Flusspferde überlebten die Eiszeit – mitten im heutigen Deutschland
In der Eiszeit lebten Flusspferde am Rhein – ein Hinweis auf regionale Wärmeinseln und wechselhaftes Klima.

Ein Unterkieferfragment eines weiblichen Flusspferds aus dem Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim stammt aus der Zeit vor rund 47.000 Jahren. Die Fossilien wurden in Bobenheim-Roxheim in Rheinland-Pfalz gefunden – mitten in der Region, in der Flusspferde während der Eiszeit lebten. © Rebecca Kind
Dass während der Eiszeit ausgerechnet Flusspferde im heutigen Südwestdeutschland lebten, wirkt zunächst absurd. Doch neue Fossilienfunde im Oberrheingraben zeigen: Die wärmeliebenden Tiere überdauerten dort mehrere Jahrtausende – mitten im letzten Eiszeitalter.
Im Grabenbruch zwischen dem Schwarzwald und den Vogesen entdeckte ein Forschungsteam der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim und der Universität Potsdam dutzende fossile Flusspferdknochen. 28 davon datierten die Wissenschaftler mithilfe der Radiokarbonmethode auf eine Zeitspanne zwischen 47.000 und 31.000 Jahren. Der Studie zufolge lebten die Tiere lebten also nicht nur in Warmzeiten, sondern auch in deutlich kühleren Phasen.
Klimaforschung profitiert von Fossilienfunden
Dass Flusspferde in dieser Zeit überlebten, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Klima damals nicht durchgehend eisig war. Stattdessen gab es in Mitteleuropa sogenannte Interstadiale – kurze, mildere Abschnitte mit mehr Vegetation und offenem Wasser. Genau in solchen Phasen fanden die Flusspferde offenbar genug Lebensraum. Das erklärt auch, warum sie zusammen mit Mammuts und Wollnashörnern in denselben Bodenschichten entdeckt wurden.
Neben den Knochen wurden auch Holzreste gefunden, darunter Eichen und Kiefern. Auch sie deuten auf ein durchwachsenes Klima hin. Der Oberrheingraben diente damit wahrscheinlich als eine Art „Wärmeinsel“ innerhalb einer sonst kalten Umwelt.
Flusspferde in der Eiszeit: Kleine Population mit wenig genetischer Vielfalt
Die genetischen Analysen ergaben, dass die Flusspferde im Oberrheingraben zur selben Art gehörten wie ihre heutigen Verwandten in Afrika. Es handelte sich also um Hippopotamus amphibius. Allerdings zeigte das Genom nur sehr geringe Vielfalt. „Die geringe genetische Vielfalt deutet darauf hin, dass die Population klein und isoliert war“, heißt es in der Studie.

Lokale Klimaschwankungen prägen Tierverbreitung
Vermutlich wanderten die Flusspferde während einer früheren Warmzeit aus südlichen Regionen ein – etwa über das Rhône- oder Rheintal. Die genetische Verzweigung der Rheingraben-Tiere liegt rund 228.000 Jahre zurück. Das heißt, ihre Vorfahren hatten lange Zeit, sich in Europa auszubreiten.
Diese Erkenntnisse verändern unser Verständnis der Eiszeit grundlegend. Das Klima war nicht starr und gleichmäßig, sondern wechselhaft und regional sehr unterschiedlich. „Die aktuelle Studie liefert wichtige neue Erkenntnisse und zeigt eindrucksvoll, dass die Eiszeit nicht überall gleich war“, sagt Prof. Dr. Wilfried Rosendahl, einer der Studienleiter.
Forscher fordern Neubewertung vieler Fossilien
Früher wurden viele Fossilienfunde automatisch der letzten Warmzeit zugeordnet. Doch diese Annahme ist nun ins Wanken geraten. „Deshalb sollten wir andere europäische Flusspferdfossilien, die bislang der letzten Warmzeit zugeschrieben wurden, erneut untersuchen“, sagt Dr. Patrick Arnold, Erstautor der Studie.
Das heißt:
- Alte Fundstücke müssen neu untersucht werden
- Das Aussterbedatum vieler Tierarten in Europa ist möglicherweise falsch
- Künftige Studien müssen regionale Klimabedingungen stärker berücksichtigen
Diese Erkenntnisse liefern auch Vergleichsdaten für heutige Klimamodelle. Denn wenn selbst während einer Eiszeit milde Phasen auftraten, zeigt das: Schon kleine Veränderungen im globalen Gleichgewicht können große Wirkung haben.
Projekt mit Langzeitnutzen für Forschung
Das Projekt lief unter dem Titel „Eiszeitfenster Oberrheingraben“ und wurde von der Klaus-Tschira-Stiftung gefördert. Neben Flusspferden untersuchten die Forscher auch andere Tierarten aus der Region, darunter Wildpferde, Rinder, Riesenhirsche und Löwen.
Der Oberrheingraben entpuppt sich dabei als ideales Untersuchungsgebiet. Durch seine geologische Struktur lagerten sich dort über Jahrtausende hinweg Sedimente ab – und damit auch Knochen, Holz und Pollen. Diese Schichten lassen sich datieren und analysieren.
Kurz zusammengefasst:
- Flusspferde lebten während der letzten Eiszeit auch in Deutschland – zwischen 47.000 und 31.000 Jahren vor heute – und überstanden dort mehrere milde Klimaphasen, während Mammuts und Wollnashörner gleichzeitig in derselben Region vorkamen.
- Die genetischen Analysen zeigen: Diese Flusspferde gehörten zur heutigen afrikanischen Art, bildeten aber eine kleine, isolierte Population.
- Für die Forschung sind die Funde bedeutsam, weil sie belegen, dass die Eiszeit in Europa nicht überall gleich kalt war und regionale „Wärmeinseln“ das Überleben wärmeliebender Arten ermöglichten.
Übrigens: In der tiefsten Kälte der Eiszeit wurde Feuer zur Überlebenskunst. Funde aus der Ukraine zeigen, wie Menschen vor 23.000 Jahren selbst bei minus 20 Grad noch gezielt Feuerstellen anlegten – und sie als soziale und technische Zentren nutzten. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Rebecca Kind