Wir zucken zurecht an der Kasse: Die Wahrheit über die gefühlte Inflation

Die gefühlte Inflation liegt weit über den offiziellen 2,2 Prozent. Viele schätzen sie sogar auf 15,3 Prozent. Warum ist das so?

„Alles wird teurer!“ – Viele spüren die Preissteigerungen besonders bei Lebensmitteln und Alltagskäufen, obwohl die offizielle Inflation viel niedriger ist.

„Alles wird teurer!“ – Viele spüren die Preissteigerungen besonders bei Lebensmitteln und Alltagskäufen, obwohl die offizielle Inflation viel niedriger ist. © Pexels

Wir zucken immer noch an der Kasse, wenn wir die Rechnung sehen. Das Geld scheint nicht mehr so weit zu reichen wie früher. Viele haben das Gefühl, dass die Preise unaufhörlich steigen. Doch die offiziellen Zahlen erzählen eine andere Geschichte: 2024 lag die Inflation in Deutschland bei nur 2,2 Prozent. Doch für jeden zweiten Befragten ist die gefühlte Inflation um ein Vielfaches höher. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wird die Inflationsrate im Durchschnitt auf 15,3 Prozent geschätzt (Median: 10 Prozent). Besonders Wähler am politischen Rand nehmen die Preissteigerungen als höher wahr. Doch warum klafft die Wahrnehmung so weit mit den offiziellen Zahlen auseinander?

Warum nehmen Menschen die Inflation als höher wahr?

Die Berechnung der Inflation basiert auf einem standardisierten Warenkorb von rund 700 Produkten und Dienstleistungen – von Lebensmitteln über Mieten bis zu Versicherungskosten. Verbraucher konzentrieren sich jedoch stärker auf die Preise, die sie häufiger oder sogar täglich kaufen. Torsten Bornemann von der Goethe-Universität Frankfurt erläutert im Hessischen Rundfunk: „Die Basis, auf der wir unsere Teuerung subjektiv berechnen, sind vor allem diese Preise, die wir regelmäßig wahrnehmen. Das sind natürlich die Lebensmittel, die wir regelmäßig kaufen, das sind Mieten, die wir überweisen, und das sind natürlich die Benzin- und Dieselpreise.“ Preissteigerungen in diesen Bereichen fallen also besonders stark ins Gewicht. Wir kaufen eben nicht jeden Tag einen neuen Fernseher oder schließen eine neue Versicherung ab.

Gefühlte Inflation vs. Tatsächliche Inflation

Tatsächliche Inflation (2024):

  • Verbraucherpreise +2,2 %
  • Lebensmittelpreise +1,9 %
  • Heizenergie & Kraftstoffpreise -3,1 %
  • Gesamtpreisanstieg seit 2020: +19,3 %
    • Heizenergie: +50,3 %
    • Diesel/Benzin: +41 %
    • Lebensmittel: +32,8 %
    • Freizeit: +16,1 %
    • Mieten: +7,5 %

Gefühlte Inflation:

  • Durchschnittliche Schätzung 2024: 15,3 %
  • Median-Schätzung: 10 %
  • AfD-Wähler: geschätzte Inflation 18,7 %
  • BSW-Wähler: geschätzte Inflation 18,1 %
  • Grüne-Wähler: geschätzte Inflation 10,8 %

Psychologischer Effekt: Verluste wiegen schwerer

Ein wichtiger Faktor ist der psychologische Wahrnehmungseffekt: Menschen nehmen Verluste intensiver wahr als Gewinne. Preissteigerungen werden emotional stärker gewichtet als Preissenkungen. Wenn etwa die Heizenergiepreise sinken, nehmen die meisten Menschen das kaum wahr – steigen hingegen die Preise für Butter oder Olivenöl, bleibt das im Gedächtnis.

Bornemann bestätigt:

Es ist nicht so, dass wir das miteinander symmetrisch verrechnen, sondern das ist auch ein psychologisches Phänomen, dass wir Verluste wesentlich stärker negativ wahrnehmen, als wir etwa Preissenkungen positiv wahrnehmen.

Besonders stark ist diese Wahrnehmungsverzerrung bei Produkten, die Verbraucher oft kaufen und die starke Preisanstiege erlebten. Ein Beispiel ist die Preisentwicklung seit 2020:

  • Olivenöl: +98,6 %
  • Zucker: +71,3 %
  • Mehl: +48 %

Politische Wahrnehmung beeinflusst das Empfinden

Die Wahrnehmung der Inflation ist nicht nur individuell, sondern auch politisch geprägt. In den USA war Inflation 2024 das wichtigste Wahlkampfthema für ein Viertel der Wähler. Besonders Trump-Unterstützer stuften sie als zentral ein (35 Prozent), während Harris-Sympathisanten sie weniger wichtig fanden (15 Prozent).

In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild: AfD- und BSW-Wähler überschätzen laut der IW-Studie die Preissteigerungen am stärksten. Zwei Drittel von ihnen glauben, dass die Preise „stark gestiegen“ sind. Gleichzeitig sind sie skeptischer gegenüber den offiziellen Zahlen. Mehr als zwei Drittel der AfD– und BSW-Anhänger stimmen der Aussage zu: „Die Preise, die ich persönlich zahle, [sind] stärker gestiegen […] als die amtliche Inflationsrate.“ Unter Grünen-Wählern liegt die Zustimmung dazu nur bei 26,6 Prozent.

Warum die gefühlte Inflation bleibt

Das Phänomen der gefühlten Inflation wird nicht verschwinden, solange sich Verbraucher auf einzelne Preissteigerungen konzentrieren. Das Institut der deutschen Wirtschaft weist darauf hin, dass die Wahrnehmung oft wenig mit der realen Inflationsrate zu tun hat, aber das Konsumverhalten beeinflusst.

Trotz rückläufiger offizieller Inflationsraten bleibt das hohe Preisniveau bestehen – und damit auch das Gefühl der Inflation. Verbraucher orientieren sich nicht nur an der aktuellen Teuerungsrate, sondern an den vergangenen Jahren, in denen die Preise explodiert sind. Ein Verbraucher im Hessischen Rundfunk sagt dazu: „Man merkt natürlich schon, dass man weniger im Korb hat für das gleiche Geld, das man im Vorjahr noch ausgegeben hat.“

Kurz zusammengefasst:

  • Die gefühlte Inflation liegt oft weit über der tatsächlichen, weil Verbraucher sich stärker an Preisanstiegen bei häufig gekauften Produkten orientieren.
  • Psychologische Effekte verstärken dieses Empfinden: Verluste wiegen schwerer als Gewinne, weshalb Preiserhöhungen mehr wahrgenommen werden als Preissenkungen.
  • Politische Einstellungen beeinflussen die Wahrnehmung zusätzlich – Wähler bestimmter Parteien überschätzen die Inflation besonders stark und misstrauen offiziellen Zahlen.

Bild: © Pexels

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