Club of Rome entwirft zwei Szenarien, wie unsere Welt 2100 aussehen könnte
Forscher haben sich mit den Zukunftsszenarien der Menschheit befasst – und zeigen, wie Entscheidungen unser Leben bis 2100 prägen könnten.

Zukunft zwischen Rauch und Windrad: Forscher zeigen, wie unterschiedlich die Welt 2100 aussehen könnte – je nachdem, welchen Weg wir wählen. © DALL-E
Wie leben wir im Jahr 2100? Wird die Erde ein lebenswerter Ort für alle sein – oder ein Planet, auf dem Wohlstand und Sicherheit immer mehr zerbröckeln? Eine neue, international begutachtete Studie zeigt zwei mögliche Zukunftsszenarien für die Menschheit auf. Das Modell wurde vom Thinktank Club of Rome unterstützt – jener Vereinigung aus Wissenschaftlern, Unternehmern und Politikern, die seit den 1970er-Jahren vor den ökologischen und ökonomischen Grenzen des Wachstums warnt.
Im Fokus der Analyse: das menschliche Wohlbefinden in einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Das Forschungsteam hat dazu ein umfassendes Simulationsmodell entwickelt. Es zeigt, welche Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten möglich – und welche wahrscheinlich – sind. Zwei Zukunftsszenarien stehen sich gegenüber. Der Unterschied: politische Entschlossenheit oder kollektives Zögern.
Club of Rome entwirft Zukunftsszenarien – „Too Little, Too Late“ – ein gefährlicher Stillstand mit Folgen
Im ersten Szenario passiert genau das, was viele derzeit befürchten: Es bleibt beim „Weiter so“. Politische Maßnahmen bleiben halbherzig, soziale Ungleichheit wächst, und wirtschaftliche Interessen dominieren. Genau das beschreibt das Modell als „Too Little, Too Late“ – also: zu wenig, zu spät.
Die Folgen bis 2100 sind drastisch:
- Die Durchschnittstemperatur steigt auf über 3 Grad Celsius. Der Klimawandel gerät außer Kontrolle.
- Die Weltbevölkerung wächst um bis zu 20 Prozent – das bedeutet mehr Konsum, mehr Emissionen, mehr Druck auf Ressourcen.
- Trotz globaler Wirtschaftsleistung sinkt der individuelle Wohlstand – weil Armut, Ungleichheit und Instabilität zunehmen.
- Die sozialen Spannungen steigen. Institutionen verlieren an Vertrauen. Demokratische Prozesse geraten unter Druck.
Das Modell zeigt auch, was das konkret bedeutet: Kein einziges Land schafft es, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen und gleichzeitig innerhalb der ökologischen Grenzen zu bleiben. Ein Teufelskreis aus politischer Lähmung, Umweltzerstörung und wachsender Kluft zwischen Arm und Reich nimmt seinen Lauf.
Wohlstand bröckelt trotz Wachstum – weil die Ungleichheit explodiert
Im „Too Little, Too Late“-Szenario erleben wir paradoxe Entwicklungen. Das Bruttoinlandsprodukt steigt weiter, die durchschnittlichen Einkommen auch – doch viele spüren davon nichts. Grund: Die Einkommensverteilung kippt. Kapitalbesitzer profitieren, während der Anteil der Arbeitseinkommen schrumpft. Öffentliche Ausgaben für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit sinken.
Ein drastisches Beispiel liefert die Studie selbst: „Ein Milliardär ist für eine Million Mal mehr CO2-Emissionen verantwortlich als der Durchschnittsmensch.“ Gleichzeitig leben über 600 Millionen Menschen in extremer Armut – und mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung unterhalb der Grenze von 6,85 US-Dollar pro Tag.
Zukunftsszenarien für die Menschheit: „The Giant Leap“ als Ausweg
Doch es gibt auch Hoffnung. Das zweite Szenario im Modell heißt „The Giant Leap“ – der große Sprung. Es beschreibt, was passieren könnte, wenn die internationale Gemeinschaft fünf zentrale Hebel gleichzeitig in Bewegung setzt. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „außergewöhnlichen Wendepunkten“. Sie erfordern vor allem politische Entscheidungen und gezielte Investitionen:
- Armut überwinden – mit internationalen Schuldenerlassen, Bildungsoffensiven und besseren Chancen im globalen Süden.
