Biologische Uhr tickt ab der Befruchtung – die Vererbung macht den Unterschied
Schon bei der Zeugung entscheidet die Vererbung der Telomere, wie schnell wir altern und wie anfällig wir für Krankheiten sind.

Schon vor der Aktivierung des embryonalen Erbguts entscheidet sich, wie lang die Telomere später sein werden – und damit auch, wie stabil die DNA eines Menschen ist. © DALL-E
Wie schnell wir altern, wie lange wir gesund bleiben – und vielleicht sogar, ob wir später Krebs bekommen: All das beginnt viel früher als gedacht. Nicht erst mit der Geburt oder dem Lebensstil, sondern in den allerersten Stunden nach der Befruchtung. Eine neue Studie der University of Pennsylvania zeigt: Schon in diesem Moment wird festgelegt, wie lang die „Schutzkappen“ unserer DNA sind – die Telomere. Und davon hängt ab, wie stabil unsere Zellen im Laufe des Lebens bleiben.
Telomere funktionieren wie winzige Kappen an den Enden der Chromosomen. Sie schützen das Erbgut vor Abnutzung, ähnlich wie die Plastikspitzen an einem Schnürsenkel verhindern, dass dieser ausfranst. Doch bei jeder Zellteilung werden sie ein Stück kürzer. Irgendwann ist die Schutzschicht aufgebraucht – die Zelle teilt sich nicht mehr, sie altert oder stirbt. Verkürzte Telomere gelten deshalb als wichtiger Marker für biologisches Altern.
Die Vererbung der Telomere entscheidet, wie schnell Zellen altern
Bislang glaubten Forscher, die Länge der Telomere sei durch viele Gene bestimmt und könne im Laufe des Lebens stark durch Ernährung, Stress oder Bewegung beeinflusst werden. Doch die neue Mäuse-Studie der US-Forscher zeigt: Der eigentliche Ausgangspunkt wird bereits bei der Empfängnis festgelegt – in einer Phase, in der der Embryo seine eigene DNA noch gar nicht aktiviert hat.
Das Forscherteam um Mia Levine und Michael Lampson fand heraus:
- Lange Telomere vom Vater und kurze von der Mutter führen dazu, dass sich die Telomere im frühen Embryo verlängern.
- Umgekehrt – lange Telomere von der Mutter und kurze vom Vater – lassen sie verkürzen.
Damit wird erstmals deutlich: Es ist nicht nur wichtig, welche Gene wir erben, sondern von wem die Telomere stammen.
Levine erklärt außerdem: „Zum Beispiel haben Kinder älterer Väter häufig längere Telomere als Kinder jüngerer Väter.“ Der Grund: In den Spermien älterer Männer verlängern sich die Telomere mit der Zeit, statt sich – wie in den meisten Körperzellen – zu verkürzen. Dafür sorgt das Enzym Telomerase, das in den Keimzellen aktiv bleibt und immer wieder neue Telomerabschnitte hinzufügt. Da die Spermienproduktion zeitlebens läuft, entstehen so über die Jahre Zellen mit im Schnitt längeren Telomeren.
Mit anderen Worten: Schon der Zeitpunkt der Zeugung kann beeinflussen, wie schnell die biologische Uhr eines Menschen tickt.
Warum Telomere über Alter, Gesundheit und Krankheiten entscheiden
Telomere bestimmen, wie lange sich unsere Zellen fehlerfrei teilen können. Je kürzer sie werden, desto stärker häufen sich Zellschäden an – und desto höher ist das Risiko für altersbedingte Erkrankungen. Studien zeigen:
- Menschen mit kurzen Telomeren haben häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Alzheimer und chronische Entzündungen.
- Auch Stress, Rauchen und Bewegungsmangel beschleunigen den Telomer-Abbau.
Doch die neue Erkenntnis ist: Manche Menschen starten bereits mit einem geringeren „Telomer-Kapital“ ins Leben – und tragen dadurch ein höheres Risiko, früher von solchen Krankheiten betroffen zu sein.
Wenn lange Telomere zum Risiko werden
Lange Telomere klingen zunächst positiv: Sie schützen die Zellen länger vor Alterungsprozessen. Doch zu lang kann ebenfalls problematisch sein. Krebszellen nutzen genau diesen Mechanismus, um unsterblich zu werden.
Etwa 10 bis 15 Prozent aller Tumoren verlängern ihre Telomere selbst – über einen alternativen Weg, der ALT-Mechanismus genannt wird (Alternative Lengthening of Telomeres). Dadurch umgehen sie die natürlichen Grenzen der Zellteilung und können unkontrolliert wachsen.
Das Überraschende: Die Forscher fanden Spuren dieses ALT-Mechanismus bereits im frühen Embryo. Offenbar kann der Körper schon in der ersten Zellteilung zwischen „Verkürzung“ und „Verlängerung“ umschalten – abhängig davon, welcher Elternteil welche Telomere weitergegeben hat.
Noch ist unklar, ob dieser natürliche Prozess später das Krebsrisiko beeinflusst. Doch die Erkenntnis, dass er bereits bei der Zeugung aktiviert wird, könnte ein neuer Schlüssel sein, um Krebsmechanismen besser zu verstehen – und vielleicht eines Tages gezielt zu stoppen.
Die Forscher wollen nun prüfen, ob sich die gleichen Muster auch beim Menschen finden. Dafür nutzen sie moderne Genomtechnologien, um Familien – Mutter, Vater und Kind – direkt zu vergleichen. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, könnte das viele Bereiche der Medizin verändern: von der Reproduktionsmedizin über die Altersforschung bis hin zur Krebsprävention.
Kurz zusammengefasst:
- Die Länge der Telomere – der Schutzkappen unserer DNA – wird bereits in den ersten Stunden nach der Befruchtung festgelegt und beeinflusst, wie schnell unsere Zellen altern.
- Welche Telomere von Mutter oder Vater stammen, entscheidet über Verlängerung oder Verkürzung – und damit über das Risiko für Alterskrankheiten.
- Zu lange Telomere können wiederum Krebs begünstigen, weil Tumorzellen diesen Mechanismus nutzen, um unsterblich zu werden.
Übrigens: Blutstammzellen altern im All schneller als gedacht – und verlieren dabei entscheidende Funktionen. Warum Telomere dabei eine Schlüsselrolle spielen und welche Bedeutung der Vererbung zukommt, mehr dazu im Artikel.
Bild: © DALL-E