Wald statt Acker: Forscher auf der Suche nach dem perfekten Dorf in Europa
Dörfer mit viel Wald erhöhen die Lebensqualität und schützen Artenvielfalt – eine Studie zeigt, was dafür entscheidend ist.

In waldreichen Regionen sorgen Dörfer nicht nur für saubere Luft und Ruhe, sondern bieten auch Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. © Unsplash
Mehr Grün, bessere Luft, kurze Wege zur Stadt: Dörfer gelten oft als Rückzugsort mit hoher Lebensqualität. Doch eine neue Studie zeigt, dass mit dem steigenden Wohlstand der Menschen auch der Druck auf die Natur wächst. Besonders deutlich wird das dort, wo sich Dörfer ausbreiten – und versiegelte Flächen die Artenvielfalt verdrängen.
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Hochschule Anhalt hat 64 Dörfer in Ungarn und Rumänien untersucht. Die Frage: Wie wirkt sich der Lebensstandard auf Tiere, Pflanzen und Insekten aus – und wie lassen sich Wohlstand und Artenvielfalt besser miteinander verbinden?
Wachsende Lebensqualität in Dörfern verdrängt Artenvielfalt
Was gut für den Menschen ist, ist nicht immer gut für die Natur. Das zeigt die Untersuchung eindrücklich:
- In Dörfern mit hohem Lebensstandard – gemessen am Better Life Index (BLI) – war der sogenannte Human Footprint Index (HFI) um ein Drittel höher.
- Gleichzeitig sank die Artenvielfalt in diesen Dörfern im Schnitt um 13 Prozent.
- Besonders stark betroffen sind landwirtschaftlich geprägte Gebiete: Dort fanden die Forscher 15 Prozent weniger Arten als in waldreichen Landschaften.
Dabei wurde in jedem Dorf die Vielfalt von Pflanzen, Vögeln und sieben Insektengruppen erfasst – insgesamt 1.164 Arten. Das Ergebnis ist eindeutig: Je intensiver die Nutzung der Umgebung, desto weniger Leben bleibt übrig.
Der Better Life Index basiert auf verschiedenen Faktoren wie Einkommen, Wohnverhältnissen, Bildung und bürgerschaftlichem Engagement. Er wurde für alle ungarischen Dörfer der Studie erhoben – in Rumänien lagen nicht alle nötigen Daten vor.
Wo Wälder sind, bleibt mehr Vielfalt erhalten
Am artenreichsten waren Dörfer, die in oder nahe waldreichen Regionen lagen. Dort fiel selbst bei wachsender Bebauung der Rückgang der Arten deutlich schwächer aus. Die Erklärung: Wälder bieten Rückzugsräume, strukturreiche Lebensräume und einen natürlichen Puffer gegen menschliche Eingriffe.
„Dörfer in waldreichen Landschaften haben eine höhere Artenvielfalt als solche in Agrarlandschaften“, sagt Dr. Péter Batáry, Co-Autor der Studie.
Noch klarer wird der Unterschied am Dorfrand:
- In waldreichen Gebieten nahm die Vielfalt vom Rand zur Dorfmitte um 20 Prozent ab.
- In Agrargebieten lag der Rückgang bei 15 Prozent.
Ein perfektes Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur? Das gelingt am ehesten dort, wo Wald statt Acker das Dorf umgibt.
Waldlage schützt Arten besser als Stadtnähe
Auch der Abstand zur nächsten Stadt hat Folgen – allerdings nicht für die Natur, sondern für die Lebensqualität der Bewohner. Dörfer in Stadtnähe schnitten beim BLI rund 27 Prozent besser ab als weiter entfernte Orte. Und auch in waldreichen Gegenden lag der Lebensstandard 14 Prozent höher als in landwirtschaftlich dominierten Regionen.
Das Problem:
- In stadtnahen Dörfern war die Fläche aus Beton und Asphalt um mehr als 25 Prozent größer.
- Gleichzeitig wuchs der Druck auf die Umgebung – mit Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt.
„Der Lebensstandard ist in Dörfern nahe der Stadt deutlich höher, aber auch der menschliche Fußabdruck ist dort größer“, so das Fazit der Forscher.
Weniger Beton, mehr Wildnis – das hilft beiden
Was tun? Die Wissenschaftler empfehlen ein Dorfmanagement, das auf die jeweilige Umgebung eingeht. In Städtenähe sollten Neubauten und versiegelte Flächen begrenzt werden. Grünräume müssen erhalten oder neu geschaffen werden – auch mitten im Dorf.
Konkrete Empfehlungen aus der Studie:
- In waldreichen Regionen sollte die Landwirtschaft zurückgedrängt und mehr Naturraum geschützt werden.
- In landwirtschaftlichen Dörfern braucht es mehr Grün im Zentrum – etwa naturnahe Gärten, Wiesenstreifen und Blühflächen.
„Die Nähe zur Stadt allein hat keinen direkten Einfluss auf die Artenvielfalt, wichtiger ist die umgebende Landschaft“, sagt Batáry. Entscheidend sei daher der Schulterschluss zwischen Bürgern, Politik und Behörden. Nur gemeinsam lasse sich der Zielkonflikt entschärfen.
Kurz zusammengefasst:
- Waldreiche Dörfer fördern die Artenvielfalt und steigern nachweislich die Lebensqualität – der Better Life Index liegt dort im Schnitt 14 Prozent höher als in agrarisch geprägten Gegenden.
- Stadtnähe bringt mehr Komfort, doch die zunehmende Versiegelung belastet Natur und Tierwelt – besonders bei hohem menschlichem Einfluss sinkt die Artenvielfalt deutlich.
- Entscheidend ist nicht die Lage eines Dorfs, sondern wie sorgsam es mit seiner Umgebung umgeht – nachhaltige Planung mit Grünflächen und Rückzugsräumen erhält Natur und Wohlbefinden gleichermaßen.
Übrigens: Schon vor 2.000 Jahren rodeten Menschen im Perlflussdelta ganze Wälder – Krieg und Landwirtschaft veränderten die Landschaft dauerhaft. Mehr dazu in unserem Artikel.
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