Wo selbst Obdachlose einen QR-Code haben – Aus Angst vor zu viel Fortschritt und Krieg will Schweden das Bargeld zurückholen

Schwedens Zentralbank warnt vor digitaler Verwundbarkeit. Aus Sorge vor Krieg und Systemausfällen soll Bargeld wieder verfügbar sein.

Angst vor zu viel Fortschritt – Schweden holt das Bargeld zurück

In Schwedens Bäckereien zahlt fast niemand mehr bar – doch ausgerechnet hier beginnt die Rückbesinnung: Die Zentralbank warnt vor zu viel digitaler Abhängigkeit in Krisenzeiten. © Wikimedia

Der schwedische Zahlungsmarkt ist fast vollständig digital, gezahlt wird mit Karte oder Handy – selbst Obdachlose sammeln Spenden per QR-Code statt mit der Blechdose. Bargeld nimmt in Schweden nur jeder Zehnte in die Hand – das macht dem digitalen Bezahlvorreiter aber auch langsam schon Angst. Viele kleine Einzelhandelsgeschäfte akzeptieren gar kein Bargeld mehr.

Was im Alltag reibungslos funktioniert, könnte in Krisenzeiten zur Belastung werden – Stichwort: Russlands hybride Kriegsführung und deren Gefahr für die Infrastruktur. Denn die Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung muss auch dann gewährleistet sein, wenn Internet oder Strom ausfallen – etwa durch einen Cyberangriff oder im Fall militärischer Spannungen.

Die schwedische Zentralbank warnt in ihrem aktuellen Zahlungsbericht: Die Abhängigkeit von digitalen Bezahlmethoden ist ein Risiko für die nationale Sicherheit. Sowohl Staat als auch Privatwirtschaft seien gefordert, das System robuster zu machen. Die Bevölkerung müsse sich ebenfalls vorbereiten – auf ein Szenario, in dem digitale Zahlungen plötzlich nicht mehr funktionieren.

Offline-Bezahlen ermöglichen: Schweden will Bargeld als Reserve sichern

Die Lage ist ernst: In vielen Regionen des Landes kann ohne Internet keine einzige Zahlung abgewickelt werden. Kontaktlose Zahlungen über Karte oder Smartphone scheitern dann sofort. Selbst das Durchziehen einer Karte nützt nichts – das System ist auf eine ständige Online-Verbindung angewiesen. Das Ziel der Riksbank: Bis Juli 2026 soll in Schweden auch offline mit Karte gezahlt werden können.

Die Zentralbank arbeitet dabei mit verschiedenen Akteuren zusammen. Getestet wird eine Technik, bei der Transaktionen lokal auf dem Gerät gespeichert und später synchronisiert werden. „Wir werden gemeinsam mit den relevanten Akteuren bis spätestens 1. Juli 2026 eine Lösung bereitstellen“, kündigte Riksbank-Chef Erik Thedéen an.

So zahlt Schweden: In Prozent – wie viele Menschen in den letzten 30 Tagen mit Karte, Handy oder Bargeld (Kontanter) bezahlt haben – ein Blick in den digitalen Alltag. © Riksbanken
So zahlt Schweden: In Prozent – wie viele Menschen in den letzten 30 Tagen mit Bargeld (Kontanter), Karte, der Bezahl-App Swish oder Handy bezahlt haben – ein Blick in den digitalen Alltag. © Riksbanken

Technische Lösungen sollen Versorgung sichern

Nicht nur Behörden und Händler, auch die Bevölkerung soll sich auf Krisen vorbereiten. In der offiziellen Zivilschutzbroschüre Om krisen eller kriget kommer“ (Wenn die Krise oder der Krieg kommt) rät die Regierung: Wer auf verschiedene Zahlungswege setzt, erhöht seine eigene Sicherheit. Empfohlen wird, regelmäßig mit Bargeld zu zahlen, verschiedene Zahlungsmittel griffbereit zu halten und Bargeld für mindestens eine Woche aufzubewahren – am besten in unterschiedlichen Scheinen.

„Die Allgemeinheit hat auch die Verantwortung, ihre eigenen Möglichkeiten zur Durchführung von Zahlungen im Krisenfall zu sichern“, so der aktuelle Zahlungsbericht der Riksbank. Besonders wichtig sei es, PIN-Codes im Kopf zu behalten – denn das häufige „Blippen“ (kontaktlose Kartenzahlung) führe dazu, dass viele ihre Codes vergessen.

„Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt Bargeld benutzt habe“ – Ein Deutscher über den Alltag im digitalen Schweden

Wie lebt es sich in einem Land, in dem Bargeld kaum noch eine Rolle spielt? Max Koeppel, ist vor über zehn Jahren nach Schweden ausgewandert und schildert seine Erfahrungen im Interview:

Wie erleben Sie persönlich den weitgehend bargeldlosen Alltag in Schweden? Gibt es Situationen, in denen Sie Bargeld vermissen oder Probleme hatten?

Der bargeldlose Alltag funktioniert absolut reibungslos. Kartenzahlung, Zahlung mit Handy oder mit der App „Swish“ funktioniert überall. Die Netzabdeckung in Schweden trägt dazu bei, dass selbst auf Inseln und mitten im Wald alles klappt. Ich kann mich nicht erinnern, wann in den letzten 13 Jahren ich das letzte Mal Bargeld verwendet habe.

Können Sie sich an einen konkreten Fall erinnern, in dem Sie ohne Internet oder Karte plötzlich nicht mehr zahlen konnten? Wie haben Sie reagiert?

Das ist noch nie passiert.

Fühlen Sie sich durch die vollständige Digitalisierung des Zahlungsverkehrs sicher – oder eher verletzlich?

Da alles so reibungslos funktioniert und das Thema als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, denkt man eigentlich nicht groß darüber nach. Mit dem Ukrainekonflikt und zunehmender russischer Sabotage in Europa haben wir allerdings inzwischen öfter darüber nachgedacht, uns doch eine Bargeldreserve anzulegen.

Vor über 10 Jahren hat die Liebe Max Koeppel nach Schweden geführt. Dort lebt er heute mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von Stockholm. © privat

Was tun in Krisenzeiten?

Die schwedische Zentralbank warnt vor Risiken im Fall von Cyberangriffen oder Stromausfällen. Wie real erscheint Ihnen dieses Szenario im Alltag?

Das Risiko hat zugenommen und ist deutlich greifbarer geworden. Mit Gotland als strategisch wichtigem Punkt in der Ostsee hat Schweden einen Angriffspunkt, der vielen Sorgen bereitet.

Haben Sie sich – wie in der Broschüre „Om krisen eller kriget kommer“ empfohlen – Bargeldreserven für Notlagen zugelegt? Wenn ja: Wie haben Sie sich vorbereitet?

Wir haben öfter darüber gesprochen, das Thema mal anzupacken, haben es aber noch nicht umgesetzt.

Wie erleben Sie die Bereitschaft von Geschäften, Bargeld zu akzeptieren? Gibt es Orte oder Situationen, in denen es unmöglich ist, bar zu zahlen?

Es gibt viele Geschäfte, die kein Bargeld mehr akzeptieren – oftmals mit dem Hinweis auf das Überfallsrisiko. Im öffentlichen Verkehr in Stockholm wird auch kein Bargeld mehr akzeptiert. Die Kreditkarte oder das Handy funktionieren als Ticket.

Wie Deutsche und Schweden mit Bargeld umgehen

Wie würden Sie den Unterschied im Umgang mit Bargeld zwischen Schweden und Deutschland beschreiben? Was ist Ihnen hier besonders aufgefallen?

In Deutschland hat Bargeld noch einen ganz anderen Stellenwert – zum einen, weil es an vielen Orten noch die einzige Möglichkeit zur Bezahlung darstellt. Zum Teil hört man aber auch das Argument, dass man gewisse Dinge besser bar bezahlt – entweder um den Kauf zu verschleiern oder um Steuern zu vermeiden. Beides spielt in Schweden kaum eine Rolle, zumindest in unserem Alltag.

Die Riksbank betont, dass der Zugang zu einem Zahlungskonto entscheidend für gesellschaftliche Teilhabe ist. Beobachten Sie im Alltag Menschen, die vom digitalen Bezahlsystem ausgeschlossen sind?

Ich arbeite für eine Firma mit einem sehr hohen Anteil an ausländischen Mitarbeitern. In Schweden kann man ohne die sogenannte „Personnummer“ kein Konto eröffnen. Ohne festen Wohnsitz bekommt man keine Personnummer – was in manchen Fällen bei Zuzug neuer Kollegen zu einem „Henne-Ei“-Problem führt. Das löst sich dann aber eigentlich immer nach ein paar Wochen. Selbst Obdachlose haben meistens einen QR-Code auf ihrem Schild, über den man per Swish Geld schicken kann – das wäre ohne Konto nicht möglich.

Wie stark wird Ihrer Einschätzung nach die Bedrohung durch Russland – auch in digitaler Hinsicht – in Schweden wahrgenommen?

