Unfruchtbar durch Pestizide? – Obst-Rückstände greifen Spermien an
Pestizide in Obst und Gemüse könnten laut Studien oxidativen Stress in Spermien auslösen und die männliche Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
Neonicotinoid-Pestizide können die Spermienqualität deutlich verringern. Die Stoffe werden in der modernen Landwirtschaft häufig eingesetzt. © Pexels
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Rückstände bestimmter Pestizide in Obst und Gemüse die Qualität männlicher Spermien beeinträchtigen könnten und damit langfristig die Fruchtbarkeit gefährden. Ein Forschungsteam der George Mason University in den USA hat dafür 21 Laborstudien aus zwei Jahrzehnten ausgewertet.
Im Mittelpunkt standen fünf häufig eingesetzte Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide – darunter Acetamiprid, Imidacloprid und Clothianidin. Diese Substanzen sollen Nutzpflanzen vor Schädlingen schützen, könnten aber unbeabsichtigt auch die empfindliche Zellstruktur der Spermien angreifen.
Spermien reagieren empfindlich auf gängige Insektizide
Laut der Studienleiterin Sumaiya Irfan beeinträchtigen diese Pestizide sowohl die Beweglichkeit als auch die Vitalität der Samenzellen. „In mehreren Fällen beobachteten wir eine massive Einschränkung der Motilität – teils um bis zu 90 Prozent“, so Irfan.
Die Motilität beschreibt die Fähigkeit der Spermien, sich aktiv und zielgerichtet fortzubewegen. Ist sie eingeschränkt, sinkt die Chance auf eine natürliche Befruchtung deutlich. Auch auf molekularer Ebene zeigten sich Schäden:
- Die Zellmembran der Spermien wurde durchlässiger und instabil.
- Im Zellkern kam es zu vermehrten DNA-Schäden.
- In mehreren Experimenten stieg die Produktion freier Radikale deutlich an – ein Hinweis auf oxidativen Stress.
Pestizide belasten Spermien schon in kleinen Mengen
Der Begriff „oxidativer Stress“ steht für ein Ungleichgewicht zwischen schädlichen Sauerstoffverbindungen und der körpereigenen Abwehr. Diese Reaktion kann die Zellfunktionen stören – besonders in empfindlichen Strukturen wie männlichen Keimzellen.
Die beobachteten Effekte traten bereits bei geringen Konzentrationen auf. Laut Irfan lagen viele Dosen im Bereich alltäglicher Belastungen – also Mengen, wie sie durch normale Ernährung aufgenommen werden.
Rückstände bleiben auch nach dem Waschen
Neonicotinoide gehören zu den sogenannten systemischen Insektiziden. Diese Mittel verteilen sich nach dem Spritzen in der gesamten Pflanze – vom Stängel bis ins Fruchtfleisch. Das macht sie besonders schwer zu entfernen. Selbst gründliches Waschen reicht oft nicht aus, um Rückstände vollständig zu beseitigen.
Stichproben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zeigen, dass sich Spuren dieser Stoffe regelmäßig in importiertem Obst und Gemüse finden – trotz geltender Grenzwerte.
Kritik an veralteten Grenzwerten
Mitautorin Melissa Perry fordert ein Umdenken in der Gesetzgebung: „Die bisherigen Grenzwerte orientieren sich meist an akuten Toxizitätsdaten. Die Fruchtbarkeit wird dabei oft übersehen.“ Aus Sicht der Wissenschaftlerinnen sei es notwendig, auch niedrig dosierte Langzeitwirkungen stärker zu berücksichtigen.
Sie plädieren zudem für humanmedizinische Langzeituntersuchungen, um die Relevanz für die tatsächliche Bevölkerung besser einschätzen zu können.
Pestizide könnten Spermien langfristig schwächen
Betroffen sein könnten vor allem Männer im fortpflanzungsfähigen Alter – weltweit. Denn Lebensmittel werden global gehandelt, die Herkunft vieler Rückstände ist kaum nachvollziehbar. Perry warnt:
Wir wissen nicht, wie viele Menschen durch diese Rückstände gefährdet sind – aber es könnten viele sein.
Tatsächlich sinkt die durchschnittliche Spermienkonzentration in zahlreichen Regionen seit Jahrzehnten. Der beobachtete Rückgang gibt Medizinern und Forschern rund um den Globus Anlass zur Sorge.
Was Verbraucher tun können
Auch wenn noch viele Fragen offen sind, können einfache Schutzmaßnahmen im Alltag helfen:
- Bio-Produkte bevorzugen, vor allem bei sensiblen Sorten wie Beeren, Blattgemüse oder Trauben
- Obst und Gemüse gründlich waschen oder schälen – auch bei EU-Produkten
- Wer eine Schwangerschaft plant, sollte Pestizide im Garten vermeiden und auf die Herkunft der Lebensmittel achten
Die Autorinnen fordern, die Debatte um Pestizide nicht länger nur auf Insekten zu beschränken. „Auch der Mensch könnte betroffen sein und das schon bei kleinen Mengen“, so Perry.
Kurz zusammengefasst:
- Rückstände moderner Insektizide könnten laut neuer Studien die Spermienqualität erheblich beeinträchtigen – selbst in Mengen, wie sie im Alltag vorkommen.
- Die ausgewerteten Laborergebnisse zeigen unter anderem verminderte Beweglichkeit, DNA-Schäden und strukturelle Veränderungen an männlichen Samenzellen.
- Wer das Risiko verringern will, sollte Bio-Produkte bevorzugen, Obst und Gemüse gründlich waschen oder schälen und auf Pestizide im Privatgebrauch möglichst verzichten.
Übrigens: Japanische Forscher haben entdeckt, wie sich unbewegliche Spermien wieder aktivieren lassen – mit einem molekularen Schalter im Inneren der Zelle. Mehr dazu in unserem Artikel.
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