Der Preis des ökologischen Zusammenbruchs: Studie warnt vor drastischem BIP-Rückgang
Der Klimawandel könnte das globale BIP drastisch senken – die wirtschaftlichen Folgen wären auch für reiche Länder enorm.
Forscher der University of Cambridge analysieren die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels und gehen dabei einer lange verbreiteten Annahme nach: Kühlere, wohlhabendere Länder könnten von steigenden Temperaturen profitieren und den finanziellen Konsequenzen entkommen, während ärmere Staaten im Süden schwer getroffen werden. Einem Bericht des Internationalen Währungsfonds von 2017 zufolge hätten Länder wie Kanada und Schweden sogar ein Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens zu erwarten, wenn die Temperaturen steigen. Doch das Forscherteam um den Cambridge-Ökonom Dr. Kamiar Mohaddes zweifelte diese Annahmen an.
„Die Vorstellung, dass reiche, gemäßigte Länder wirtschaftlich immun gegen den Klimawandel sind und dadurch ihren Wohlstand steigern könnten, schien einfach unglaubwürdig“, erklärt Dr. Mohaddes, außerordentlicher Professor an der Cambridge Judge Business School. Dabei gehe es nicht nur um die Temperatur, sondern um die Abweichung von klimatischen Bedingungen, an die sich Länder gewöhnt hätten. Kältewellen, Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen oder Naturkatastrophen – all das beeinflusse das Einkommen, unabhängig davon, wie kühl oder warm es bisher war.
Der Klimawandel und sein hoher Preis
Mohaddes und sein Team nutzten Daten von 174 Ländern aus den letzten sechzig Jahren, um die Verbindung zwischen Temperaturveränderungen und Einkommensverlusten zu berechnen. Sie simulierten in ihrer Studie Szenarien, die einerseits auf den bisherigen Emissionstrends basieren und andererseits darauf, dass sich die Menschheit an das Pariser Klimaabkommen hält. Die Ergebnisse zeigten: Alle Länder, ob reich oder arm, heiß oder kalt, werden wirtschaftlich leiden, wenn die derzeitige Emissionsrate beibehalten wird. So könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA bis Ende des Jahrhunderts um 10,5 Prozent und das Kanadas um über 13 Prozent sinken.
Schmerzhafte wirtschaftliche Folgen – Klimawandel könnte globales BIP drastisch einbrechen lassen
Das aktuelle Working Paper, das auf den neuesten Daten des Weltklimarats basiert, zeigt: Ohne bedeutende Klimaschutzmaßnahmen könnte das globale BIP bis 2100 um bis zu 24 Prozent schrumpfen. Für Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft ist diese Erkenntnis alarmierend.
Das von Mohaddes und seinem Team gegründete Forschungslabor „climaTRACES“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Daten zielgerichtet für politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger aufzubereiten. Im Mai, als Al Gore am King’s College in Cambridge sprach, stellte das Forscherteam „climaTRACES“ vor. Gore hob dabei hervor, dass Universitäten dringend mehr Forschung zur politischen Mobilisierung benötigen, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen. „Genau diese Lücke will climaTRACES schließen“, erklärt Mohaddes.
Investitionen gegen Klimakollaps
Ein neues Projekt von climaTRACES und der Boston Consulting Group (BCG) empfiehlt eine Investition von weniger als 2 Prozent des globalen BIP, um die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen und bis 2100 einen Verlust von 11 Prozent bis 13 Prozent des globalen BIP zu vermeiden. „Unsere Berechnungen zeigen, dass das Zögern, jetzt in Klimaschutz zu investieren, langfristig massive finanzielle Konsequenzen hat“, so Mohaddes. Das Wirtschaftsteam um Mohaddes arbeitet eng mit der Privatwirtschaft zusammen, um Unternehmen für klimafreundliche Investitionen zu sensibilisieren.
