Nonstop arbeiten und dauergestresst – doch 41 Prozent der Zeit sind völlig nutzlos
Mehr Arbeit bedeutet mehr Stress, doch nicht immer steigt auch der Nutzen für das Unternehmen: 41 Prozent der Arbeitszeit führt ins Leere.

Eigentlich sollte Technik unsere Arbeit erleichtern und Stress verringern – stattdessen bringt sie neue Belastung. © Pexels
Fragt man Menschen, wie es ihnen geht, sagen viele nur: „Beschäftigt.“ In einem kleinen Experiment antworteten acht von zehn genau so – mit nur einem Wort. Das beschreibt treffend, wie es vielen berufstätigen Menschen heute geht: überfordert von der Arbeit und getrieben von Stress.
Fast die Hälfte der Amerikaner empfindet sich laut einer Umfrage der UCLA Anderson School of Management als „time poor“. Das bedeutet: zu viel zu tun, zu wenig Zeit. Auch am Arbeitsplatz spitzt sich die Lage zu. 68 Prozent der Befragten in einer weiteren Studie berichten, sie hätten keine längeren Phasen ungestörter Arbeit mehr.
Viele Aufgaben, wenig Wirkung: Arbeitszeit wird zersplittert
Ein großer Teil der Arbeitszeit fließt dabei in Tätigkeiten, die wenig bringen. 42 Prozent der Beschäftigten sagen, sie verbringen die Hälfte ihrer Zeit mit sogenannter „Busywork“ – Aufgaben, die kaum Wert schaffen. Weitere 43 Prozent geben an, über zehn Stunden pro Woche damit zu verbringen, beschäftigt zu wirken, nicht aber sinnvolle Arbeit zu erledigen. Die Softwarefirma Visier hat diese Zahlen erhoben.
Laut der aktuellen Deloitte-Studie „Global Human Capital Trends 2025“ verbringen Angestellte im Durchschnitt 41 Prozent ihres Tages mit Aufgaben, die keinen erkennbaren Beitrag zum Erfolg ihres Unternehmens leisten. Sichtbare Beschäftigung zählt oft mehr als wirksames Arbeiten. Für diese Studie wurden 10.000 Führungskräfte aus 93 Ländern befragt.
Technische Fortschritte entlasten kaum – im Gegenteil
Schon 1930 sagte der britische Ökonom John Maynard Keynes voraus, die Arbeitszeit werde sich durch Technologie auf 15 Stunden pro Woche reduzieren. Doch diese Entlastung ist ausgeblieben. Im Gegenteil: Neue digitale Tools bringen zwar Hoffnung auf Effizienz, erhöhen aber auch die Komplexität. Dashboards, Benachrichtigungen und ständig neue Systeme reißen Mitarbeiter aus der Konzentration.
Nur 22 Prozent der Befragten in der Deloitte-Studie gaben an, ihr Unternehmen sei gut darin, Arbeit zu vereinfachen. Stattdessen verbringen Arbeitnehmer jährlich 257 Stunden mit ineffizienten Prozessen und weitere 258 Stunden mit doppelten Aufgaben und unnötigen Meetings – das entspricht rund zwölf Arbeitswochen.
Ein weiteres Problem ist die sogenannte „Toggle Tax“. Gemeint ist der Zeitverlust durch häufiges Wechseln zwischen verschiedenen Arbeitsanwendungen. Studien schätzen, dass Mitarbeiter neun Prozent ihrer Jahresarbeitszeit – etwa 200 Stunden – allein dadurch verlieren. Dazu kommen immer mehr Meetings, von denen viele keinen Mehrwert haben.
Die Transkriptionsfirma Otter.ai rechnet vor, dass unnötige Besprechungen Unternehmen pro Mitarbeiter über 25.000 US-Dollar im Jahr kosten können. Besonders Manager und Wissensarbeiter sind betroffen. Die Zeit, die sie für kollaborative Aufgaben aufbringen, hat sich in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 50 Prozent erhöht.
„Slack“ statt ständiger Auslastung: Zeit für Neues schaffen
Ein Grundproblem ist der Umgang mit sogenannter Slack-Zeit. Dabei handelt es sich um bewusst freigehaltene Zeit, die nicht verplant wird. Viele Führungskräfte deuten Slack als Faulheit – dabei ist sie das Gegenteil: Freiräume ermöglichen es, kreativ zu arbeiten, neue Fähigkeiten zu entwickeln oder sich auf wirklich wichtige Themen zu konzentrieren.
