Wer der Regierung misstraut, lässt sich seltener impfen
Die politische Einstellung beeinflusst das Impfverhalten stärker als Alter oder Bildung – das zeigt eine neue Studie aus Bamberg.

AfD-Wähler ließen sich während der Corona-Pandemie seltener impfen – eine Bamberger Studie nennt politische Einstellungen als Hauptgrund. © Freepik
Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung scheint auf den ersten Blick eine rein medizinische Abwägung zu sein. Doch eine groß angelegte Studie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften (infas) zeigt: Politische Einstellung und Impfverhalten hängen eng zusammen.
Wer sich politisch nicht vertreten fühlt oder der Regierung misstraut, lässt sich seltener impfen. Diese Erkenntnis reicht über die Corona-Pandemie hinaus und betrifft den Gesundheitsschutz der gesamten Gesellschaft.
Deutliche Impflücke zwischen AfD-Anhängern und anderen Wählern
Für die Untersuchung wurden 7.780 Personen zwischen März und Oktober 2021 regelmäßig telefonisch befragt. Das auffälligste Ergebnis: AfD-Wähler ließen sich im Schnitt 28 Prozent seltener gegen COVID-19 impfen als Unterstützer anderer Parteien. Dieser Unterschied lässt sich nicht durch Alter, Bildung oder Einkommen erklären.
Auch persönliche Erlebnisse mit Corona – etwa eine eigene Infektion oder Sorgen um den Arbeitsplatz – beeinflussten die Impfentscheidung kaum. Stattdessen stand eine andere Haltung im Vordergrund.
Misstrauen gegenüber Staat und Institutionen
Viele AfD-Wähler empfanden die Corona-Maßnahmen nicht als Schutz, sondern als Eingriff in ihre persönliche Freiheit. Zwei Drittel von ihnen meinten, die Pandemie gefährde ihre Grundrechte. Bei den Wählern anderer Parteien lag dieser Anteil bei nur knapp 15 Prozent.
Auch beim Vertrauen in die Regierung zeigten sich deutliche Unterschiede:
- 67 Prozent der AfD-Unterstützer gaben an, ihr Vertrauen in die Regierung habe sich durch Corona nicht verbessert.
- In der übrigen Bevölkerung lag dieser Wert nur bei 25 Prozent.
Zudem fühlten sich viele AfD-Wähler politisch nicht repräsentiert. Auf einer Skala von 1 bis 10 lag ihr Wert bei durchschnittlich 2,8 Punkten. Andere Befragte gaben im Schnitt 5,1 Punkte an.
Politische Einstellung beeinflusst Impfverhalten – über Corona hinaus
Die Forscher ordnen ihre Ergebnisse in das sogenannte „Health Belief Model“ ein. Es beschreibt, wie persönliche Einstellungen und Überzeugungen Gesundheitsentscheidungen beeinflussen. Wer Politik grundsätzlich ablehnt oder staatliche Motive anzweifelt, ist schwerer für Gesundheitskampagnen zu erreichen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die politische Stimmung vor einer Pandemie Einfluss darauf haben kann, wie Menschen auf zentrale Gesundheitsmaßnahmen reagieren“, erklärt der Soziologe Rasmus Hoffmann.
Sein Kollege Alexander Patzina ergänzt:
Wer glaubt, dass staatliche Maßnahmen die eigene Freiheit gefährden, ist oft kaum durch Appelle an die Eigenverantwortung zu erreichen.
Impfbereitschaft stagnierte bei AfD-Wählern
Während die Impfquote in der Gesamtbevölkerung im Sommer 2021 weiter stieg, blieb sie bei AfD-Wählern nahezu gleich. Dort war der Anteil der Ungeimpften zuletzt doppelt so hoch wie bei der Linkspartei.

Um die Gründe dafür besser zu verstehen, nutzten die Wissenschaftler statistische Modelle. Mit der Karlson-Holm-Breen-Methode konnten sie den Einfluss einzelner Einstellungen quantifizieren:
- Populistische Haltungen und persönliche Überzeugungen erklärten 31 Prozent der Impflücke.
- Weitere 18 Prozent gingen auf das Gefühl politischer Ausgrenzung zurück.
Politische Rhetorik verstärkt die Skepsis
Den Forschern zufolge haben bestimmte Aussagen der AfD das Misstrauen zusätzlich verstärkt. In einem Flugblatt für Pflegekräfte hieß es beispielsweise: „Mit der Omikron-Variante steigen die Infektionszahlen wieder – vor allem bei den Geimpften.“ Der thüringische Landespolitiker Björn Höcke behauptete im Landtag: „Tausende Menschen sind mit mRNA-Impfstoffen zu Tode gespritzt worden.“
Solche Formulierungen arbeiten bewusst mit Zweifeln. Sie wirken nicht direkt falsch, wecken aber Misstrauen – und untergraben damit das Vertrauen in wissenschaftliche Empfehlungen.
Folgen für den Gesundheitsschutz der gesamten Gesellschaft
Die Autoren der Studie warnen: Die politische Polarisierung in der Bevölkerung gefährdet langfristig den Erfolg öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen. Das betrifft nicht nur Corona, sondern auch andere Präventionsprogramme – etwa gegen Grippe oder Masern.
Hans Dietrich vom IAB erklärt: „Bewegungen, die in Krisenzeiten gezielt Ängste um Freiheitsrechte schüren, könnten den Erfolg öffentlicher Präventionsmaßnahmen deutlich mindern.“ Für künftige Gesundheitskrisen empfehlen die Forscher daher einen neuen Ansatz in der Kommunikation. Es reiche nicht aus, lediglich Informationen zu verbreiten. „Politische Kommunikation, gesellschaftlicher Dialog und das Gefühl, gehört zu werden, sind entscheidend für die Akzeptanz von Gesundheitsmaßnahmen“, so Patzina.
Kurz zusammengefasst:
- Menschen mit geringem Vertrauen in Politik und Institutionen ließen sich in der Corona-Pandemie seltener impfen. Besonders bei AfD-Wählern lag die Impfquote um 28 Prozentpunkte unter dem Schnitt anderer Parteien.
- Nicht Alter oder Bildung bestimmten das Impfverhalten – sondern die Haltung zum Staat. Wer Maßnahmen als Freiheitsverlust sah, lehnte Impfungen häufiger ab. Misstrauen und das Gefühl politischer Ausgrenzung spielten eine große Rolle.
- Die Forscher warnen: Politische Einstellungen beeinflussen auch künftige Gesundheitskampagnen. Vertrauen, Dialog und echte Teilhabe sind entscheidend für ihren Erfolg.
Übrigens: Auf TikTok, Instagram und YouTube entscheidet längst der Algorithmus, welche politischen Botschaften bei jungen Menschen ankommen – und welche untergehen. Eine neue Studie zeigt, wie stark Social Media das politische Weltbild der Gen Z prägt und warum klassische Parteien dort kaum noch eine Rolle spielen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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