Studie warnt vor geistigem Leerlauf: Wer mit KI schreibt, denkt weniger – und merkt es nicht einmal
Eine neue Studie des MIT Media Lab untersucht, wie sich der Einsatz von KI beim Schreiben auf das Gehirn auswirkt. Die Ergebnisse zeigen: Wer kognitive Prozesse zu oft auslagert, riskiert langfristige Einbußen.

Die MIT-Studie belegt, dass der häufige Einsatz von KI beim Schreiben die Gehirnaktivität verringert und zentrale Denkprozesse beeinträchtigen kann. © Pexels
Schnelle Vorschläge, perfekte Sätze, klare Strukturen – viele greifen inzwischen ganz selbstverständlich zu ChatGPT, wenn es ums Schreiben geht. Das große Sprachmodell, auch LLM genannt, kann in Sekundenschnelle aus wenigen Stichworten einen brauchbaren Text basteln. Doch welche Auswirkungen hat der KI-Einsatz auf unser Gehirn? Diese Frage hat nun eine Studie des MIT Media Lab untersucht.
Die Ergebnisse zeigen: Wer sich regelmäßig auf künstliche Intelligenz verlässt, riskiert, wichtige Denkprozesse zu verlernen – und das bereits nach kurzer Zeit. Die Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von einer kognitiven Schuld – einer Beeinträchtigung der Lernfähigkeit, die entsteht, wenn das eigene Denken zu oft an Maschinen ausgelagert wird.
Drei Gruppen, drei Methoden – und ein deutliches Muster
Insgesamt nahmen 54 junge Erwachsene an der Untersuchung teil. Sie wurden in drei Gruppen aufgeteilt:
- Gruppe 1 nutzte ein KI-Sprachmodell wie ChatGPT, also ein sogenanntes Large Language Model.
- Gruppe 2 arbeitete mit klassischen Suchmaschinen wie Google.
- Gruppe 3 schrieb ihre Texte allein aus dem Kopf – ganz ohne Hilfsmittel.
Alle Gruppen erhielten die gleichen Aufgaben:
- In drei Sitzungen sollten sie jeweils 20 Minuten lang Essays zu gängigen Schulthemen verfassen.
- Die Gehirnaktivität wurde dabei mithilfe von EEG gemessen – einem Verfahren, bei dem Elektroden auf der Kopfhaut die elektrische Aktivität im Gehirn erfassen.
- Zusätzlich analysierten die Forscher die Texte und führten im Anschluss Interviews mit den Teilnehmern.
Wie aktiv war das Gehirn wirklich?
Das Ergebnis: Die Gruppe, die ohne technische Hilfe arbeitete, zeigte die höchste geistige Aktivität. Ihre neuronalen Netzwerke waren breit verknüpft, viele Hirnregionen arbeiteten eng zusammen. Genau das gilt als Zeichen für tiefes, konzentriertes Denken. Die Suchmaschinen-Gruppe lag im Mittelfeld. Die Gruppe mit KI-Unterstützung hingegen schnitt am schwächsten ab. Ihre Gehirne zeigten deutlich weniger Aktivität. Bei vielen nahm die Vernetzung über die drei Sitzungen sogar ab.
Noch auffälliger war die vierte Sitzung. Dort wechselten einige Testpersonen die Methode. Wer zuvor mit KI gearbeitet hatte und dann ohne Unterstützung schreiben sollte, zeigte auch dann noch eine geringere Gehirnaktivität als andere. Die Forscher sprechen hier von einer Art Nachwirkung. Die geistige Beteiligung blieb gedämpft, obwohl die Technik längst ausgeschaltet war.
Kognitive Schuld: Wenn Denken zur Nebenrolle wird
Neben der Hirnaktivität untersuchten die Forscher auch, wie stark sich die Teilnehmer mit ihren Texten identifizierten. Bei der KI-Gruppe zeigte sich besonders deutlich, was mit kognitiver Schuld gemeint ist: Über 80 Prozent konnten sich kaum an das erinnern, was sie gerade erst geschrieben hatten. Zentrale Aussagen blieben unklar, viele wirkten im Interview überrascht vom eigenen Text. In der Nur-Gehirn-Gruppe war das anders. Dort hatten die Teilnehmer ein klares Verständnis für ihre Aussagen und konnten sie sicher einordnen.
KI-Texte wirken glatt – aber oft auch seelenlos
Auch inhaltlich gab es Unterschiede. Die KI-Gruppe lieferte auf den ersten Blick gut lesbare Texte. Doch bei genauerem Hinsehen waren sie oft oberflächlich. Lehrkräfte beschrieben sie als formelhaft und seelenlos. Häufig wirkten die Essays wie ein Mosaik aus Standardsätzen. In einem Kunstaufsatz fiel mehrfach der Name Matisse – ein typischer Vorschlag aus KI-Datenbanken. Die Texte aus der Nur-Gehirn-Gruppe waren hingegen origineller, individueller und weiter vom Erwartbaren entfernt.
Vier Monate später: KI-Nutzer schneiden am schlechtesten ab
Über einen Zeitraum von vier Monaten hinweg zeigte sich:
- Die Gruppe mit KI-Hilfe schnitt in allen Bereichen schlechter ab
- Die Gehirnaktivität war dauerhaft niedriger
- Das Erinnerungsvermögen war schwächer
- Die Texte erhielten schlechtere Bewertungen – von Menschen und von einer speziell entwickelten Bewertungs-KI
Dabei spielte es keine Rolle, ob die Essays von Lehrkräften oder von der Maschine bewertet wurden.
Früh übt sich – aber bitte ohne KI
Die Studienleiterin Nataliya Kosmyna warnt deshalb in einem Interview mit TIME davor, KI zu früh und zu häufig einzusetzen. Vor allem Kinder und Jugendliche könnten langfristig darunter leiden. „Ich fürchte, dass eine zu frühe Einführung von ChatGPT in Bildungseinrichtungen, etwa im Kindergarten, schädlich wäre“, sagt sie. In jungen Jahren sei das Gehirn besonders formbar – und gerade dann brauche es Übung, nicht Abkürzungen.
Die Forscher empfehlen, künstliche Intelligenz beim Schreiben gezielt und erst im späteren Verlauf zu nutzen:
- Erst selbst über ein Thema nachdenken
- Informationen sammeln und eigene Gedanken entwickeln
- Danach KI zur Unterstützung oder zum Feinschliff einsetzen
Doch wer von Anfang an auf Unterstützung setzt, zahlt einen hohen Preis – in Form von geringerem Denkvermögen, Konzentration und geistiger Eigenständigkeit.
Kurz zusammengefasst:
- Eine MIT-Studie zeigt: Wer beim Schreiben früh auf KI setzt, denkt oberflächlicher, vergisst mehr und trainiert das eigene Gehirn weniger.
- Die Auswirkungen von KI auf das Gehirn sind messbar – die geistige Aktivität nimmt ab, wenn zu viele Denkprozesse ausgelagert werden.
- Am wirksamsten bleibt KI als Werkzeug, wenn man zuerst selbst denkt und sie erst danach gezielt einsetzt.
Übrigens: Während KI-Modelle wie ChatGPT das Denken verändern, droht Meta jetzt Ärger ganz anderer Art – weil seine KI ganze Bücher auswendig gelernt haben soll. Mehr dazu in unserem Artikel.
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