Deloitte betont in seinem Bericht, dass Unternehmen Slack als strategisches Element verstehen sollten. Ziel sei nicht, jeden Moment produktiv zu füllen, sondern Raum für Lernen, Entwicklung und Innovation zu schaffen.
Der Medienkonzern DPG Media aus Belgien geht mit gutem Beispiel voran. Nur 80 Prozent der Arbeitszeit werden fest verplant. Die übrige Zeit bleibt frei – als Puffer für unvorhergesehene Aufgaben. Die Idee dahinter: Wird das Pensum auf 100 Prozent ausgereizt, führen Störungen schnell zu Überstunden und Erschöpfung.
Auch Google zeigte früh, wie nützlich Slack-Zeit sein kann. Dort durften Mitarbeiter einen Tag pro Woche für eigene Projekte nutzen. Produkte wie Gmail und AdSense entstanden genau aus dieser freien Zeit heraus. Beim Konzern 3M ist die Auslastung auf 85 Prozent gedeckelt – damit bleibt Raum für persönliche Initiativen.
Neue Modelle senken Stress und steigern Leistung bei der Arbeit
Das australische Unternehmen Medibank testete 2023 ein neues Arbeitsmodell: Mitarbeiter arbeiteten nur 80 Prozent der Zeit, bekamen aber weiter volles Gehalt. Die Erwartungen an die Leistung blieben unverändert. Erste Ergebnisse zeigen: Die Produktivität blieb stabil. Gleichzeitig sanken der wahrgenommene Stress bei der Arbeit um 9,6 Prozent und gesundheitliche Beschwerden um 13 Prozent.
Salesforce führte ein weiteres Experiment durch. Mitarbeiter nahmen regelmäßig kurze Pausen. Die Ergebnisse waren deutlich: Die Produktivität stieg um 21 Prozent, die Fähigkeit zur Stressbewältigung verbesserte sich um 230 Prozent. Auch die Zufriedenheit nahm um 63 Prozent zu.
Führung muss Raum schaffen – nicht nur kontrollieren
Der Chief Information Officer eines Forschungsinstituts brachte es im Gespräch mit Deloitte auf den Punkt: „Die Mitarbeiter sind überlastet mit Kleinkram… Wenn wir wollen, dass sie innovativ sind, müssen wir ihnen Freiraum geben, indem wir Dinge stoppen.“ Viele Führungskräfte seien darin geübt, Aufgaben zu verteilen – aber nicht, sie zu streichen.
Peter Drucker, Managementvordenker, formulierte es so:
Nichts ist so nutzlos, wie etwas mit großer Effizienz zu tun, das eigentlich gar nicht getan werden sollte.
Wer überflüssige Aufgaben perfekt erledigt, löst kein Problem. Eine gute Möglichkeit zur Entlastung ist das sogenannte „Zero-Based Budgeting“. Dabei wird jede Aufgabe regelmäßig hinterfragt – und nicht automatisch fortgeführt. Deloitte empfiehlt zudem ein horizontales und vertikales Arbeitsmodell: Fachübergreifende Zusammenarbeit und Mitgestaltung durch Beschäftigte auf allen Ebenen.
Denn wer die Arbeit macht, weiß am besten, wie sie verbessert werden kann. Nur etwa ein Drittel der Beschäftigten fühlt sich laut Deloitte-Studie aktuell dazu befähigt, Verbesserungsvorschläge zu äußern. Ein ungenutztes Potenzial – gerade in Zeiten, in denen Arbeit immer mehr zum Stressfaktor wird.
Kurz zusammengefasst:
- Viele Beschäftigte empfinden ihre Arbeit als enormen Stress, weil sie zu viel Zeit mit unwichtigen Aufgaben und ständigen Unterbrechungen verbringen.
- Neue Technologien und Meetings sollen die Produktivität steigern, führen aber oft zu noch mehr Belastung.
- Unternehmen können diesem Trend entgegenwirken, indem sie bewusst Freiräume schaffen, die Mitarbeiter eigenverantwortlich nutzen können.
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