Wirtschaftliche Folgen – Wenn die Kreditwürdigkeit unter dem Klimawandel leidet
Ein weiteres Projekt unter Leitung des Cambridge Bennett Institute zeigt, wie ökologische Schäden schon bald die Kreditwürdigkeit von Staaten beeinflussen könnten. Mithilfe künstlicher Intelligenz simulierten die Ökonomen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Bonität von 108 Ländern bis 2030. Wenn sich bei den Emissionen nichts tut, könnte es bis dahin in bis zu 63 Ländern zu erheblichen Bonitätsabstufungen kommen, heißt es im Report. Länder wie Deutschland und Schweden könnten bis zu drei Stufen herabgestuft werden, die USA und Kanada um zwei Stufen.
Einige Mitglieder des Bennett Institute entwickelten zudem erstmals eine Bonitätsbewertung unter Berücksichtigung der Biodiversität. Der Verlust von Tier- und Pflanzenarten könnte insbesondere in China und Indonesien bereits ab 2030 zu größeren Herabstufungen führen.
Naturkapital statt BIP für echte Wohlstandsmessung
Professor Sir Partha Dasgupta, der über vier Jahrzehnte an der Fakultät für Volkswirtschaftslehre in Cambridge arbeitete, gilt als Pionier auf dem Gebiet der „Biodiversitätsökonomie“. Dasgupta argumentiert, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für den Wohlstand eines Landes ungeeignet ist, weil es natürliche Ressourcen und Ökosysteme nicht berücksichtigt. Von 1992 bis 2014 sei das vom Menschen geschaffene Kapital pro Kopf zwar doppelt so hoch geworden, das Naturkapital pro Kopf jedoch um 40 Prozent gesunken. Dasgupta empfiehlt daher die Einführung eines „Naturkapital“-Indexes als neuen Indikator für wirtschaftlichen Erfolg.
Dasgupta und andere Cambridge-Ökonomen betonen, dass das Fehlen von Naturkapital in der Volkswirtschaft zu einer übermäßigen Ausbeutung der Umwelt geführt habe.
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„Degrowth“ oder nachhaltiges Wachstum?
Einige Ökonomen fordern eine Abkehr vom bisherigen Wachstumsparadigma, das hohe ökologische Kosten verursacht hat. Dr. Alessio Terzi von der Universität Cambridge untersuchte in seinem Buch „Growth for Good“, ob eine Verringerung des Wirtschaftswachstums die Lösung ist. Er argumentiert, dass der Kapitalismus ein effizientes Mittel sei, um Innovationen wie saubere Energietechnologien zu fördern. „Eine Verlangsamung des Wachstums könnte die dringend benötigte Innovation ausbremsen“, sagt Terzi.
Statt radikaler Veränderungen plädiert er für eine nachhaltige Anpassung des Kapitalismus, um die Klimaziele zu erreichen: „Den Markt neu auszurichten, ist besser, als eine tiefgreifende Transformation anzustreben, die Jahre erfordern würde… Jahre, die wir übrigens nicht haben, denn 2050 ist morgen.“
Was du dir merken solltest:
- Die University of Cambridge warnt, dass die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels alle Länder treffen, auch wohlhabende und kühlere Regionen.
- Ohne entschiedene Klimaschutzmaßnahmen könnte das weltweite BIP laut Studie bis 2100 um bis zu 24 Prozent schrumpfen.
- Ein Umdenken hin zu nachhaltigem „Naturkapital“ als wirtschaftliche Messgröße wird als notwendiger Schritt zur Sicherung der Zukunft gesehen.
Übrigens: Nicht nur die Wirtschaft leidet unter dem Klimawandel – auch die Psyche vieler Menschen wird stark belastet. Besonders junge Menschen kämpfen zunehmend mit Klimaangst und fühlen sich von der Zukunft bedroht. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Amazônia Real from Manaus AM, Brasil via Wikimedia unter CC BY 2.0