Kinder richtig einordnen können“, sagt Studienleiterin Prof. Claire Hughes. Der Schulstart wird von Eltern oft verzögert verstanden und das mit Folgen für das Kind.
Wer sich gut fühlt, lernt besser – schon im Vorschulalter
Kinder, die sich bereits in der Vorschule wohlfühlten, entwickelten ein besseres Selbstbild. Sie glaubten an ihre Fähigkeiten – beim Rechnen, Lesen, Schreiben. Und sie traten hilfsbereiter auf. All das beeinflusste den weiteren Verlauf ihrer Schulzeit. Wer sich dagegen unwohl fühlte, hatte es schwerer. Mädchen beschrieben durchweg ein höheres Wohlbefinden und auch ihre Eltern bewerteten sie positiver. Jungen bekamen seltener hohe Bewertungen. Das zeigt, wie wichtig es ist, mit jedem Kind individuell zu sprechen, statt sich auf Annahmen zu verlassen.
Das Gute: Diese Erkenntnisse lassen sich direkt in den Alltag übertragen. Denn das frühe emotionale Erleben ist kein Schicksal, es lässt sich mit Aufmerksamkeit und gezielten Gesprächen verändern.
Ein Bilderbuch soll Eltern helfen
Um diese Lücke zu schließen, haben Psychologen der University of Cambridge ein ungewöhnliches Hilfsmittel entwickelt: ein Bilderbuch. „How I Feel About My School“ zeigt typische Situationen, vom Ankommen am Schultor bis zum Streit beim Mittagessen. Es enthält Gesprächsimpulse, die Kinder ermutigen, mit ihren Eltern beim Schulstart über ihren Tag zu sprechen. Das Bilderbuch soll Eltern helfen, alltägliche Erlebnisse besser zu erfassen. So entsteht ein ehrlicheres Bild und Kinder lernen, ihre Gefühle früh in Worte zu fassen.
„Kinder reden über die Schule meist dann, wenn etwas sie verletzt hat. Das verfälscht das Bild“, sagt Prof. Hughes. Das Buch richtet sich an Eltern, die herausfinden wollen, wie es ihrem Kind wirklich geht – nicht erst nach einem Jahr, sondern gleich in den ersten Wochen.
Ein gelungener Start kann die ganze Schulzeit prägen – offene Gespräche helfen
Wenn Kinder sich in den ersten Schuljahren verstanden und ernst genommen fühlen, entwickeln sie ein starkes Selbstvertrauen. Dann sind sie bereit, sich auch auf die Anforderungen späterer Jahre einzulassen.
Prof. Claire Hughes
Studien aus Großbritannien zeigen: Wer mit sechs Jahren gern zur Schule geht, hat später bessere Noten, auch bei Abschlussprüfungen. Viele Eltern wollen alles richtig machen. Doch gerade beim Schulstart hilft keine perfekte Vorbereitung, sondern echtes Zuhören. Der emotionale Einstieg in die Schule entscheidet mit darüber, wie Kinder sich selbst erleben. Wer das versteht, stärkt nicht nur die Noten, sondern das ganze Kind.
Kurz zusammengefasst:
- Eltern brauchen im Schnitt ein Jahr, um richtig einzuschätzen, wie ihr Kind den Schulstart erlebt. Oft liegt ihre Wahrnehmung deutlich daneben.
- Wer nur nach Hausaufgaben oder Noten fragt, übersieht leicht, wie wichtig Pausen, Freundschaften und kleine Alltagsmomente für das Wohlbefinden sind.
- Das Gefühl von Sicherheit und Verständnis stärkt das Selbstbild, die Lernfreude und das Sozialverhalten – und beeinflusst langfristig den schulischen Erfolg, Leistungen und die Freude am Lernen.
Übrigens: Grundschüler lernen auch besser, wenn Lehrpläne nicht überfüllt sind. Bildungsforscher John Hattie fordert: keine Hausaufgaben, weniger Stoff, mehr echtes Verstehen – und kritisiert, dass Schulen oft an den Bedürfnissen der Kinder vorbeiplanen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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