Weiter wischen statt festlegen – Online-Dating-Paare fühlen weniger Leidenschaft und Verbindlichkeit
Über 10.000 Menschen aus 50 Ländern wurden befragt: Online-Paare fühlen sich weniger verbunden und bewerten ihre Beziehung oft als weniger erfüllend.

Weltweit greifen mehr als 300 Millionen Menschen zu Dating-Apps, in Deutschland hat bereits fast jeder dritte Erwachsene online nach einem Partner gesucht. Besonders gefragt sind Plattformen wie Tinder, Bumble, OkCupid und Parship. © Unsplash
Dating-Apps prägen längst das Liebesleben. Millionen wischen, chatten und verlieben sich online. Doch was bedeutet Online-Dating wirklich für die Zufriedenheit und Stabilität in Beziehungen? Eine internationale Studie der Universität Breslau mit über 10.000 Befragten liefert nun überraschende Antworten.
Die Forscher befragten 10.482 Menschen aus 50 Ländern. Darunter befanden sich 6.646 Personen in festen Partnerschaften, die detailliert ausgewertet wurden.
- Alter: im Schnitt 41,5 Jahre, Spanne von 18 bis 73 Jahren
- Beziehungsdauer: zwischen einem Monat und 80 Jahren, durchschnittlich 11,7 Jahre
- Geschlechterverteilung: etwa gleich zwischen Männern und Frauen
- Sexualität: 82 Prozent heterosexuell, 5,4 Prozent bisexuell, 4,5 Prozent homosexuell
- Beziehungsstatus: 67,5 Prozent verheiratet, 19 Prozent zusammenlebend, 13 Prozent getrenntlebend
Die Untersuchung liefert damit einen globalen Querschnitt durch Partnerschaften verschiedener Kulturen, Altersgruppen und Lebenslagen.
Online-Dating legt deutlich zu
Noch sind klassische Begegnungen in Alltag, Arbeit oder Freundeskreis häufiger. Doch die digitalen Wege holen auf. Weltweit gaben 16 Prozent der Befragten an, ihren Partner online kennengelernt zu haben. Betrachtet man nur Beziehungen, die seit 2010 entstanden, steigt dieser Anteil auf 21 Prozent.
Die Unterschiede zwischen den Ländern sind enorm: In Polen fanden fast 48 Prozent über das Internet zueinander, in Ghana waren es nur 8 Prozent. Auffällig ist auch: Menschen mit niedrigerem Einkommen und Paare in kürzeren Beziehungen nutzten digitale Wege häufiger.
Offline-Paare berichten von mehr Zufriedenheit
Die Teilnehmer bewerteten ihre Beziehung auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 5 (sehr zufrieden).
- Gesamtzufriedenheit: Offline-Paare 4,28 Punkte – Online-Paare 4,20 Punkte
- Auch wenn der Unterschied klein wirkt, ist er in einer so großen Stichprobe eindeutig und bedeutsam.
Bei den drei Bereichen der Liebe zeigt sich das gleiche Muster:
- Intimität (Nähe und Verständnis): Offline 4,26 – Online 4,20
- Leidenschaft (Gefühl und Sexualität): Offline 4,04 – Online 3,96
- Verbindlichkeit (dauerhafte Bindung): Offline 4,31 – Online 4,23
Besonders die Verbindlichkeit – also die Bereitschaft, die Beziehung langfristig zu führen – fällt bei Online-Paaren spürbar schwächer aus.
Unterschiede verstärken sich mit dem Alter
Die Abweichungen waren besonders deutlich bei Menschen über 33 Jahren. In dieser Gruppe berichteten Online-Paare von deutlich weniger Nähe und Verbindlichkeit. Männer gaben zudem häufiger als Frauen an, dass die Intensität ihrer Liebe geringer sei, wenn die Partnerschaft online begann.
Bemerkenswert: Die Ergebnisse blieben bestehen, selbst wenn Faktoren wie Einkommen, Bildung oder Beziehungsdauer herausgerechnet wurden. Die Unterschiede waren also nicht zufällig, sondern konsistent.
Enttäuschte Erwartungen und „choice overload“ – Warum digitale Liebe anfälliger ist
Studienleiterin Marta Kowal nennt mehrere Gründe:
- Zu viele Optionen: „Choice overload“ kann die Zufriedenheit mindern. Wer ständig denkt, es gäbe noch passendere Partner, zweifelt leichter an der eigenen Beziehung.
- Unterschiedliche Hintergründe: Online-Paare unterscheiden sich öfter bei Bildung, Religion oder Herkunft. Das kann bereichernd wirken, führt aber häufiger zu Konflikten.
- Falsche Erwartungen: Geschönte Profile sorgen für Enttäuschungen. Kowal beschreibt es anschaulich: „Man schaut jemanden an und denkt: ‚Nein, er ist keine zwei Meter groß. Er ist eher 1,70 Meter.“ Solche Diskrepanzen erschüttern Vertrauen und belasten das Fundament einer Beziehung.
„Cheap Sex“ verändert, wie Menschen Beziehungen leben
Hinzu kommt ein kultureller Wandel, den Forscher als „Cheap Sex“ beschreiben. Digitale Angebote machen Nähe und Sexualität auch jenseits einer festen Partnerschaft jederzeit verfügbar – sei es durch Online-Freundschaften oder Pornografie. Dadurch sinkt für manche die Notwendigkeit, Zeit und Energie in die eigene Beziehung zu investieren.
Möglich wird dieser Trend durch leicht zugängliche Verhütungsmittel, die Enttabuisierung von unverbindlichem Sex und veränderte Rollenbilder. Verstärkt wird er durch digitale Medien, die solche Muster ständig vor Augen führen.
Digitale Liebe fordert mehr Einsatz
Die Untersuchung zeigt, dass Online-Dating zwar Partnerschaften ermöglicht, diese im Schnitt aber weniger stabil wirken. Nähe, Leidenschaft und Bindung fallen schwächer aus als bei Paaren, die sich im Alltag kennengelernt haben.
Vor allem die Verbindlichkeit, also die Bereitschaft, die Beziehung dauerhaft zu führen, ist seltener stark ausgeprägt. Paare, die digital starten, müssen oft mehr Energie investieren, um Vertrauen aufzubauen, Unterschiede auszugleichen und ihre Bindung zu festigen.
Kurz zusammengefasst:
- Online-Dating nimmt weltweit zu, doch Paare, die sich digital kennenlernen, berichten im Durchschnitt von geringerer Zufriedenheit, weniger Nähe und schwächerer Bindung.
- In einer Studie mit über 10.000 Menschen aus 50 Ländern erzielten Offline-Paare bei Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit durchweg höhere Werte.
- Gründe sind laut Forschern zu viele Auswahlmöglichkeiten, größere Unterschiede in Bildung oder Herkunft sowie geschönte Profile, die Enttäuschungen erzeugen können.
Übrigens: Nicht nur der digitale Start einer Beziehung beeinflusst deren Stabilität, auch der Altersunterschied kann entscheidend sein. Mehr dazu in unserem Artikel.
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