Nicht jeder Extremist ist ein Terrorist – manche verändern die Welt mit ihrer Vision

Nicht jeder Extremist ist gefährlich. Psychologen erklären, warum kompromisslose Zielstrebigkeit sowohl Innovation als auch Fanatismus fördern kann.

Auch wenn es überraschend klingt: Mahatma Gandhi zeigte extremistische Persönlichkeitszüge. © Pexels

Auch wenn es überraschend klingt: Mahatma Gandhi zeigte extremistische Persönlichkeitszüge. © Pexels

Extremismus wird oft mit Terrorismus gleichgesetzt. Doch laut Sozialpsychologen kann eine extremistische Persönlichkeit auch in ganz anderen Bereichen vorkommen – und nicht immer ist sie destruktiv. Wissenschaftler wie Marie Curie oder Aktivisten wie Martin Luther King hatten eine Gemeinsamkeit: eine außergewöhnliche Fokussierung auf ihr Ziel. Dieser kompromisslose Einsatz kann Großes bewirken, aber auch in die Isolation führen.

Die Psychologen Arie W. Kruglanski von der University of Maryland und Sophia Moskalenko von der Georgia State University haben untersucht, wie extremistische Denkweisen entstehen und welche Konsequenzen sie haben. Ihre Forschung zeigt: Jeder Mensch bewegt sich auf einem Spektrum von gemäßigt bis extrem.

Was macht eine extremistische Persönlichkeit aus?

Laut Kruglanski und Moskalenko ist ein Mensch mit extremistischen Persönlichkeitsmerkmalen jemand, der sich mit all seiner Energie einem einzigen Ziel verschreibt. Dabei werden andere Lebensbereiche wie Familie, Freundschaften oder sogar grundlegende Bedürfnisse oft vernachlässigt. Wer extremistisch denkt, nimmt große Opfer in Kauf – sei es für eine wissenschaftliche Entdeckung, eine politische Überzeugung oder eine sportliche Höchstleistung.

Laut dem wissenschaftlichen Verlag Taylor & Francis sind solche Persönlichkeitsmerkmale in vielen Bereichen des Lebens zu finden. Ein Workaholic, der seine gesamte Zeit der Arbeit widmet, zeigt ähnliche Muster wie ein Extremsportler oder eine Person mit Spielsucht. Der Unterschied liegt darin, ob diese Fokussierung positive oder negative Folgen hat.

Warum extreme Hingabe beides bewirken kann: Fortschritt oder Zerstörung

In ihrem Buch The Psychology of the Extreme erklären die Forscher, dass dieselbe psychologische Grundlage sowohl zu bahnbrechenden Erfindungen als auch zu radikalen Handlungen führen kann. Kruglanski nennt ein unerwartetes Beispiel:

Obwohl es ungewöhnlich scheint, Mahatma Gandhi und Osama bin Laden zu vergleichen, gibt es erstaunliche Parallelen in ihrer Denkweise.

Arie W. Kruglanski

Beide hätten sich mit absoluter Konsequenz für ihre Überzeugungen eingesetzt, hätten ihre Lebensweise verändert und seien letztlich für ihre Sache gestorben.

Den Psychologen zufolge ist die extreme Fokussierung aber nicht immer dauerhaft. Viele Menschen, die ihre gesamte Energie auf ein Ziel richten, erleben irgendwann soziale Isolation oder Erschöpfung. Dann ziehen sie sich oft zurück und entwickeln wieder ausgewogenere Prioritäten.

Wie soziale Medien extremistische Tendenzen verstärken können

Ein entscheidender Faktor für das Verharren in extremen Denkweisen ist der Austausch mit Gleichgesinnten. Früher war es schwierig, radikale Ansichten über lange Zeit aufrechtzuerhalten, weil das soziale Umfeld oft eine mäßigende Rolle spielte. Doch heute macht das Internet es möglich, sofort Menschen mit denselben Überzeugungen zu finden – egal wie extrem oder ungewöhnlich diese sind.

Moskalenko erklärt: „Social Media ermöglicht es, mit anderen in Kontakt zu treten, die dieselben radikalen Ansichten teilen. Dadurch werden extremistische Überzeugungen verstärkt und länger aufrechterhalten.“ Dieser Mechanismus kann sowohl positive als auch negative Folgen haben. Während sich beispielsweise Aktivisten leichter organisieren können, finden auch radikale Gruppen einfacher zueinander.

Warum Extremismus manchmal sogar nützlich sein kann

Obwohl extreme Persönlichkeitszüge oft negativ bewertet werden, können sie in bestimmten Situationen hilfreich sein. Laut Kruglanski und Moskalenko ist eine gewisse Form von Extremismus manchmal überlebenswichtig. In Gefahrensituationen hilft es, sich auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren und alles andere auszublenden.

Auch in anderen Bereichen zeigt sich dieser Mechanismus: Verliebte Menschen sind oft völlig auf ihr Gegenüber fixiert und blenden andere Bedürfnisse aus. Eltern, die ihr Kind schützen, setzen oft alles daran, dessen Überleben zu sichern. Solche Verhaltensweisen sind tief in der menschlichen Natur verankert.

Wie man extreme Denkweisen ausbalancieren kann

Für Menschen, die merken, dass sie zu sehr auf ein Ziel fixiert sind, gibt es Strategien zur Selbstregulation. Die Forscher empfehlen, aktiv andere Perspektiven einzunehmen und sich bewusst zu machen, dass es mehr als einen Lebensinhalt gibt. Auch das soziale Umfeld spielt eine zentrale Rolle.

Familie, Freunde und Mentoren sind die erste Verteidigungslinie gegen extremistische Denkweisen.

Sophia Moskalenko

Ein unterstützendes Umfeld kann dabei helfen, den eigenen Fokus wieder auf mehrere Lebensbereiche zu verteilen.

Die Forschung zeigt: Extremistische Persönlichkeitsmerkmale sind nicht per se negativ. Sie können Menschen zu außergewöhnlichen Leistungen antreiben – aber auch zu gefährlichen Handlungen.

Kurz zusammengefasst:

  • Extremistische Persönlichkeitsmerkmale führen dazu, dass sich eine Person mit extremer Hingabe einem einzigen Ziel widmet und dabei andere Lebensbereiche vernachlässigt.
  • Diese extreme Fokussierung kann sowohl zu großen Erfolgen in Wissenschaft, Kunst oder Politik führen als auch zu zerstörerischem Verhalten, je nach Ziel und Motivation.
  • Soziale Medien verstärken extremistische Denkweisen, weil sie es erleichtern, Gleichgesinnte zu finden und radikale Überzeugungen über lange Zeit aufrechtzuerhalten.

Bild: © Pexels

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