Lebende Ameisen machen Milch zu Joghurt – Spitzenrestaurant serviert wildes Dessert

Ein dänisches Zwei-Sterne-Restaurant stellt Milchspeisen mithilfe lebender Ameisen her – und bringt damit eine fast vergessene Fermentationsmethode zurück auf den Teller.

Ungewöhnliches Dessert: Ameisen fermentieren Milch zu Joghurt

Waldameisen können Milch fermentieren – Forscher rekonstruieren ein altes Joghurt-Rezept aus dem Balkan. © David Zilber

Ameisen wurden früher gezielt eingesetzt, um Joghurt herzustellen. In abgelegenen Dörfern auf dem Balkan gaben Menschen lebende Waldameisen in frische Milch – und erhielten am nächsten Tag ein säuerliches, dickflüssiges Ferment. Ein Forschungsteam der University of Copenhagen hat die vergessene Methode nun rekonstruiert. Ihre Experimente zeigen, wie Säuren und Mikroben aus dem Körper der Insekten Milch ganz ohne klassische Bakterienkulturen gerinnen lassen.

Wie Ameisen Milch in Joghurt verwandeln

Die Forscher reisten in ein abgelegenes Dorf im bulgarischen Rhodopengebirge. Ältere Bewohner erinnerten sich dort an die ungewöhnliche Praxis: Frisch gemolkene Milch kam zusammen mit ein paar lebenden Waldameisen in ein Glas. Über Nacht wurde es in einen aktiven Ameisenhaufen gestellt – warm, feucht und mikrobenreich. Am nächsten Morgen war die Milch angedickt, säuerlich im Geschmack und ähnelte mildem Joghurt.

Ein Glas mit Milch und lebenden Waldameisen wurde in einen Ameisenhaufen eingebettet. Dort sorgten die Tiere und ihre Mikroben dafür, dass die Milch zu Joghurt fermentierte. © David Zilber
Ein Glas mit Milch und lebenden Waldameisen wurde in einen Ameisenhaufen eingebettet. Dort sorgten die Tiere und ihre Mikroben dafür, dass die Milch zu Joghurt fermentierte. © David Zilber

Im Labor untersuchten die Wissenschaftler jeden Schritt des Verfahrens. Auf der Haut der Ameisen fanden sie Milchsäure- und Essigsäurebakterien. Zusätzlich setzen die Tiere Ameisensäure frei – ein natürlicher Bestandteil ihrer chemischen Abwehr. Gemeinsam senken diese Stoffe den pH-Wert der Milch, bis sie gerinnt.

Die Forscher stießen außerdem auf Fructilactobacillus sanfranciscensis – ein Bakterium, das bisher nur aus Sauerteig bekannt war.

Nur lebende Tiere erzeugen stabile Konsistenz

Um die Methode besser zu verstehen, testete das Team mehrere Varianten. Die Milch wurde jeweils mit lebenden, gefrorenen und getrockneten Ameisen versetzt. Nur die lebenden Tiere führten zu einer reproduzierbaren, stabilen Joghurtstruktur. Bei gefrorenen Exemplaren fanden die Forscher hingegen den Keim Bacillus cereus, der für Menschen gesundheitlich riskant sein kann. Die Ameisen selbst verblieben dabei nicht dauerhaft in der Milch: Sie wurden nach der Fermentation entfernt und nicht mitverzehrt.

„Nur lebende Ameisen führen zu einer kontrollierten Fermentation. Werden sie vorher eingefroren oder getrocknet, verändern sich die Mikroben – und das kann problematisch sein“, erklärt Veronica Sinotte, Erstautorin der Studie.

Unterschied zur industriellen Joghurtherstellung

In der klassischen Produktion wird Joghurt mit ausgewählten Bakterienstämmen bei exakt 42 Grad Celsius fermentiert. Beim traditionellen Ameisenverfahren hingegen entstehen:

  • geringere Mengen an Säure (ca. 2,5 g/l statt bis zu 12 g/l)
  • ein höherer pH-Wert zwischen 5,0 und 5,9
  • eine mildere Konsistenz mit kräuterartigen Aromen

Zusätzlich enthalten die antiken „Starterkulturen“ spezielle Enzyme, sogenannte Proteasen. Diese zersetzen das Milcheiweiß Casein – selbst bei niedriger Säurekonzentration entsteht eine dickflüssige Masse.

Die ersten Proben des Ameisen-Joghurts zeigten typische Fermentationsmerkmale: Die Milch hatte sich leicht verfestigt und schmeckte säuerlich. Die Forschenden bewerteten dies als vielversprechenden Hinweis auf beginnende Joghurtbildung.
Die ersten Proben des Ameisen-Joghurts zeigten typische Fermentationsmerkmale: Die Milch hatte sich leicht verfestigt und schmeckte säuerlich. © David Zilber

Spitzengastronomie experimentiert mit Ameisenmilch

Das dänische Restaurant The Alchemist arbeitete mit den Forschern zusammen. Aus dem Wissen entstanden:

  • ein Dessert aus fermentiertem Schafsjoghurt („Ant-wich“)
  • ein weicher Käse, geronnen dank Ameisenwasser
  • ein Milchcocktail, geklärt mit Ameisensäure statt Zitrone

Die Aromen seien fruchtig, leicht säuerlich und erinnerten an Kräuter, so die Beteiligten.

Rechtliche Hürden und Gesundheitsrisiken

Der Einsatz von Ameisen in Lebensmitteln ist in Europa streng reguliert. Sie gelten als „neuartige Lebensmittel“ und dürfen nicht ohne Zulassung verkauft oder verarbeitet werden. Zudem können manche Arten Parasiten übertragen – etwa Dicrocoelium dendriticum, der bei Menschen gesundheitliche Probleme verursachen kann.

Die Forscher warnen deshalb: Wer keine Erfahrung in Lebensmittelmikrobiologie hat, sollte das Verfahren nicht nachahmen. In der traditionellen Anwendung wurden die Tiere nicht zerdrückt, was das Risiko offenbar senkt.

Auch wenn der Ameisenjoghurt nicht in den Handel kommt, sehen die Forscher Potenzial. Die entdeckten Mikroben könnten künftig gezielt eingesetzt werden – zum Beispiel in pflanzlichen Joghurtalternativen oder bei neuen Sauerteigarten.

Kurz zusammengefasst:

  • Insekten wie Waldameisen kamen früher gezielt zum Einsatz, um Milch mithilfe von Mikroben und Ameisensäure zu fermentieren – eine Methode, die Forscher der University of Copenhagen nun wissenschaftlich belegen konnten.
  • Nur lebende Ameisen führen zu einer sicheren, stabilen Fermentation – sie tragen Milchsäure- und Essigsäurebakterien auf ihrer Haut und geben Proteasen und Säuren ab, die Milch gerinnen lassen.
  • Auch wenn Ameisen als „neuartige Lebensmittel“ in der EU reguliert sind, könnten ihre Mikroben künftig zur Fermentation pflanzlicher Produkte oder neuartiger Joghurt-Kulturen genutzt werden.

Übrigens: Wilde Honigbienen stehen in Europa nun auf der Roten Liste der gefährdeten Arten – ein stiller, aber folgenschwerer Verlust für Ökosysteme und Landwirtschaft. Warum ihr Verschwinden weitreichende Folgen für die Bestäubung und die genetische Vielfalt haben könnte – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © David Zilber

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