Sehr stark. Die Broschüre „Om kriget eller krisen kommer“ wird von eigentlich allen ernst genommen und die Empfehlungen auch beherzigt. Das Thema ist auf allen Kanälen präsent.

Die schwedische Regierung arbeitet daran, Offline-Kartenzahlungen bis 2026 möglich zu machen. Halten Sie das für realistisch – und für ausreichend, um das System sicherer zu machen?

Davon habe ich noch nichts gehört und weiß zu wenig über die Umsetzbarkeit, um eine vernünftige Antwort geben zu können.

Zugang zu Bankkonten für alle ermöglichen

Ein weiteres Problem betrifft besonders verletzliche Gruppen: Wer kein Zahlungskonto hat, kann oft nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Betroffen sind vor allem Flüchtlinge oder internationale Gastwissenschaftler. Banken lehnen Kontoanträge häufig ab – aus Sorge vor Geldwäsche oder Terrorfinanzierung.

Die Riksbank fordert mehr Zugang zu einfachen Konten. „Ohne ein Zahlungskonto kann man nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen“, sagte Erik Thedéen. Ein funktionierender Zahlungsverkehr sei ein Grundrecht – auch für jene, die sich gerade erst im Land zurechtfinden müssen.

Gesetzespflicht für Bargeldzahlungen in Grundversorgung

Der Vertrauensverlust in digitale Systeme ist kein theoretisches Problem. Schon zum Beginn der russischen Invasion in der Ukraine 2022 stieg die Bargeldnutzung in Schweden erstmals wieder leicht an. Viele Menschen hoben Notreserven ab – aus Sorge vor Eskalationen und Cyberattacken. Seither wird diskutiert, ob Geschäfte gesetzlich verpflichtet werden sollen, Bargeld für lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel oder Medikamente anzunehmen.

„Die Nutzbarkeit von Bargeld muss sichergestellt und eine entsprechende Infrastruktur vorgehalten werden“, hieß es im Jahresbericht 2024 der Riksbank. Bereits heute betreibt die Zentralbank mehrere Bargeldlager im Land – zwei weitere sollen bis 2026 hinzukommen, darunter eines im dünn besiedelten Norden.

Echtzeit-Zahlungen sollen Alltag und Ausland abdecken

Auch technisch gibt es Bewegung. Seit Herbst 2024 hat die Riksbank ein System für Echtzeitüberweisungen aufgebaut. Ziel ist, dass Geld direkt beim Empfänger ankommt – nicht erst nach mehreren Tagen. Besonders kleine Unternehmen sollen davon profitieren, da sie ihre Liquidität besser planen können.

Ab Oktober 2025 sollen mit dem System „TIPS cross-currency“ auch Überweisungen ins Ausland deutlich schneller funktionieren. Geldtransfers zwischen verschiedenen Währungen sollen dann genauso schnell beim Empfänger ankommen wie nationale Überweisungen. „Grenzüberschreitende Zahlungen müssen schneller werden“, forderte Erik Thedéen.

Doch mit mehr Geschwindigkeit wächst auch die Angriffsfläche. Digitale Systeme sind anfällig für Cyberattacken. Die neue EU-Regulierung DORA schreibt seit Anfang 2025 strengere Sicherheitsstandards für Banken vor. Doch die Riksbank warnt: Das genügt nicht. „Mit den bestehenden digitalen Systemen lässt sich die erforderliche Stabilität und Resilienz nicht gewährleisten“, heißt es im Jahresbericht.

Schweden steht vor einer Zeitenwende: Das Land baut seinen digitalen Zahlungsmarkt nicht ab – sondern macht ihn krisenfest. Mehr Vielfalt, mehr Kontrolle und vor allem die Rückkehr des Bargelds sollen die Versorgung im Ernstfall sichern.

Kurz zusammengefasst:

  • Schweden zählt zu den digitalsten Ländern im Zahlungsverkehr – doch die Zentralbank warnt, dass diese Abhängigkeit in Krisenzeiten gefährlich werden kann.
  • Um die Versorgung bei Stromausfällen oder Cyberangriffen zu sichern, sollen Bargeld und Offline-Zahlungen in Schweden wieder stärker ermöglicht werden.
  • Die Bevölkerung wird aufgefordert, sich vorzubereiten – mit Bargeldreserven, mehreren Zahlungsmitteln und Kenntnis ihrer PIN-Codes.

Übrigens: Während Schweden das Bargeld fast abgeschafft hat und selbst Obdachlose per QR-Code Spenden empfangen, halten viele Deutsche selbst im Urlaub an Scheinen und Münzen fest. Warum das so ist – und was das über unser Sicherheitsgefühl verrät – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Sniper Zeta via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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