Uni-Abschluss bald wertlos? KI bedroht Einsteigerjobs – Experten warnen vor Arbeitsmarkt-Kollaps bis 2030
KI ersetzt zunehmend klassische Einstiegsjobs und entwertet Uni-Abschlüsse. Berufseinsteiger sind besonders gefährdet.

Junge Absolventen starten in einen Arbeitsmarkt, in dem KI immer mehr klassische Einstiegspositionen übernimmt und praktische Fähigkeiten entscheidend werden. © Pexels
Die digitale Arbeitswelt steht vor einer tiefgreifenden Zäsur. Immer mehr Experten warnen, dass Künstliche Intelligenz nicht nur einzelne Tätigkeiten automatisiert, sondern ganze Berufsbilder in Frage stellt – und das besonders schnell bei denjenigen, die gerade erst ins Berufsleben starten. Ein aktueller Bericht von Capital und mehrere neue Studien zeigen, wie groß die Veränderungen sind und wo Deutschland im internationalen Vergleich zurückliegt.
Abschlüsse verlieren an Wert – Einsteigerjobs unter Druck
„Klassische Schul- und Uniabschlüsse werden künftig weniger wert“, sagt Annika von Mutius, Gründerin des Berliner KI-Start-ups Empion, im Gespräch mit Capital. KI-Systeme könnten auf das gesamte gespeicherte Wissen zugreifen und daraus bessere Schlüsse ziehen als viele Berufseinsteiger. Damit sinke der Mehrwert reiner Wissensarbeit – genau jener Tätigkeiten, die den Start in vielen Berufen bisher ausmachen.
Besonders betroffen seien Jobs in Recht, Finanzen, Beratung oder Technik, die traditionell als Sprungbrett für junge Fachkräfte gelten. Von Mutius schätzt, dass das duale Studium in einer KI-geprägten Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen wird, weil es Theorie und Praxis stärker verzahnt.
Dass der Arbeitsmarkt sich bereits verschiebt, zeigt auch eine Analyse der Federal Reserve Bank of New York: In den USA liegt die Arbeitslosenquote bei Informatik-Absolventen zwischen 22 und 27 Jahren aktuell bei 6,1 Prozent, in Computertechnik sogar bei 7,5 Prozent – deutlich höher als in anderen akademischen Fachrichtungen. Grund dafür ist, dass viele KI-gestützte Systeme klassische Einsteigeraufgaben wie Codereviews, Bugfixes oder einfache Analysen übernehmen.
Anthropic-Chef: „Hälfte aller Einstiegsjobs bis 2030 weg“
Während deutsche Unternehmen beim Einsatz von KI und bei der Qualifizierung ihrer Mitarbeiter noch deutlich hinter anderen Ländern zurückliegen, warnen internationale KI-Pioniere vor einem dramatischen Arbeitsplatzabbau. Dario Amodei, Mitgründer des US-Unternehmens Anthropic, sieht bis 2030 bis zu 50 Prozent aller Einstiegsjobs im Bürobereich in Gefahr. Das könnte die Arbeitslosenquote auf 10 bis 20 Prozent treiben – vor allem bei unter 30-Jährigen.
Schon jetzt streichen Konzerne tausende Stellen, weil KI viele Aufgaben schneller erledigt. Beispiele sind:
- Microsoft: Abbau von 15.000 Jobs, viele im technischen Bereich
- Intel: Streichung von 25.000 Jobs
- Meta: Entlassung von fünf Prozent der Belegschaft, das sind etwa 3.600 Jobs – kurz nach der Ankündigung, KI könne mittlere Entwickler ersetzen
- CrowdStrike: 500 Kündigungen mit dem Hinweis auf tiefgreifende Branchenveränderungen durch KI
Besonders gefährdet sind Positionen, in denen Berufseinsteiger Erfahrungen sammeln und Netzwerke aufbauen – genau diese könnten in den nächsten Jahren entfallen.
Gen Z zweifelt am Studium
Auch die junge Generation zieht Konsequenzen. Laut einer aktuellen Indeed-Umfrage in den USA hält fast jeder zweite Hochschulabsolvent der Generation Z den eigenen Abschluss für Zeitverschwendung – vor allem wegen KI. Steigende Studiengebühren, hohe Schulden und der Eindruck, dass praktische Fähigkeiten wichtiger sind als Diplome, prägen das Urteil.
Zwei Drittel der Befragten glauben, ihre aktuellen Jobs auch ohne Studium ausüben zu können. Gleichzeitig investieren viele Unternehmen inzwischen gezielt in KI-Weiterbildung, etwa durch interne Schulungen und praxisnahe Projekte. Online-Kurse zu Themen wie maschinellem Lernen oder Prompt Engineering verzeichnen Rekordzahlen.
Bildungssystem vor Reformdruck
Von Mutius sieht in dieser Entwicklung nicht nur Risiken. Indirekt betont sie, dass die Unterschiede zwischen Bildungsniveaus kleiner werden könnten, wenn der reine Wissensgewinn nicht mehr allein entscheidend ist. Dann werde es wichtiger, Theorie und Praxis zu verbinden und gezielt Kompetenzen für eine KI-gesteuerte Arbeitswelt aufzubauen.
Bildungsexperten warnen allerdings davor, Studieninhalte kurzfristig an einzelne KI-Tools anzupassen – diese veralten schnell. Gefragt seien Fähigkeiten, die auch in einer automatisierten Zukunft unverzichtbar bleiben: kritisches Denken, Teamarbeit, Problemlösung und Kreativität.
Internationale Unterschiede – Deutschland bremst sich aus
Eine McKinsey-Erhebung verdeutlicht, wie groß der Rückstand ist: In den USA haben fast 50 Prozent der Beschäftigten Schulungen zu generativer KI erhalten, in Europa sind es nur 21 Prozent – in Deutschland liegt der Anteil noch darunter.
Besonders deutlich wird der Rückstand bei der Personalplanung und Qualifizierung:
- Nur 24 Prozent der deutschen Unternehmen planen den Personalbedarf über mehr als drei Jahre.
- 44 Prozent der Beschäftigten erhielten 2024 keinerlei Weiterbildung, im Schnitt gab es nur zwölf Trainingstage pro Jahr.
- Nur 31 Prozent der Unternehmen nutzen auf die eigene Struktur angepasste Kompetenzmodelle oder KI-gestützte HR-Tools.
Die Folgen sind gravierend: wachsende Kompetenzlücken, sinkende Motivation und ein höheres Risiko von „Quiet Quitting“ – der inneren Kündigung. Für Berufseinsteiger bedeutet das: Wer in einem Land arbeitet, das beim KI-Einsatz zögert, läuft Gefahr, noch schneller den Anschluss zu verlieren.
Kurz zusammengefasst:
- KI-Systeme übernehmen zunehmend Aufgaben, die heute noch typischerweise Berufseinsteiger erledigen, wodurch klassische Schul- und Uniabschlüsse an Wert verlieren.
- Internationale Daten zeigen: In den USA und anderen Ländern wird KI deutlich stärker in Unternehmen eingesetzt als in Deutschland, wo Weiterbildung und strategische Personalplanung oft fehlen.
- Experten fordern, Theorie und Praxis stärker zu verbinden, praktische Kompetenzen gezielt zu fördern und Bildung sowie HR-Strategien an die KI-Realität anzupassen.
Übrigens: Bill Gates sieht eine Zukunft, in der KI Diagnosen stellt, Schüler individuell unterrichtet und sogar therapeutische Gespräche führt – und damit zentrale Berufe grundlegend verändert. Mehr dazu in unserem Artikel.
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