Social-Media-Panik: Übertreibt Jonathan Haidt?

Jonathan Haidt behauptet, soziale Netzwerke verursachen psychische Probleme bei Jugendlichen. Experten sind skeptisch und sehen seine Thesen als übertrieben an.

Jonathan Haidt

Studien belegen, dass Mediennutzung und psychische Gesundheit zwar zusammenhängen, der Zusammenhang jedoch deutlich geringer ist als der zwischen Mobbing und psychischen Problemen. © Vecteezy

Der amerikanische Sozialpsychologe Jonathan Haidt behauptet, dass soziale Netzwerke die Hauptursache für die zunehmenden psychischen Probleme bei Jugendlichen sind. Er argumentiert, dass Angstzustände, Depressionen und Selbstverletzungen seit 2012 drastisch zugenommen hätten, weil junge Menschen zunehmend eine „smartphone-basierte“ Kindheit erleben. Haidt machte gegenüber der NZZ im April 2024 brisante Aussagen, die einigen seiner Kollegen sauer aufstoßen.

Haidt steht in der Fachwelt laut der NZZ unter heftiger Kritik. Der Psychologe Chris Ferguson, der seit über zwanzig Jahren die Auswirkungen digitaler Medien auf Jugendliche untersucht, meint: „Haidt ist weniger von wissenschaftlichem Denken als von einer starken moralischen Intuition geleitet.“ Dem widerspricht Haidt auch nicht direkt, indem er gegenüber „Science“ sagt:

Ich versuche ein Umdenken zu bewirken – auch wenn sich die Wissenschaft noch nicht einig ist.

Kontroverse um den Zusammenhang

Haidt stützt seine These auf eine Analyse der britischen Millennium Cohort Study. Diese Studie zeigt, dass Jugendliche, die viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, mehr depressive Symptome aufwiesen. Allerdings ist der Zusammenhang nicht eindeutig, da unklar bleibt, ob die Nutzung der sozialen Netzwerke die Ursache oder ein Symptom der psychischen Probleme ist.

Jonathan Haidt
Der US-amerikanische Psychologe Jonathan Haidt hat mit seiner These eine Kontroverse ausgelöst. © Miller Center via Wikimedia unter CC BY 2.0

Wissenschaftler der Universität Oxford widersprachen Haidts Schlussfolgerungen. Sie analysierten drei große Langzeitstudien mit insgesamt 350.000 Jugendlichen. Ihr Ergebnis: Mediennutzung und psychische Gesundheit hängen zwar zusammen, doch der Zusammenhang ist deutlich kleiner als der zwischen Mobbing und psychischer Gesundheit. Die Forscher folgerten, dass die Nutzung sozialer Netzwerke zu gering sei, um weitreichende gesundheitspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen.

Haidt und seine Kollegin Jean Twenge kritisierten die Methodik der Oxford-Studie im Fachjournal „Nature Human Behavior“ ohne eigene Forschungsresultate zu präsentieren. Die Forscher aus Oxford konterten mit einer detaillierten Antwort und widerlegten die Kritik.

Haidts Bestseller und seine These

Haidt zog sich nach dieser Kontroverse aus der wissenschaftlichen Diskussion zurück. Im Jahr 2024 veröffentlichte er sein Buch „Generation Angst„, das seine Thesen ausführlich beschreibt. Das Buch wurde sofort ein Bestseller.

Dass viele Jugendliche psychisch belastet sind, ist eine gut belegte Tatsache. So erkranken jährlich zwischen 1 und 5 Prozent der Jugendlichen an einer Depression, mindestens 11 Prozent entwickelten eine Angststörung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit mehr als jedes siebte Kind von einer psychischen Erkrankung betroffen ist. Die WHO empfahl 2022, Grundlagen für den Umgang mit der eigenen Psyche in den Lehrplan aufzunehmen.

Zusammenhang oder Zufall?

Die psychischen Probleme der Jugend traten genau dann ins öffentliche Bewusstsein, als soziale Netzwerke Teil ihres Alltags wurden. Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigte, dass die meisten Jugendlichen am Wochenende knapp fünf Stunden pro Tag am Handy verbringen. Vier von fünf Kindern im Alter von 12 bis 13 Jahren nutzen täglich soziale Netzwerke.

Haidts These scheint intuitiv schlüssig, aber die Frage nach der Kausalität bleibt offen. Unklar ist, ob Jugendliche schon vor ihrer Erkrankung den sozialen Netzwerken verfallen waren oder ob der Konsum ein zusätzliches Symptom der Erkrankung darstellt.

Schulverbot für Smartphones als Lösung?

Trotz fehlender Beweise gehe Haidt weiter in die Offensive. Er warnte davor, Social Media uneingeschränkt zu nutzen. „Absence of evidence is not evidence of absence“, sagte er, was soviel heißt wie: Das Fehlen von Belegen bedeute nicht, dass es keinen Zusammenhang gebe.

Erste Studien zeigen, dass Schüler ohne Smartphone-Nutzung in der Schule profitieren. Falschinformationen und das Sichvergleichen in sozialen Netzwerken können Jugendliche negativ beeinflussen. Der amerikanische Psychologe Ferguson meinte, das eigentliche Problem sei ja, dass diese Diskussion um Haidt von dringenderen Problemen ablenkt. Die moralische Panik, die Haidt schüre, sei gefährlich. Jugendliche bräuchten eine differenzierte Betrachtung ihrer psychischen Probleme, anstatt soziale Netzwerke pauschal als Ursache zu sehen.

Was du dir merken solltest:

  • Jonathan Haidt behauptet, dass soziale Netzwerke die Hauptursache für die zunehmenden psychischen Probleme bei Jugendlichen sind, stößt jedoch auf erhebliche Kritik von Experten, die seine Thesen als übertrieben betrachten.
  • Studien zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Mediennutzung und psychischer Gesundheit existiert, aber deutlich geringer ist als der zwischen Mobbing und psychischen Problemen.
  • Kritiker warnen, dass die Panikmache um soziale Netzwerke von dringenderen Problemen ablenkt und fordern eine differenzierte Betrachtung der Ursachen für die psychischen Belastungen von Jugendlichen.

Bild: © Vecteezy

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