Warum uns alte Songs sofort zurück in die Jugend katapultieren – und was dabei im Gehirn passiert

Eine neue Studie zeigt, warum Musik aus der Jugend Erinnerungen besonders stark weckt – und Männer und Frauen sie unterschiedlich speichern.

Alte Songs wecken Erinnerungen – was dabei im Gehirn passiert

Ein Lied aus der Jugend kann ganze Lebensabschnitte wachrufen – weil Musik im Gehirn Gefühle, Erinnerungen und Identität miteinander verknüpft. © Pexels

Ein paar Takte eines alten Liedes – und plötzlich ist alles wieder da: der Geruch des Jugendzimmers, das Gefühl des ersten Sommers ohne Eltern, die Stimme eines Freundes, der längst verschwunden ist. Viele Menschen erleben das regelmäßig. Nun zeigt eine internationale Studie, warum Musik Erinnerungen so tief verankert und weshalb sie bei jedem anders wirkt.

Forscher der University of Jyväskylä in Finnland befragten fast 1900 Menschen aus 84 Ländern zu dem einen Lied, das ihnen im Leben am meisten bedeutet. Das Ergebnis: Die meisten dieser prägenden Songs stammen aus der Jugendzeit – im Schnitt aus dem 17. Lebensjahr. In dieser Phase, so erklären die Wissenschaftler, speichert das Gehirn Erlebnisse besonders stark ab.

Musik macht Erinnerungen lebendig

„Man kann sich das jugendliche Gehirn wie einen Schwamm vorstellen – voller Neugier, voller Belohnungshunger, aber noch ohne ausgereiften Filter“, sagt Studienleiterin Dr. Iballa Burunat. „Weil es noch heranreift, werden emotionale Erlebnisse – etwa Musik, die man liebt – besonders tief und lebendig verankert.“

Im Gehirn aktiviert Musik gleich mehrere Areale: den Hippocampus, wo Erinnerungen entstehen, und die Amygdala, die für Gefühle zuständig ist. Das erklärt, warum bestimmte Lieder nicht nur ein Gefühl auslösen, sondern eine ganze Szene vor Augen führen. Musik wirkt wie eine Brücke zwischen Emotion und Erinnerung – und sie umgeht dabei oft die Sprachzentren.

Männer erinnern anders als Frauen

Die Auswertung zeigt, dass sich die musikalische Prägung bei Männern und Frauen unterscheidet. Bei Männern erreichte der Erinnerungsgipfel bereits mit rund 16 Jahren seinen Höhepunkt, bei Frauen dagegen erst mit etwa 19 Jahren.

  • Männer verbinden Musik oft mit Unabhängigkeit, Gruppenzugehörigkeit und Selbstbehauptung – typische Themen der Jugend.
  • Frauen dagegen erleben Musik eher als Begleiterin sozialer Beziehungen: Freundschaften, erste Liebe, familiäre Ereignisse.

Mit zunehmendem Alter verändert sich das Muster: Männer behalten ihre Jugendsongs meist als feste Ankerpunkte. Frauen dagegen binden neue Lieder stärker in ihr Leben ein – etwa in Zeiten des Wandels, bei Trennungen oder Neubeginn.

„Unsere Daten zeigen klar, dass Musik bei Männern ein stabiles Symbol der Jugend bleibt, während Frauen sie flexibler als Werkzeug für emotionale Ausdruckskraft und soziale Bindung nutzen“, sagt Burunat.

Warum auch junge Menschen alte Songs lieben

Überraschend war ein dritter Befund: Selbst jüngere Teilnehmer gaben häufig Lieder an, die Jahrzehnte vor ihrer Geburt veröffentlicht wurden. Die Forscher nennen das den „cascading reminiscence bump“ – eine Art Kaskadeneffekt über Generationen hinweg.

Oft stammt diese Musik aus den Lieblingsjahren der Eltern. Kinder hören sie zu Hause, auf Autofahrten oder beim Aufräumen mit. Die Stücke prägen sich ein – nicht als Erinnerung an eigene Erlebnisse, sondern als Teil der Familiengeschichte. Dass Streamingdienste heute fast alle Epochen zugänglich machen, verstärkt diesen Effekt zusätzlich.

Musik bleibt ein lebenslanger Speicher

Die Studie zeigt auch: Musik bleibt ein Begleiter – über das ganze Leben hinweg. Bei älteren Erwachsenen kommen neue „Erinnerungsgipfel“ hinzu, etwa Lieder aus späteren Lebensphasen, die an besondere Ereignisse erinnern.

Musik speichert also nicht nur Jugend, sondern auch Veränderung. Im Laufe des Lebens entstehen mehrere Wellen emotionaler Bedeutung – aus der Jugend, der Gegenwart und manchmal aus der frühen Kindheit.

Burunat erklärt: „Musik entfaltet sich über die Zeit. Ihr Rhythmus und ihre Struktur bilden eine Art zeitliche Landkarte. Deshalb kann sie Erinnerungen nicht nur wecken, sondern ganze Lebensabschnitte wieder zum Leben bringen.“

Kurz zusammengefasst:

  • Musik aus der Jugend prägt das Gehirn besonders stark – sie verknüpft Gefühle, Erinnerungen und Identität dauerhaft miteinander.
  • Männer speichern ihre wichtigsten Songs meist früher und behalten sie als feste Anker, während Frauen musikalische Erinnerungen im Laufe des Lebens stärker verändern.
  • Auch junge Menschen entwickeln enge Bindungen zu älteren Liedern, weil Musik über Generationen weitergegeben wird und ein emotionales Gedächtnis bildet.

Übrigens: Nicht nur Musik kann Erinnerungen lebendig machen – auch das eigene Gesicht. Wer sich selbst als Kind sieht, ruft längst vergessene Szenen erstaunlich detailreich ab. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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