Angst schnürt den Magen zu – Forscher finden den Schaltkreis, der Appetit blockiert
Das Hormon Leptin wirkt tiefer als gedacht: Es steuert nicht nur Hunger, sondern beruhigt auch Angst – und könnte damit auch bei Magersucht helfen.

Ein Forschungsteam der Universität zu Köln und der Uniklinik Köln hat einen Schaltkreis im Gehirn entdeckt, der Angst dämpft und das Verhalten stabilisiert.
Viele Menschen verlieren in Stresssituationen den Appetit – der Körper steht unter Spannung, man bekommt keinen Bissen herunter. Wissenschaftler der Universität zu Köln und der Uniklinik Köln haben nun einen neuronalen Schaltkreis im Gehirn identifiziert, der erklärt, warum das so ist – und wie sich dieser Kreislauf möglicherweise gezielt unterbrechen lässt.
Im Zentrum der Entdeckung steht das Hormon Leptin, das im Fettgewebe produziert wird und bislang vor allem als Sättigungshormon bekannt war. Die neue Studie zeigt jedoch: Leptin beeinflusst nicht nur das Hungergefühl, sondern auch Angst und das emotionale Gleichgewicht. Es wirkt auf Nervenzellen im lateralen Hypothalamus – einer zentralen Schaltstelle im Gehirn, die Verhalten, Energiehaushalt und Überlebensfunktionen miteinander verbindet.
Wie Nervenzellen im Hypothalamus Verhalten steuern
Das Team um Tatiana Korotkova und Anne Petzold identifizierte eine Gruppe von Nervenzellen im Gehirn, die auf Leptin reagieren. Im Normalfall sorgt dieses Hormon dafür, dass der Körper weiß, wann genug Energie vorhanden ist. Doch die Zellen haben noch eine weitere Aufgabe: Sie senken das Angstniveau.
„Wir haben beobachtet, dass diese Nervenzellen feuern, wenn sich Tiere trotz Stress wieder bewegen, Futter suchen oder ihre Umgebung erkunden“, sagt Rebecca Figge-Schlensok, Erstautorin der Studie. Die Wissenschaftler setzten Mini-Mikroskope ein, um die Aktivität der Neuronen im lebenden Tier zu verfolgen – in Situationen, die typischerweise Stress auslösen.
Schaltkreis im Gehirn wirkt wie eine Angstbremse
In einem weiteren Versuch aktivierten die Forscher die Leptin-empfindlichen Zellen künstlich. Die Wirkung war deutlich: Die Mäuse zeigten weniger Angstverhalten. Sie fraßen wieder, erkundeten offene Bereiche und mieden diese nicht mehr.
„Sobald wir die Aktivität dieser Zellen erhöhten, bewegten sich die Tiere freier und begannen zu fressen – selbst unter Stress“, berichtet Figge-Schlensok. Die Tiere hielten sich länger in Bereichen auf, die sie zuvor gemieden hatten. Ihr Verhalten wirkte ausgeglichener.
Hoffnung auf neue Therapie gegen Magersucht
Um die Relevanz für den Menschen zu prüfen, setzten die Forscher ein Tiermodell ein, das Symptome einer Magersucht nachahmt. Mäuse mit begrenztem Futterzugang und Zugang zu Laufrädern zeigten übermäßige Aktivität und Appetitverlust – typische Merkmale der Erkrankung Anorexia nervosa.
Nach Aktivierung der Leptin-Zellen fraßen die Tiere wieder und bewegten sich weniger zwanghaft. „Angst und Magersucht hängen oft zusammen. Wenn wir verstehen, wie Leptin auf das Gehirn wirkt, könnten wir neue Therapieansätze entwickeln“, sagt Korotkova.

Kontrolle kann Angst verstärken
Neben dem angstlösenden Schaltkreis im Hypothalamus spielt auch der präfrontale Kortex eine wichtige Rolle – jener Teil des Gehirns, der für Planung, Entscheidungen und Selbstkontrolle zuständig ist. Die Kölner Forschenden entdeckten: Genau dieser Bereich kann den beruhigenden Effekt der Leptin-aktiven Nervenzellen im Hypothalamus blockieren.
Vor allem bei sehr ängstlichen Mäusen war dieser hemmende Einfluss besonders stark ausgeprägt. Obwohl das Gehirn eigentlich bereit war, die Angst zu dämpfen, griff der präfrontale Kortex ein – und verhinderte die Entspannung. Die Folge: Die Tiere blieben angespannt, bewegten sich zwanghaft oder fraßen kaum.
„Die Aktivität dieser Leptin-sensitiven Nervenzellen bildet nicht nur den aktuellen Angstzustand ab – sie sagt auch vorher, wie stark sich ein Tier in einer bedrohlichen Situation ängstlich verhalten wird“, erklärt Petzold.
Dieser Mechanismus könnte auch erklären, warum manche Menschen in Stresssituationen keinen Appetit verspüren oder übermäßig aktiv werden, um die Anspannung loszuwerden. Die innere Kontrolle überschreibt dann den Impuls zur Beruhigung – ein Muster, das bei Essstörungen wie Anorexie häufig zu beobachten ist.
Kurz zusammengefasst:
- Das Hormon Leptin, das im Fettgewebe entsteht, wirkt nicht nur auf den Appetit, sondern auch auf das Angstzentrum im Gehirn – es hilft, Angst zu bremsen.
- Forscher der Universität zu Köln fanden heraus, dass bestimmte Leptin-sensitive Nervenzellen im Hypothalamus das Gleichgewicht zwischen Furcht und lebenswichtigen Bedürfnissen steuern.
- Diese Erkenntnis könnte neue Wege eröffnen, um Angst- und Essstörungen wie Magersucht besser zu behandeln und den Zusammenhang zwischen Emotion und Stoffwechsel zu verstehen.
Übrigens: Nicht nur die Bauchspeicheldrüse produziert Insulin – auch das Gehirn stellt das Hormon selbst her. Es steuert dort nicht den Blutzucker, sondern beeinflusst Appetit, Gedächtnis und sogar das Wachstum. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E