- Ungleichheit abbauen – durch gerechtere Steuerpolitik, Umverteilung und eine globale Grunddividende.
- Frauen stärken – etwa durch bessere Gesundheitsversorgung, mehr Zugang zu Bildung und fairen Löhnen.
- Ernährungssysteme umbauen – mit weniger Lebensmittelverschwendung, weniger Fleischkonsum und nachhaltiger Landwirtschaft.
- Energiewende vorantreiben – durch massiven Ausbau erneuerbarer Energien, höhere Effizienz und Technologien zur CO2-Reduktion.
Politischer Wille entscheidet – nicht Technik oder Geld
„Wir haben uns eine einfache, aber dringende Frage gestellt: Kann das menschliche Wohlbefinden steigen, während wir gleichzeitig den Druck auf die planetaren Grenzen verringern?“, sagt Studienleiter Per Espen Stoknes von der BI Norwegian Business School. „Unser Modell sagt: Ja – aber nur, wenn wir diese Kehrtwenden durch entschlossene wirtschaftspolitische Veränderungen umsetzen.“
Das Besondere am Modell: Es verknüpft wirtschaftliche, ökologische und soziale Faktoren miteinander. Es zeigt auch: Selbst bei ambitionierten Reformen dauert es Jahre, bis der Kurswechsel spürbar wird. Doch die langfristigen Effekte sind eindeutig:
- Die Erderwärmung bleibt unter 2 Grad.
- Die Einkommensverhältnisse stabilisieren sich.
- Der öffentliche Sektor wird wieder handlungsfähig.
- Das globale Wohlstandsgefühl steigt – ebenso wie das Vertrauen in politische Institutionen.
„Das Giant-Leap-Szenario zeigt: Wir haben einen technisch machbaren, wenn auch ehrgeizigen Weg vor uns“, so Stoknes. „Dafür braucht es ein Maß an internationaler Zusammenarbeit und politischer Führung, das wir bisher nicht erlebt haben. Doch genau ein solcher politischer Kurswechsel könnte der Menschheit eine lebenswerte Zukunft auf einem stabilen Planeten sichern.“
Was zählt: Vertrauen, Gerechtigkeit und der Mut zur Veränderung
Die Studie berücksichtigt nicht nur Emissionen und Wirtschaftsdaten, sondern auch das soziale Klima. Mit einem eigens entwickelten Index für soziale Spannungen zeigt das Modell, wie sehr soziale Ungleichheit und gefühlter Stillstand das Vertrauen in Politik und Gesellschaft schwächen.
„Indem wir einen Index für soziale Spannungen und einen für Wohlbefinden eingeführt haben, konnten wir zeigen, wie wichtig soziale Dynamiken in Klimaszenarien sind“, sagt Nathalie Spittler von der Universität für Bodenkultur Wien. „Klimaziele zu erreichen ist nicht nur eine Frage von Technik und Wirtschaft. Wenn das Wohlbefinden sinkt und die Spannungen zunehmen, entsteht ein Teufelskreis – und genau die Bedingungen, die wir für echten Wandel brauchen, werden immer schwerer herzustellen.“
Die Studie zeigt: Es ist möglich, das 21. Jahrhundert in eine positive Richtung zu lenken. Doch dafür braucht es mehr als Technologien – es braucht sozialen Zusammenhalt, politische Entschlossenheit und internationale Kooperation.
Kurz zusammengefasst:
- Die Studie des Club of Rome zeigt zwei mögliche Zukunftsszenarien bis 2100: Entweder bleibt alles beim Alten mit wachsender Ungleichheit und Klimakollaps – oder gezielte politische Reformen verbessern das Leben vieler Menschen.
- Entscheidend sind fünf Hebel: weniger Armut, mehr Gleichheit, bessere Chancen für Frauen, eine nachhaltigere Ernährung und der Umbau der Energiesysteme.
- Nur wenn alle Maßnahmen gleichzeitig greifen, können soziale Spannungen sinken, das Klima stabil bleiben und der weltweite Wohlstand langfristig wachsen.
Übrigens: Wie reiche Familien über Generationen hinweg in die Energiepolitik eingreifen, wird jetzt erstmals systematisch erforscht – auch in Deutschland. Das Projekt „Powering Wealth“ zeigt, wie Vermögen die Energiewende mitgestaltet. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E