Kuhmagen als Bioreaktor: Mikroplastik schwächt die Verdauung von Rindern – mit Folgen für unsere Lebensmittel

Mikroplastik verändert die Verdauung von Rindern und stört das Gleichgewicht im Magen. Experten warnen vor Folgen für Tiergesundheit und Nahrungskette.

Mikroplastik bringt Rinder-Verdauung aus dem Gleichgewicht

Im Labor zeigten Versuche mit Pansenflüssigkeit von Rindern, dass Mikroplastik die Verdauung messbar verändert und das Darmmikrobiom der Tiere beeinflusst. © Universität Hohenheim / Max Kovalenko

Tiere nehmen Mikroplastik längst über Böden, Wasser und Futtermittel auf und das bleibt nicht ohne Folgen. Die winzigen Partikel gelangen in ihren Verdauungstrakt, verändern dort mikrobielle Prozesse und können ihre Gesundheit beeinträchtigen. Eine neue Studie zeigt: Besonders Rinder reagieren empfindlich auf Mikroplastik – und das könnte langfristig auch die Lebensmittelsicherheit gefährden.

Forscher der Universitäten Hohenheim, Helsinki, Zürich und der Technischen Universität München haben erstmals untersucht, was mit Mikroplastik im Verdauungstrakt von Wiederkäuern passiert. Die Ergebnisse zeigen deutliche Veränderungen im sogenannten Pansen, der größten Magenkammer von Rindern. Mikroplastik stört die Aktivität der Mikroben, verändert chemische Abläufe und wird teilweise sogar abgebaut – ein Prozess, der neue Risiken entstehen lässt.

Mikroplastik beeinflusst die Verdauung

Im Labor inkubierten die Forscher Pansenflüssigkeit von zwei Holstein-Kühen mit verschiedenen Kunststoffarten wie Polyethylen, Polypropylen, Polylactid und PVC. Die Partikel waren kleiner als ein Sandkorn. Bereits nach 24 Stunden zeigten sich deutliche Veränderungen:

  • Die Gasproduktion sank – bei Heu um 1,7 Prozent, bei Gerste um 6,6 Prozent.
  • Gleichzeitig stieg der Abbau der Trockensubstanz.

„Unsere Studie zeigt, dass Mikroplastik nicht einfach durch den Pansen von Rindern hindurchgeht“, erklärt Jana Seifert von der Universität Hohenheim. Der Magen funktioniere wie ein Bioreaktor, der Plastikpartikel zerkleinere und chemisch verändere. Ein gestresstes Mikrobiom kann daher die Tiergesundheit beeinträchtigen.

Enzyme reagieren empfindlich auf Mikroplastik

Mit Hilfe moderner Omics-Analysen untersuchten die Wissenschaftler auch das sogenannte Metaproteom – also alle Eiweiße, die Mikroorganismen im Pansen produzieren. Von rund 18.800 identifizierten Proteingruppen veränderten sich in Gersteproben fast 30 Prozent. Besonders aktiv waren Enzyme, die an der Reparatur und Stabilisierung von Zellen beteiligt sind. Dagegen gingen Proteine zurück, die für den Abbau von Kohlenhydraten und Aminosäuren verantwortlich sind.

Die Mikroben reagieren also offenbar auf Stress. Sie investieren Energie in Schutzmechanismen, statt Nährstoffe effizient zu verwerten. Das kann langfristig die Energieaufnahme und Gesundheit der Tiere beeinträchtigen.

Mikroplastik verändert das bakterielle Gleichgewicht im Pansen der Tiere

Auch die Zusammensetzung der Bakterien verschob sich deutlich. Der Anteil von Bacteroidetes nahm ab, während Firmicutes zunahmen – ein Muster, das bei gestörter Verdauung häufig vorkommt. Daniel Brugger von der Universität Helsinki erklärt: „Wir müssen besser verstehen, wie sich Mikroplastik auf die Tiergesundheit und die Lebensmittelsicherheit auswirkt – insbesondere, da die weltweite Kunststoffproduktion weiter steigt.“

Die Forscher schätzen, dass sich in europäischen Böden jährlich zwischen 63.000 und 430.000 Tonnen Mikroplastik ansammeln. Ein Teil davon gelangt über Klärschlamm, Agrarfolien oder Verpackungsmaterialien in die Landwirtschaft – und damit auch in Futtermittel.

Winzige Mikroplastik-Partikel dringen tiefer ins Gewebe ein

Je kleiner die Partikel, desto stärker ihre Wirkung. Plastikstücke unter 125 Mikrometern verursachten die größten Veränderungen. Ihre Oberfläche bietet Mikroben viele Kontaktpunkte und begünstigt chemische Reaktionen. Besonders kritisch: Im Pansen werden die Partikel weiter zerkleinert. Dabei können Nanopartikel entstehen, die kleiner als 100 Mikrometer sind. Diese winzigen Fragmente können die Darmwand passieren und sich im Gewebe anreichern.

„Plastikverschmutzung hat direkte biologische Folgen für Nutztiere und möglicherweise auch für den Menschen über die Nahrungskette“, warnt Cordt Zollfrank von der Technischen Universität München.

Landwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen

In Tierfuttermitteln wurden bereits bis zu 0,07 Prozent Mikroplastik gemessen – vor allem in Produkten aus verarbeiteten Lebensmitteln oder Brauereinebenprodukten. Die Forscher halten es für möglich, dass Mikroben im Pansen bestimmte Kunststoffe teilweise abbauen. Dabei könnten jedoch chemische Nebenprodukte entstehen, die die Verdauung zusätzlich belasten.

Für die Universität Hohenheim und ihre Partner ist die Studie ein klarer Auftrag. Es müssen Verfahren entwickelt werden, um Mikroplastik in Futter, Gülle und tierischen Produkten zuverlässig nachzuweisen. Nur so lassen sich Risiken für Tiere und Verbraucher einschätzen und langfristig Grenzwerte festlegen.

Strenge Maßstäbe bei Tierversuchen

Die Untersuchungen wurden ausschließlich in vitro durchgeführt – also außerhalb lebender Tiere. Die Pansenflüssigkeit stammte von zwei fistulierten Holstein-Kühen der TU München. Die Universität Hohenheim, federführend in der Analyse, ist Erstunterzeichnerin der bundesweiten Initiative Transparente Tierversuche. Sie verpflichtet sich, Tierstudien auf das notwendige Maß zu reduzieren, abzumildern und offen darüber zu informieren.

Kurz zusammengefasst:

  • Eine neue Studie zeigt: Mikroplastik verändert die Verdauung von Rindern, senkt die Gasproduktion und verschiebt die chemischen Abläufe im Pansen.
  • Wenn Mikroplastik die Tiere erreicht, reagieren die Mikroben im Verdauungssystem gestresst – sie verlieren an Aktivität, wodurch weniger Energie aus dem Futter gewonnen wird und die Tiergesundheit leidet.
  • Besonders kleine Partikel unter 125 Mikrometern können die Darmwand passieren, sich im Gewebe anreichern und so auch für die Lebensmittelsicherheit zum Problem werden.

Übrigens: Viele Tierkrankheiten ähneln heute erstaunlich stark denen des Menschen – von Diabetes über Arthrose bis zu Krebs. Wissenschaftler nutzen diese Parallelen bereits, um neue Therapien zu entwickeln – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Universität Hohenheim / Max Kovalenko

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